Ernst Schumacher 1921 – 2012

Theater Ein Nachruf auf den DDR-Theaterwissenschaftler, dessen erstes Gebot lautete: Du sollst eine Meinung haben
Der Theaterwissenschaftler Ernst Schuhmacher
Der Theaterwissenschaftler Ernst Schuhmacher

Foto: dpa-Zentralbild

Natürlich, es gibt Wichtigeres, aber damals war es wichtig: Ernst Schumacher verdankte ich die erste Westreise meines Lebens. Und „Westreise“, das war eine prägende Hervorbringung der DDR. Vielleicht war das überhaupt das Wesentliche an Ernst Schumacher: Unter einer gleichsam harten marxistischen Schale ein Drängen nach Offenheit – und Öffentlichkeit.

Die Publizistik war ihm so wichtig wie die Wissenschaft, in die er sich mit seiner Dissertation „Die dramatischen Versuche Bertolt Brechts 1918-1933“ bahnbrechend einschrieb, und so nutze er auch gern den Freitag als Medium seiner streitbaren Widerborstigkeit. Während seine „Theorie der darstellenden Künste“ – er hatte den gleichnamigen Lehrstuhl an der Humboldt-Universität inne – wohl Fragment blieb, darf sein Wirken als Publizist als vollendet gelten. Schumacher war der Inhaber des theaterkritischen Meinungsmonopols in Ostberlin und so umstritten, wie es dieses Amt verlangt. Die originäre Substanz dieser Arbeit für die (Ost-) Berliner Zeitung war Schumachers energisches Insistieren auf Meinung und Haltung.

Schaf im Wolfspelz

Seine unmittelbare Herbeiziehung von Partei und Plenum war mitunter deutlicher als es des Landes zwingender Brauch war, doch vor allem wusste er sich dem ersten Gebot der Theaterkritik verpflichtet: Du sollst eine Meinung haben. In der Situation der DDR waren Kritiker, auch in ihrem Selbstverständnis, häufig eher solidarische Verbündete der Bühnen als deren kritische Gegenüber. Diese Solidarität war begründbar, doch sie begründete zugleich eine Solidargemeinschaft von Theater und Kritik, die diesem Verhältnis nicht selten die Spannung nahm. Schumacher aber war bei Gelegenheit bereit, diesen Konsens aufzukündigen. Knurrend, mit bajuwarischer Hartköpfigkeit. Auch das machte ihn zu einem Solitär – und seine Persönlichkeit, sein Habitus, seine Ausstrahlung.

Er sei, so hatte er einmal gesagt, so etwas wie ein Schaf im Wolfspelz, und wer je bei ihm studierte wird das bestätigen. Es ist nicht Schumachers Leistung, dass der Student Frank Castorf sich später in die Weltgeschichte des Theaters einschreiben konnte. Aber es ist seine Leistung, dass an dem lang von ihm geleiteten Bereich Theaterwissenschaft der Humboldt-Universität eine Offenheit herrschte, die in der DDR keineswegs selbstverständlich war. Debatte wurde hier nicht toleriert, sie wurde belohnt. Jeder Student erhielt umstandslos den sogenannten „Giftzettel“, der in den Bibliotheken die Schränke mit der indizierten Literatur öffnete. Gemeinsam mit den prägenden Dozenten Joachim Fiebach und Rudolf Münz schuf Ernst Schumacher dort unterm Dach der Universitätsstraße 3b eine Atmosphäre, die in uns eine Hoffnung pflanzte: So könne der Sozialismus sein. Ein Klima, für das ich diesen drei Intellektuellen dankbar bis auf den Tag. Umso melancholischer machte mich Ernst Schumachers Buch Mein Brecht (2006), das eigentlich Mein Leben hätte heißen sollen. Die camouflierte Autobiografie eines Wissenschaftlers und Publizisten, der traurig schien, weil er kein Dichter wurde. In der Eröffnungsvorlesung unseres Studiums, September 1972, sprach er von der Magie des Jahres 2000, dass er nicht mehr erleben würde. Ich gönnte es ihm von Herzen, sich hier geirrt zu haben. Ernst Schumacher starb, 90 Jahre alt, am 7. Juni 2012.

Der Film- und Theaterkritiker Henryk Goldberg studierte in den siebziger Jahren bei Ernst Schumacher an der HU Berlin

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