Wer stoppt Stanley Fischer?

FRÜHJAHRSTAGUNG VON IWF UND WELTBANK Die USA wollen eine radikale Wende zu ihren Gunsten

Nach dem langen Streit um den Chefposten geht es an diesem Wochenende in Washington um die politische Richtung. Konflikte zwischen den USA und der EU prägen die diesjährige Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank.

Eine Wiederholung von Seattle wird es in Washington wohl nicht geben. Während die von der WTO behandelten Themen in den USA stets Sprengstoff bergen, spielt die US-Innenpolitik beim IWF und bei der Weltbank eine geringere Rolle. Die Debatten über die Zukunft des IWF werden weitgehend unter Ausschluss der amerikanischen Öffentlichkeit geführt: US-Arbeitsplätze sind durch die Arbeit des Fonds nicht gefährdet. Zudem deutet vieles darauf hin, dass die Sicherheitskräfte ihre Lehren aus Seattle gezogen haben und alles daran setzen, einen reibungslosen Ablauf zu garantieren.

Nach den Spannungen zwischen der Europäischen Union und den USA wegen der Nachfolge von Michel Camdessus überrascht es auf den ersten Blick, dass der neue IWF-Chef Horst Köhler sein Amt noch nicht zur Frühjahrstagung antritt. Er überlässt die Durchführung dem amtierenden IWF-Direktor Stanley Fischer. Dies mag andererseits ein kluger Schachzug sein: Köhler hätte in eine schwierige Lage geraten können und relativ unvorbereitet kritische Fragen der Finanzminister beantworten müssen.

Köhler hat damit etwas mehr Zeit, sich auf die Auseinandersetzung mit seinem wahrscheinlich schärfsten Widersacher im Fonds, dem Amerikaner Fischer, vorzubereiten. Fischer steht, bei aller Verbindlichkeit seines Auftretens, für die uneingeschränkte Durchsetzung eines dogmatischen, neoliberalen Kurses: Ziel der Arbeit des IWF muss es sein, weltweit den Kapitalverkehr zu liberalisieren und Regulierungen zurückzudrängen. Der frühere Hochschullehrer Fischer handelt dabei selbstredend nicht nur gemäß einer abstrakten ökonomischen Lehrbuchweisheit, sondern hat ganz konkrete Interessen vor Augen. Die amerikanischen Banken und Investmentfonds wollen weltweit Geld verdienen, und dazu müssen Ihnen die Finanzmärkte anderer Industrie-, aber auch der Entwicklungs- und Schwellenländer offen stehen.

Fischer hat deshalb darauf verzichtet, während der jüngsten internationalen Finanzkrisen ein erhebliches Maß an Mitverschulden der internationalen Finanzmärkte zu konstatieren. Von seiner Analyse, die Krisen seien "mainly homegrown", also vorwiegend selbstverschuldet, rückte Fischer nicht ab. Gleichzeitig haben einflussreiche europäische Akteure eine weit kritischere Position. Der frühere Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer, gewiss kein dogmatischer Kritiker des Kapitalismus, stellte im vergangenen Jahr fest, dass nur marktradikale Beobachter ein erhebliches Mitverschulden der internationalen Finanzmärkte, insbesondere an der Asienkrise, leugnen würden.

Horst Köhler hat sich in ersten Interviews nach seiner Nominierung zum Nachfolger von Michel Camdessus diese kritische Position zu eigen gemacht und gefordert, Entwicklungs- und Schwellenländer stärker zu unterstützen. Dazu gehören, nach Köhlers Verständnis, Beschränkungen des Marktzugangs: Den Finanzsektoren in ärmeren Ländern soll eine eigene Entwicklung ermöglicht und international operierende Banken sollen mithin in ihrer Arbeit begrenzt werden. Damit noch nicht genug. Köhler hat sich sogar für Beschränkungen des internationalen Kapitalverkehrs ausgesprochen: Entwicklungsländer sollten in die Lage versetzt werden, einen ungewünschten Zufluss von ausländischem Kapital durch Steuern oder andere Mittel zu begrenzen.

Mit diesen Positionen steuert Köhler einen Konfrontationskurs mit den Vertretern der USA. Sowohl Stanley Fischer als auch US-Finanzminister Larry Summers (der bei Fischer promovierte) fordern eine radikale Wende des IWF: Nur noch denjenigen Ländern, die ihre Finanzsektoren für ausländische, sprich amerikanische, Konkurrenz öffnen, soll vom IWF im Krisenfall geholfen werden. Unterstützung gibt es dabei vom US-Kongress, dem ohnehin multilaterale Institutionen suspekt sind und der diese nur dann fördern möchte, wenn der Vorteil für die USA deutlich erkennbar ist.

Anders als in den vergangenen Jahren werden bei dieser Frühjahrstagung auch die wirtschaftlichen Entwicklungen in den Industrieländern selbst zentrale Bedeutung haben. Am wenigsten problematisch stellt sich gegenwärtig, aus Sicht des IWF, die wirtschaftliche Lage in Europa dar. Sorgen gibt es allerdings wegen des schwachen Wechselkurses des Euro: Infolge billiger Importe aus Europa könnte der Abbau der bedrohlich angestiegenen Handelsbilanzdefizite der USA erschwert werden.

Problematischer hingegen ist die Situation in Japan und in den USA. Japan leidet unter einer Wirtschaftskrise mit Rekorddauer, mittlerweile mehr als zehn Jahre. Im Gegensatz dazu wächst die Wirtschaft in den USA immer noch schnell. Deshalb versäumt der IWF auch keine Gelegenheit, auf die daraus resultierenden Ungleichgewichte und Gefahren hinzuweisen. Falls die von vielen Beobachtern seit langem, wenngleich bisher unzutreffend prognostizierte, harte Landung der US-Ökonomie erfolgen sollte, sieht der IWF die USA gleichwohl gut gerüstet. Die in den vergangenen zwei Jahren erzielten und auch künftig anfallenden Überschüsse der öffentlichen Haushalte könnten dann zur Stabilisierung der Konjunktur verwendet werden.

Die Frühjahrstagung wird gewiss noch keine einschneidenden Beschlüsse bringen. Es ist vielmehr zu erwarten, dass die Entscheidung über eine inhaltliche Neuausrichtung erst einige Zeit nach Köhlers Amtsantritt fallen wird. Zu rechnen ist mit intensiven Debatten - hinter verschlossenen und gut bewachten Türen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Wissen, wie sich die Welt verändert. Abonnieren Sie den Freitag jetzt zum Probepreis und erhalten Sie den Roman “Eigentum” von Bestseller-Autor Wolf Haas als Geschenk dazu.

Gedruckt

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt sichern

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden