Gefangen im Flüchtlingscamp

Grenzen Bis zu 10.000 Geflüchtete erreichen täglich die serbisch-kroatische Grenze. Viele von ihnen landen in Flüchtlingscamps und müssen unter unwürdigen Bedingungen leben

Seine Schuhe hat er auf der rechten Seite auf Kopfhöhe neben die Isomatte gestellt. Auf der anderen Seiten stapelt sich Müll. Blaue Plastiksäcke, Bananenkisten und Plastikgeschirr. Er schläft auf dem Vorplatz des Flüchtlingscamps in Opatovac in Kroatien. 4.000 Menschen sollen hier Platz finden können, doch schon jetzt ist es so überfüllt, dass immer wieder Menschen draußen schlafen müssen, in kleinen Igluzelten oder auf dem Asphalt. Bis zu 10.000 Menschen erreichen täglich die serbisch-kroatische Grenze. Seit Ungarn die Grenzen geschlossen hat, flüchten die Menschen jetzt über Kroatien. Opatovac ist ein Transitcamp für Geflüchtete auf ihrem Weg von der serbischen Grenze nach Ungarn. Hier sollen sie medizinisch versorgt werden, etwas zu essen und einen Schlafplatz bekommen. Umgehend sollen sie dann mit Bussen an die ungarische Grenze gebracht werden. So der Plan der kroatischen Regierung.

Doch die Realität im Camp sieht anders aus. Bis zu vier Tage sollen die Geflüchteten in dem Camp verbracht haben. Stacheldrahtzaun und Soldatensorgen dafür, dass niemand das ehemalige Militärcamp verlässen kann. Kaum Informationen sollen sie erhalten haben, darüber, was gerade vor sich geht, wie lange sie noch warten müssen. Wenn die Flüchtenden dann das Camp wieder verlassen dürfen, um mit Bussen an die ungarische Grenze gebracht zu werden, kommt es regelmäßig zu Konflikten mit der Polizei. Eingesperrt hinter Metallgittern müssen sie oft stundenlang in der Sonne warten bis sie hinter das nächste Gitter dürfen und oder irgendwann in einen Bus geschleust werden. Die Behandlung der teils traumatisierten Menschen ist mehr als fragwürdig. Freiwillige Helferinnen und Helfer vor Ort berichten von dem Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray. Auch Kinder sollen Reizgas abbekommen haben. Soviel zu der europäischen Willkommenskultur.

Spontan organisieren ein paar junge Männer im Camp eine Protestkundgebung. Aus Isomatten werden Protestschilder: “Wo ist Europa?” steht auf einem Stück roter Isomatte. Sie beklagen die schlechten Bedingungen im Camp. “Wir sind keine Tiere”, steht auf einem anderen Schild. Kurzzeitig gehen sie in den Hungerstreik. Wenn es nicht genug Busse für den Transport gibt, dann würden sie eben laufen oder sich ein Taxi nehmen. Dass sie hier festgehalten werden verstehen sie nicht. Sie nennen das Camp ein Gefängnis.

Warmes Essen gibt es nicht. Nur eine Gruppe von 30 Aktivisten aus ganz Europa hat vor dem Camp zwei mobile Küchen aufgebaut und versorgt die ankommenden Flüchtenden rund um die Uhr mit Essen. Doch auch wenn sich die großen Organisationen vor Ort ihnen immer wieder persönlich für ihr Engagement bedanken, gern gesehen sind die Freiwilligen nicht. Das Rote Kreuz streicht ihnen am dritten Tag das Wasser zum Kochen. Das Wasser sei nur für eigetragene Organisationen. Polizeibeamte in zivil tauchen auf und wollen die Personalien von einzelnen Freiwilligen feststellen. Auch hier wieder die Begründung: Nur von der Regierung anerkannte Organisationen dürfen vor Ort helfen. Am fünften Tag werden sie von der Polizei aufgefordert den Vorplatz des Camps zu verlassen. Sie bauen ab und folgen einer Buskolonne, die gerade das Camp verlassen hat. Dort, wo die Flüchtenden hingebracht werden, ist die Situation wahrscheinlich auch nicht besser.

Humanitäre Katastrophen sind in vielen Fällen wie etwa in Opatovac auch karitative Katastrophen. Auch die großen Organisationen sind überfordert. Erschreckend ist, dass das Engagement der Zivilgesellschaft nicht angenommen wird oder gar gegen Aktivisten gearbeitet wird. In Opatovac sind ausschließlich Hilfsorganisationen mit einer Erlaubnis der Regierung gestattet. Sie arbeiten Hand in Hand mit der Polizei und den Behörden. Wenn Pfefferspray und Schlagstöcke zum Einsatz kommen, dann geschieht dies direkt vor ihren Augen. Das Rote Kreuz verteilt Carepakete, das UN-Flüchtlingshilfswerk gibt Decken aus und die Polizei gängelt die Flüchtlinge. Englisch sprechen die Polizeibeamten kaum. Wenn sie die Geflüchteten anschreien, dann auf kroatisch.

Unter den Helfern ist auch ein Flüchtender aus Syrien. Er hatte bereits im Exil gelebt, kehrte dann aber nach Syrien zurück um Kindern zu helfen, die nicht mehr zur Schule können, weil es diese nicht mehr gibt. Als seine Ersparnisse verbraucht waren, floh er nach Europa. “Die Kinder haben Dinge im Krieg gesehen, die nicht mal Erwachsene verkraften.” Umso unverständlicher ist es, wie wenig einfühlsam auf der Route der Flüchtenden mit den oftmals traumatisierten Menschen umgegangen wird.

Im Gegenteil: In Opatovac ist es an der Tagesordnung, dass Kinder verschwinden weil sie in der Menge von ihren Eltern getrennt werden, oftmals beim unübersichtlichen Betreten oder Verlassen des Camps. Ob sie hinterher wieder zusammenfinden, ist fraglich. Sicher ist nur, dass die Behörden vor Ort sich gar nicht erst die Mühe machen, ihnen dabei zu helfen. Ein Polizist erzählt, dass er weiß, was es bedeutet Flüchtling zu sein, er selbst floh vor dem Krieg in Kroatien. Ein Elternpaar dabei unterstützen, ihr verlorenes Kind wiederzufinden, will er trotzdem nicht.

Am Tag vor meiner Abreise beginnt es zu regnen, ein Sturm zieht auf. Immer wieder gibt es Kurzschlüsse der Scheinwerfer, die das Camp beleuchten. Menschen, die keinen Schlafplatz im Camp bekommen haben, liegen auf dem nassen Asphalt und müssen dort die Nacht verbringen. Der Regen wird vorbei gehen, doch der Winter naht. Einfacher wird es dann nicht. Wer nicht ohnehin schon durch Flucht und Krieg traumatisiert wurde, wird es hier im Camp.

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