Der Advent ist eine Zeit, in der auch hartgesottene Parteiarbeiter lieber Plätzchen unterm Weihnachtsbaum servieren, als Personaldebatten in zugigen Kongresshallen zu führen. Anders die SPD in Sachsen-Anhalt: Ausgerechnet für den Samstag vor dem vierten Advent haben die Genossen zu einem Parteitag in das Magdeburger Kulturwerk Fichte geladen. Der Anlass: Die Partei braucht eine neue Führung.
Womöglich ist der Zeitpunkt dabei gar nicht gänzlich unpassend gewählt. Denn während sich die Christen im Advent auf die Ankunft des Herrn freuen, sehnt sich die SPD zwischen Altmark, Harz und Burgenland gewissermaßen nach Erlösung: von äußerst schmerzhaften Wahlergebnissen. Bei der Bundestagswahl am 27. September sackte die Partei, die in den
ie in den neunziger Jahren regelmäßig mehr als ein Drittel der Wählerstimmen erhielt und acht Jahre lang in Magdeburg regierte, auf 19,8 Prozent ab und musste mit einem Minus von 15,4 Prozent gar den höchsten Einbruch aller Landesverbände verzeichnen. Von zehn Direktmandaten im Berliner Parlament blieben drei übrig. Seither rumorte es. Nach verbalen Scharmützeln trat der Landesvorstand zurück; nun soll ein neuer gewählt werden.Pragmatische ParteilinkeViele Genossen warten dabei nicht mehr auf einen Herrn, sondern sehen als „Erlöserin“ erstmals eine Frau: Die 44 Jahre alte Fraktionschefin Katrin Budde, Ingenieurin, Katholikin und Mutter von Zwillingen, hat gute Aussichten, Innenminister Holger Hövelmann an der Parteispitze abzulösen. Dieser kandidiert zwar wieder. Doch den 42-Jährigen, der 2004 nach Streit um ein Studium zum NVA-Politoffizier mit nur einer Stimme Mehrheit gewählt worden war, sehen viele nicht mehr als Hoffnungsträger. Sein Ministerium sorgt regelmäßig für peinliche Nachrichten. Er gilt zwar als umgänglich, hat das politische Profil der Landespartei in den vergangenen Jahren aber kaum geschärft. Vor allem in dieser Beziehung ruhen Hoffnungen auf Budde. Die Ingenieurin für Arbeitsgestaltung, die in einem Magdeburger Konstruktionsbüro arbeitete, bevor sie 1990 in die Politik ging, verfügt nicht nur über wirtschaftlichen Sachverstand, der ihr 2001 kurzzeitig einen Ministerposten im Kabinett Höppner eintrug, bevor dieses ein Jahr später abgewählt wurde. Sie hat zudem politisches Profil. So weist sie etwa die Mitgliedschaft in einem Bündnis für Mindestlöhne als Parteilinke aus. In den Neunzigern, als die SPD-Minderheitsregierung von der PDS toleriert wurde, galt sie als Befürworterin dieses so genannten Magdeburger Modells.Die Weichen für eine erneute rot-rote Regierung nach der Landtagswahl 2011 würden mit einer Kür Buddes am vierten Adventswochenende freilich keineswegs gestellt. Zwar hat die pragmatische SPD-Frau angeblich einen guten persönlichen Draht zu Wulf Gallert, dem Chef der Landtags-Linken. Doch die Fraktionschefin sorgt gleichzeitig dafür, dass die seit 2006 bestehende Koalition mit der CDU geräuschlos läuft; ihr wird großer Anteil daran zugeschrieben, dass Konflikte mit der für politische Eskapaden bekannten CDU-Fraktion meist ohne größeres Rumoren gelöst werden.In der Partei beliebt macht Budde, dass die rhetorisch gewandte Politikerin im Landtag auch gern gegen den Koalitionspartner stichelt und – wenn es sein muss – sogar CDU-Regierungschef Wolfgang Böhmer in die Parade fährt. Schlagzeilen wie Budde macht Druck auf Böhmer sind die aus Sicht der Genossen ersprießliche Folge. Schließlich weiß die Politikerin, dass ihre Partei in Bündnissen mit der CDU an die Wand gespielt werden kann: Sie verfalle in der Regierung dem Drang, die grundsätzlichen Probleme lösen zu wollen, räumte sie kürzlich in einem Interview ein: „Themen wie die Rente mit 67 werden dann eben beschlossen.“ Um Härten zu mildern, denke man sich Lösungen aus, die sich in der Koalition dann nicht durchsetzen ließen. Am Ende heiße es: „Wir haben zwar mitgemacht, aber was wir umsetzen wollten, haben wir nicht durchgekriegt.“Schulkonzepte entscheidendMit derlei Äußerungen analysierte Budde zwar das Scheitern ihrer Partei in Berlin; sie weiß aber, dass die Genossen in Sachsen-Anhalt vor ähnlichen Problemen stehen. Sie halten sich zwar zugute, den Grundsatzstreit mit der CDU in Schulfragen nicht in einen halbherzigen Kompromiss gegossen zu haben. Statt dessen wurde ein „Bildungskonvent“ etabliert. Dort stellte die SPD unlängst ein Schulkonzept vor, das mit dem der Linken faktisch deckungsgleich ist. Ein Umstand mit einiger Tragweite: Schulfragen, so Budde, seien 2011 entscheidend dafür, mit wem man regieren würde.Voreilige Schlüsse indes sind nicht angebracht. Zum einen sind derlei Äußerungen auch trefflich dazu angetan, den derzeitigen Koalitionspartner unter Druck zu setzen. Zudem beißen sich führende Genossen in Sachsen-Anhalt lieber die Zunge ab, als vorzeitig Präferenzen für 2011 erkennen zu lassen. Als noch mit der PDS regiert wurde, tobten um diese Frage erbitterte Flügelkämpfe; seither haben Kontroversen um die Hartz-Reformen und weitere Scharmützel mit der heute von Oskar Lafontaine geführten Partei die Sympathien für ein linkes Bündnis bei maßgeblichen SPD-Leuten in Mitleidenschaft gezogen; Finanzminister Jens Bullerjahn, einst Unterhändler im Magdeburger Modell, wirft der Linken sogar „Arroganz“ gegenüber der SPD vor.Bullerjahn soll es auch sein, der die SPD in Sachsen-Anhalt 2011 in den Wahlkampf führt: Als Spitzenkandidat gilt er als gesetzt. Ob das eine kluge Entscheidung ist, bezweifelt auch mancher SPD-Genosse: Der 47-Jährige, dem ein ausgesprochen gutes persönliches Verhältnis zu Regierungschef Böhmer nachgesagt wird, gilt nicht nur als Personifizierung der Koalition mit der CDU, sondern genießt auch den zweifelhaften Ruf eines Sparkommissars, der mit rigiden Kürzungen bei Personal und Ausgaben den maroden Landeshaushalt sanieren will – kaum die ideale Besetzung für einen Wahlkampf.Die Mitteldeutsche Zeitung zieht bereits Parallelen zum SPD-Frontmann bei der Bundestagswahl und sieht Bullerjahn in der „Steinmeier-Falle“. Dass sich die Partei daraus befreit, indem sie womöglich Budde auf den Schild hebt, wird zwar vermutet, ist allerdings bislang nicht zu erkennen. Bullerjahn bemüht sich vielmehr um ein sozialeres Image – und lobt ansonsten seine mögliche neue Parteichefin: Diese sei „streitbar, verlässlich und kommunikativ“, erklärt er und freut sich auf gute Zusammenarbeit.Abzuwarten bleibt, ob die Vorfreude rechtigt ist. Beobachter halten es noch nicht für ausgeschlossen, dass Hövelmann sich doch an der Macht hält – und die SPD Sachsen-Anhalt eine schöne Bescherung erlebt.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.