Rot-Grün-Rot – echt jetzt?

Neue Machtoptionen Die SPD hat Olaf Scholz als Kanzlerkandidat nominiert. Was bedeutet das für die Bundestagswahlen – und ein mögliches linkes Bündnis?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wäre Olaf Scholz der richtige Architekt für ein linkes Bündnis?
Wäre Olaf Scholz der richtige Architekt für ein linkes Bündnis?

Foto: Ina Fassbender/AFP/Getty Images

Nach der frühzeitigen Nominierung von Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten und den ersten Reaktionen aus der SPD, den anderen Parteien und vielen politischen Kommentatoren ergeben sich auf den ersten Blick neue Machtoptionen für die Bundestagswahl.

Zeit für die große Koalition läuft ab

Die Union wird mit einem Kanzlerkandidaten antreten, der keinen Amtsinhaberbonus vorweisen kann. Das birgt Risiken für die Union und Chancen für die Mitbewerber um das Kanzleramt. Die Zeit für eine große Koalition scheint mit der nächsten Bundestagswahl auszulaufen, wenn die SPD nicht weiterhin trotz aller Bemühungen, gute Arbeit in der Großen Koalition abzuliefern und trotz gutem Krisenmanagement des Finanzministers, schlechte Wahlergebnisse einfahren will. Die Union wird natürlich versuchen, wieder stärkste Partei zu werden, wird aber einen neuen Koalitionspartner brauchen. Die Frage, ob die national-völkische AFD als ein solcher Partner in Betracht kommt, kann in Teilen der CDU vor allem in den neuen Bundesländern durchaus zur Zerreißprobe werden. Derzeit ist aber nicht erkennbar, dass CDU/CSU das tatsächlich anstreben und es würde dazu führen, viele bisherigen Wähler der durch Angela Merkel modernisierten Partei wieder zu verlieren.

Neue Chance für die SPD?

Die SPD-Führung hat in überraschender Einmütigkeit ihren Kanzlerkandidaten frühzeitig präsentiert und die Parteivorsitzenden und Olaf Scholz gemeinsam versucht, inhaltlich viel Übereinstimmung erkennen zu lassen. Da dürfte in der Gesamt-Partei allerdings durchaus differenzierter gesehen werden. Die SPD wird offensichtlich nicht das völlig unrealistische Ziel verfolgen, stärkste Partei im Bundestag werden zu wollen. Die SPD will mit ihrem Spitzenkandidaten die stärkste Kraft eines neuen sogenannten progressiven Bündnisses werden mit einem angestrebten Ergebnis für die SPD von über 20 %. Ein nicht von vornherein unerreichbares Ergebnis, sofern es der SPD mit Olaf Scholz gelingt, der CDU Stimmen aus der sogenannten bürgerlichen Mitte abzunehmen.

Neue machtpolitische Optionen

Einiges spricht für die bis vor kurzem unerreichbar scheinende und unerwartete Machtoption Rot-Grün-Rot. Diese ist voraussetzungsvoll: Die Grünen müssten sich auf hohem Niveau bei knapp 20 % stabilisieren – was ihr durch die weiterhin bedrohlichen Auswirkungen der Klimakrise gelingen könnte. Zudem müsste eine regierungswillige Linke mit den Kernthemen Umverteilung und prekäre Arbeit ein Wahlergebnis von annähernd 8-10 % erreichen. Es käme dann auf die Grünen an und die Chance für sie, in einer links-liberalen Konstellation erfolgreicher Umweltpolitik durchzusetzen zu können als in einer Koalition mit der CDU. Aber auch für den Fall, dass die SPD mit einem erneuerten sozialdemokratischen Profil zwar ein respektables Ergebnis einfahren sollte, aber die Grünen stärker werden, scheint es die Bereitschaft der neuen SPD-Führung zu geben, in einer dann grün-rot-roten Konstellation eine grüne Kanzlerin oder einen grünen Kanzler mitzutragen. Das wäre aus Sicht der Grünen sicherlich einer Rolle als Juniorpartner der Union vorzuziehen. Es wäre auch ihre Chance, an der Jahrhundertaufgabe der Überwindung der Klimakrise und der Gestaltung der entsprechend notwendigen Transformationsprojekte zur Erreichung der Klimaziele führend in unserem Land und in der EU mitzuwirken.

Was wären einige Voraussetzungen und Fallstricke solch strategischer Überlegungen in Sachen Rot-Grün-Rot bzw. Grün-Rot-Rot

SPD: Das Führungsduo der SPD steht nach den Verlautbarungen zur Nominierung von Olaf Scholz mit ihm dafür ein, dass die SPD wieder ein stärkeres sozialdemokratisches Profil entwickelt mit mehr Respekt und Anerkennung für diejenigen, die häufig in systemrelevanten (auch nicht-akademischen und handwerklichen) Berufen arbeiten, aber wenig verdienen und nur eine geringe Anerkennung ihrer beruflichen Lebensleistung erhalten. Eine gut ausgebaute öffentliche Infrastruktur bei Gesundheit, Bildung und Verkehr und tariflich abgesicherte gute Arbeit und Beschäftigungssicherung könnten neben anderen Themen offensichtlich wichtige Bausteine eines solchen sozialdemokratischen Profils werden - auch über die Corona-Krise hinaus -auf die sich auch Grüne und Linke einlassen können.

Voraussetzung für stabilere und bessere Wahlergebnisse der SPD wird allerdings sein, über die Person von Olaf Scholz und seine Rolle als Krisenmanager und Finanzminister, der im entscheidenden Moment die immer schon fragwürdige Schuldenbremse gelockert hat, ehemalige enttäuschte Wähler insbesondere von der CDU zurückzuholen. Kann das gelingen, wenn man gleichzeitig offen sein muss und will für eine progressive Mehrheit unter Einschluss der Linken? Auf keinen Fall wäre diese Mehrheit allerdings zu erreichen, wenn SPD, Grüne und Linke bei allen berechtigten und notwendigen Bemühungen um gute Wahlergebnisse sich vor allem gegenseitig Wählerstimmen abzujagen versuchen. Im Ergebnis würde das zu einem politischen Nullsummenspiel führen und nicht zu einer progressiven Mehrheit. Zu beachten ist weiterhin, dass die frühe Nominierung des Kanzlerkandidaten der SPD das erhebliche Risiko birgt, von aktuellen Probleme der Tagespolitik als Finanzminister eingeholt zu werden.

Grüne: Vor allem in der akademisch gebildeten neuen Mittelschicht und insbesondere bei jungen Wählerinnen und Wählern werden die Grünen weiterhin gute Wahlergebnisse erzielen können. Mit einer Mischung aus sozialverträglicher Klimaschutzpolitik, dem Einstehen für einer liberale Demokratie insbesondere dem Bewahren von Bürgerrechten und mit einem flexibel agierenden und gut ankommenden Führungsduo werden die Grünen einen stärker werdenden Machtfaktor in der Bundespolitik darstellen. Umstritten könnte in der Partei sein, ob man sich auf die in der Tat vorhandenen Unwägbarkeiten einer neuen progressiven Mehrheit einlässt oder besser mit der CDU eine breite bürgerliche Mehrheit bildet.

Linke: Mit einem starken Engagement in Sachen Umverteilung z.B. durch eine Vermögenssteuer und einer gewerkschaftsnahen Politik der Regulierung des Arbeitsmarktes bzw. der Zurückdrängung prekärer Arbeitsverhältnisse und weiterer Initiativen zur Arbeitszeitverkürzung wird die Linke versuchen, ihr Wählerpotential zu halten. In letzter Zeit ist es der Linken offensichtlich auch stärker gelungen in großstädtischen Milieus, bei zu gering bezahlten Pflege-Berufen, Erziehern und bei Beschäftigten in prekären Jobs in der IT- und Digitalwirtschaft zu punkten. Die gravierendsten Unterschiede zu SPD und Grünen kann man in den Verlautbarungen und Positionen zur Außenpolitik wahrnehmen. Das könnte ein ernstes Hindernis für eine gemeinsame Politik sein. Allerdings hat die Ko-Vorsitzende Katja Kipping mit ihrem neuen Buch unter dem Titel „Neue linke Mehrheiten“, das noch vor den notwendigen Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise erschienen ist, eine Einladung zur Debatte um die Möglichkeiten und das Erreichen neuer linker Mehrheiten und einer neuen sozialen Demokratie ausgesprochen. Bemerkenswert an der politischen Ausrichtung des Buches ist, dass es konsequent auf das politisch Verbindende von Rot-Rot-Grün in Zeiten der Angriffe auf die Demokratie, Herausforderungen des Klimawandels und von uneingelöster Versprechen sozialer Gerechtigkeit fokussiert ist. Auf der Suche nach neuen Mehrheiten reicht es demnach offensichtlich nicht aus, ständig die Probleme des Kapitalismus zu beschwören und die politischen Differenzen von Linkspartei, SPD und Grünen in den Vordergrund zu schieben. Mit Blick auf die Notwendigkeit und Möglichkeit neuer Mehrheiten findet sich am Ende des Buches von Katja Kipping anstelle eines Anhangs eine Liste von „Projekten für eine Regierung der Hoffnung“ (S. 88 ff.). Eine gelungene Idee und ein Signal, die vielen bereits existierenden Projekte und politisch Handelnden ernst- und mitzunehmen.

Wer sonst?

Zu der Person von Olaf Scholz und zu der verbliebenen Chance für ein progressives Bündnis hat Stefan Reinecke einen klugen Kommentar in der taz geschrieben und Fragen gestellt, die derzeit in der Tat noch nicht beantwortet werden können:

„Die SPD hat sich zäh von der Agendapolitik entfernt ... Dass die Partei jetzt ausgerechnet den letzten aktiven Agenda-Politiker zu ihrem Kanzlerkandidaten kürt, offenbart eine recht komplizierte Dialektik. Und doch ist Scholz derzeit die einzig realistische Wahl. Ob er auch der richtige ist, wird davon abhängen, ob er das Riff umschifft, an dem alle SPD-Wahlkämpfe seit 2005 zerschellten - den Mangel an einer Machtperspektive jenseits der Union. Die SPD hat nur eine Chance, wenn sie glaubhaft macht, Teil eines grün-rot-roten Bündnisses zu sein. Kann Scholz das?“

Herbert Bludau-Hoffmann blogt auf herbertbludauhoffmann.home.blog

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden