Was im Stillen geschieht

Credo Eigentliches Leben statt Digitalem und Geschwätz – unser Autor spürt den Luther in sich
Ausgabe 43/2017

Marie Luise Kaschnitz spricht in einer ihrer Erzählungen vom „Paukenschlag, den jeder von uns einmal hört und mit dem das eigentliche Leben beginnt“.

Martin Luther hat diesen Paukenschlag erlebt, beinahe wäre er buchstäblich vom Blitz getroffen worden. Er hat seine bürgerliche Existenz verlassen und ist in ein Kloster eingetreten. Mit dieser Reaktion war er (noch) ein Kind seiner Zeit, viele andere haben oder hätten wohl ähnlich reagiert auf den elementaren Schrecken. Sein Weg ist anders verlaufen, und er führte zu einem zweiten „Paukenschlag“, womit ich nun nicht den berühmten Thesenanschlag von 1517 meine, sondern dieses:

1521 hat Luther sich im Vertrauen auf Gott dem Kaiser und dem gesamten Reichstag gegenübergestellt, er hat sein Leben gewagt für seine neu erkannte Wahrheit. Dass er davonkam durch den Schutz seines Fürsten, hat er vorher nicht gewusst, viel wahrscheinlicher war doch, dass er sein Leben lassen würde. Er hatte die Gabe, von sich selber abzusehen, den Schutz des eigenen Lebens nicht für das allerhöchste Gut zu halten, da es um Wahrheit, um neu erkannte Wahrheit ging.

Was mich mit Luther verbindet, ist dies: Ich will versuchen, jenem „eigentlichen Leben“ wenigstens nahe zu sein. Ich will versuchen, nicht in Digitaltechnik, Geschwätz und anderen „Wichtigkeiten“ unterzugehen. Ich will versuchen, ein offenes Ohr zu behalten für jenen „Paukenschlag“, auch wenn er wehtut. Will versuchen, ein Einzelner zu bleiben inmitten aller Mehr- oder Minderheiten, denen ich angehören mag. Will versuchen, auf den Ruf des Gewissens zu achten und nicht nur auf die tausend Anrufe von irgendwoher. Und ich will versuchen, nicht von vornherein selbst für groß zu halten, was sich zur Größe aufbläht, und dem Bedeutung zu geben, was leise daherkommt und im Stillen geschieht.

Gewiss, wir müssen unser Leben nicht mehr wagen vor Kaiser und Reich, aber es gibt auch in unserer Zeit Dinge, die erkannt und gesagt und getan werden müssen. Zum Beispiel dieses. Da sind die Unsummen einerseits, wie sie als Boni-Zahlungen oder im Sport ausgegeben werden, Millionen Verhungernde nur wenige Flugstunden von uns entfernt andererseits: Geht es hier um bloße Informationen, oder ist und bleibt es eine Gewissensfrage?

Die Fürsten zu Luthers Zeiten hielten sich noch für „gottbegnadet“ – wir leben mit Unerträglichkeiten, für deren Überwindung sich jeder Einsatz wohl mehr als lohnt! Unsere Medien sind übervoll von Informationen, aber ebenso voll von Gerede. Preise werden gepriesen bis zum Überdruss, das Menschenbild verflacht. Dagegen will ich stehen. Luther hat mehrfach von dem „Herrn Omnes“ geschrieben, von uns „allen“ also, deren Macht und Einfluss der Einzelne unterliegt.

Ich will versuchen, dem, was alle denken, nicht schon deshalb zu folgen, weil es eben alle sind, sondern den Mut zu eigenständigem Denken und Urteilen zu behalten, wenn es gute Gründe dafür gibt. Eine Mehrheit kann sich irren, wie damals ein Konzil sich hat irren können. Es bleibt, auch und gerade in einer Demokratie, die Chance des Einzelnen, Erkenntnisse zu gewinnen, auch wenn sie nicht oder noch nicht geteilt werden.

An die vielen, die betonen, „nicht gläubig“ zu sein, möchte ich die Frage richten: Sind damit Glaubensinhalte gemeint, oder wollt ihr wirklich auf Vertrauen als Grundlage eines Lebens verzichten? Darum ging es doch Luther, um den Glauben als unbedingtes Vertrauen.

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