Nur Gerichte stoppen noch die Reklame. Der eindeutige Werbeslogan des Energieversorgers RWE, »Günstigster Strom in Deutschland«, musste nach einem Richterspruch entschärft werden. An farbigen Botschaften der Stromverkäufer mangelt es freilich trotzdem nicht. Privatkunden scheinen heiß begehrt zu sein. Tatsächlich aber geht es den Energieversorgern vorrangig nicht um neue Kleinkunden. Eigentlicher Adressat des Reklamerummels sind das Kartellamt und die Berliner Wettbewerbspolitik. Die werbenden Strom-Verkäufer hüllen sich in verbalem PR-Nebel.
Viele Branchen-Insider sind sich einig: Angesichts von nur einigen tausend Kunden, die bereit sind, ihren Stromlieferanten zu wechseln, ist der millionenschwere Werbezauber eigentlich ein Flop. Zwar lös
r löste die beispielhafte Kampagne der Firma Yello (»gelber Strom«) lebhafte Neugierde aus, aber an konkreten Wechselentscheidungen zugunsten neuer oder auch etablierter Anbieter scheint es zu mangeln. So sollen bei RWE Energie lediglich 1.000 neue Stromverträge abgeschlossen worden sein. Angeblich hatte die Branche sogar einen Flop erwartet. Lediglich zehn Prozent der Stromkunden gelten selbst Branchenoptimisten als potenzielle Wechselwähler. Trotzdem könnten sich diese scheinbaren Fehlinvestitionen am Ende doch noch auszahlen, schließlich ist das Hauptziel bereits erreicht: Das Marktgeschehen erscheint von außen wie richtiger Wettbewerb.Giga-Fusion VEBA / Viag Hinter der ganzen Stromgeschichte verbirgt sich aber wohl eher ein abgekartetes Drehbuch. Yello und andere neue Namen signalisieren der Öffentlichkeit mit ihren Werbekampagnen einen scharfen Kampf um die Kunden. Der Wettbewerb scheint zu blühen. Das Kartellamt gibt sich damit zufrieden. Solange Wettbewerb stattfände, seien selbst Großfusionen akzeptabel, heißt es aus der Behörde. Da alles in Ordnung zu sein scheint, sperrt sich das Kartellamt gegen eine Regulierungsbehörde, wie sie auf dem Telekommunikationsmarkt einigermaßen erfolgreich wirkt. Das Kartellamt scheint im Stromgeschäft alles laufen lassen zu wollen. Hinzu kommt, dass es ihm an Kapazitäten mangelt. Durch den Umzug nach Bonn verliert das Amt etwa ein Viertel seiner intellektuellen Manpower. Ohnehin sind die Stromkenner mit zehn Leuten eine kleine Minderheit (in der Telekom-Regulierungsbehörde arbeiten immerhin 3.000). Das Ergebnis: Dank Scheinwettbewerb und dem Fehlen einer effizienten öffentlichen Regulierung können die Stromgiganten den deutschen Markt nach ihren Vorstellungen begradigen.Nicht erst seit dem Giga-Zusammenschluss von VEBA und Viag, der Anfang der Woche dingfest gemacht wurde, besteht Anlass zur Sorge. Vordergründig betrachtet, regiert noch die Vielfalt, denn schließlich wirken auf dem deutschen Strommarkt 900 Energieversorger, Kraftwerksbetreiber und Stadtwerke. Hinter dieser Fassade haben sich jedoch zwei Gruppen kapitalmäßig zusammengeschoben, die alles dominieren.Die Viag-VEBA-Preussenelektra-Bayernwerk-Gruppe hat mit einem weitverzweigten Netz von Kapitalbeteiligungen und Kooperationsverträgen eine nahezu komplette Nord-Süd-Schiene aufgebaut. Der Herrschaftsbereich dieser großen Koalition aus CSU- und SPD-beeinflussten Energieversorgern reicht von Schleswig-Holstein, über Niedersachsen und Hessen bis nach Bayern. Die zweite Gruppe besteht aus RWE, VEW und Energie Baden-Württemberg (EnBW). Yello >ist eine Tochtergesellschaft der EnBW und gehört damit zu diesem Verbund, dessen Haupteinflussgebiet von Süd-Niedersachsen über Westfalen bis nach Baden-Württemberg reicht.Den Osten bewirtschaften die beiden Gruppen gemeinsam. Das Nach-Wende-Kunstgebilde Vereinigte Energiewerke AG (VEAG) deckt den ostdeutschen Strombedarf weitgehend ab. Die VEAG ist eine Gemeinschaftsveranstaltung fast aller deutschen Versorger. Hauptaktionäre sind freilich die beiden Großgruppen. Für die Zukunft darf eine Zerschlagung der VEAG erwartet werden. Die Einzelteile könnten dann an die kleineren Töchter der beiden Großgruppen verteilt werden, womit der Strommarkt in Deutschland dann definitiv in zwei Herrschaftsbereiche aufgeteilt wäre. Den Kampfpreisen dieses Duopols werden vor allem Stadtwerke zum Opfer fallen. Eingebettet in kommunale Geschäftsschranken und oft an die eigene, teure, aber umweltfreundliche Stromgewinnung per Kraft-Wärme-Kopplung gebunden, scheinen viele nur noch zwischen Pleite und Ausverkauf an einen Großen wählen zu können. Unabhängige Inseln in diesem Fusionsmeer sind - mit Abstrichen - noch die hamburgische HEW und die Bewag, die Berliner Kraft- und Licht AG.Ende September ist nun die alte Vereinbarung ausgelaufen, wonach sich die Branche selbst auf die sogenannten Netzdurchleitungstarife und andere »Wechselkosten« einigen soll. Abzuwarten bleibt, ob es dann vorbei ist mit horrenden Stromzählergebühren, die von wechselwilligen Privatkunden verlangt werden. Der Manager eines großen Stromversorgers behauptet jedenfalls, dass in den Verbändegesprächen die Aufteilung Deutschlands in zwei Handelszonen längst beschlossene Sache sei . Bei Übertritt der Grenze werde Wegezoll fällig - für Konkurrenten aus dem Ausland oder kleinere Energiefirmen. Darunter leiden bereits alternative Anbieter von Ökostrom und No-Atom-Produkten. In der Praxis klappt die Durchleitung von »fremdem« Strom schlecht oder gar nicht, oder sie ist zu teuer.Stadtwerke könnten kräftig mitspielen Selbstverständlich wird ein solches Zwei-Gruppen-Kartell branchenweit dementiert. Andere kalkulieren bereits mit ihm: So geht die Deutsche Bank von einem ähnlichen Szenario aus. »In der künftigen Champions-League können dann vielleicht noch zwei bis drei Deutsche mitspielen«, schreiben ihre Analysten in dem Hausmagazin Private Banking. »Großfusionen werden also an der Tagesordnung sein«, auch europaweit.Die Zeche zahlen vor allem die Stadtwerke. Auf Dauer könnte die Oligopolisierung des Stroms die privaten Verbraucher noch teuer zu stehen kommen, sei es durch hohe Preise, durch eine unübersichtliche Flut von Angeboten oder durch fehlende Investitionen der Konzerne in die - bislang noch international beispielhafte - Infrastruktur. Auf das nationale oder europäische Kartellrecht kann dagegen nicht gesetzt werden. Den Stadtwerken hilft wohl nur, den Spieß einfach umzudrehen. Statt das Argument »Europa erzwingt Fusionen« für die eigene Selbstaufgabe misszuverstehen und in einer der beiden Großgruppen willenlos aufzugehen, wären die Stadtwerke durchaus in der Lage, selbst kräftig mitzuspielen. Sie könnten Strom, Gas und Energie anderswo einkaufen und damit die hiesigen Stromverkäufer unter Druck setzen. Zudem könnten sie sich ihrerseits zusammenschließen. Darauf läuft jetzt ein neuer Vorschlag der VEW hinaus. Das sechstgrößte Stromunternehmen befindet sich im Eigentum von Gebietskörperschaften und schlägt eine Fusion der Stadtwerke vor, genannt »Deutsche Energie Union AG«. Vielleicht könnten sich dadurch die Kleinen gegen die beiden Großen ein wenig Luft verschaffen.