Sie sind für viele die großen Unbekannten im globalen Geldgeschäft. Dabei läuft ohne sie heute kaum noch etwas. Die Rede ist von Rating-Agenturen wie Moody's oder Standard Poor's. Egal, ob ein einzelnes Finanzprodukt oder eine ganze Bank, ob ein Milliardenkredit oder die Umweltaktivitäten eines Unternehmens, alles und jedes wird mittlerweile von solchen Analystenfirmen bewertet. Inzwischen entscheidet deren »Rating« (Einstufung, Bewertung) maßgeblich über den geschäftlichen Erfolg von ganzen Konzernen. Kritik kann da nicht ausbleiben.
Sie wirken unscheinbar, und sie arbeiten im Stillen. »Einmal im Jahr kommt ein Trupp von Leuten vorbei«, erzählt ein Frankfurter Großbanker. Dieser Trupp von Kontrolleuren trifft sich mit dem Chef der hausinternen Bankbilanzen oder den Konzernstrategen im Vorstand. Die Bewertungsexperten bekommen neben der Weichware aus solchen intimen Gesprächen obendrein einen »Wust von harten Informationen« aufgetischt. Schließlich ist auch das untersuchte Kreditinstitut an einem guten Rating interessiert.
Schon im Jahr 1900 wurde Moody's in New York gegründet. Ursprünglich ging es um handelbare Finanzpapiere, später kam die Beurteilung von Banken, Versicherungen und Industriekonzernen hinzu. Das standardisierte Rating bietet Dritten, den internationalen Investoren, einen Maßstab, um ihre Risiken abzuschätzen. So sagt die Rating-Note im Grunde nur zweierlei, wie wahrscheinlich eine Rückzahlung des eingesetzten Kapitals ist, und wie sicher die Zinsen und Renditen fließen werden. Mittlerweile werden auch Umweltrisiken oder einige große Investmentfonds »gerätet«.
Die weltweit etwa 80 Zensorenzentralen sind meist private Unternehmen. So beschäftigt Europas Nummer eins - Fitch IBCA mit Sitz in London - immerhin etwa 700 Beschäftigte in 23 Niederlassungen. Der Umsatz soll jedoch umgerechnet insgesamt nur magere 270 Millionen DM betragen - etwa ein Zehntel eines Branchenriesen. »Zwei ragen aus der Reihe international tätiger Bewerter heraus«, urteilt ein Hamburger Branchenkenner: Standard Poor's Corporation und Moody's Investors Service. Beide dominieren den weltweiten Markt, und ihre Ratings sind im internationalen Finanzbusiness letztlich maßgebend.
Die beiden milliardenschweren Konzerne sind in den USA beheimatet. Das weckt Misstrauen. In der Bundesrepublik sind sie lediglich mit kleinen Büros präsent, die teilweise nur acht Leute beschäftigen. Für die Bewertung von Deutscher Bank oder Allianz werden dann Spezialisten aus London oder von der Wallstreet eingeflogen. An dieser Distanz sowie an der schleichenden Amerikanisierung stört sich mancher in Frankfurt, Brüssel oder Paris. Im Großen und Ganzen sei man jedoch mit dem Rating zufrieden, signalisieren Frankfurter Großbanken tapfer. »Aber die eigentliche Frage ist doch, ob wir nicht eine große Agentur in Europa brauchen«, sagt ein Commerzbank-Sprecher. Zählbares hat sich in Euroland freilich bislang wenig getan.
Die Bewertungen folgen dem Alphabet. »Aaa« ist top, eine Bewertung mit »C« ist katastrophal. Zudem wird über Zahlen oder Plus- und Minuszeichen im Feinbereich gewertet. Notiert eine Länderanleihe mit »Aaa« (Triple A), ist damit die allerhöchste Stufe erklommen. Sie erreichen allerdings weltweit nur wenige Länderanleihen und einige Banken und Versicherungen.
Aber selbst ein gutes Rating-Ergebnis von Währung, Bank oder Produkt muss für Anleger, die in jene investieren, kein Ruhekissen sein. Die Asienkrise hat nachhaltig die Schwächen der Finanz-Oberlehrer bewiesen. Jahrelang wurden Anleihen von Korea oder Thailand mit besten Noten versehen. Erst als die Finanz-Bombe geplatzt war und die globalen Finanzmärkte am Rande der Katastrophe standen, bemerkten die amerikanischen Rating-Agenturen ihre schweren Fehler. Selbst die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), gewissermaßen die Zentralbank der Zentralbanken, kritisiert mittlerweile das Versagen der Vorwarner.
Selbst die grundsoliden deutschen Großbanken sind nicht mehr sicher vor den Bewertern. Seit 1998 sanken deren Ratings vom exzellenten Spitzenwert »Aaa« über ein sehr gutes »Aa1« auf ein kaum noch sehr gutes »Aa3«. Kein Drama, aber doch ein Warnschuss vor den Bug der Finanztanker. Die Commerzbank führt ihren Abstieg hauptsächlich auf ein stärkeres Engagement im riskanten Investmentgeschäft zurück: »Wir sind heute stärker in weniger gesicherten Märkten aktiv als früher.« Bei der Deutschen Bank zweifeln die Bewerter zudem am Erfolg der Fusion mit Bankers Trust. Nach Einschätzung der Dresdner Bank wurde »insbesondere die starke Risikobereitschaft in Ostdeutschland benotet«.
Die Commerzbank betrachtet ihr »Aa3« dennoch als Top-Rating. Viele internationale Geldinstitute schneiden schließlich deutlich schlechter ab. Das Problem: Im Alltag folgt der schlechteren Bewertung eine verteuerte Geldbeschaffung. Vorzugsweise auf dem sogenannten Interbankenmarkt - dort versorgt man sich mit frischem Geld - machen sich schlechte Noten durch einen Zinsaufschlag negativ bemerkbar. So zahlt eine Bank mit Aa-Note etwa zehn Basispunkte mehr als eine Aaa-Bank - pro Milliardengeschäft betragen die Mehrkosten immerhin eine Million Mark.
Vor diesem Hintergrund wächst das Unwohlsein in der europäischen Finanzbranche über die US-Dominanz. Unter dem Mantel der braven Zufriedenheitserklärungen sucht die Branche derzeit nach einem europäischen Kompromiss, der den Aufbau einer eigenen multinationalen EU-Rating-Agentur ermöglicht. Diese könnte bald noch wichtiger sein, denn zukünftig wird das ohnehin gewaltige Gewicht der Bewerter noch weiter wachsen. Durch die von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) geplanten internationalen Standards für Bankgeschäfte müssen Unternehmen ohne Gütesiegel künftig höhere Kosten und dadurch eine schlechtere Wettbewerbsposition befürchten. Vorangetrieben wird diese Entwicklung zu größerer Stabilität durch eine große Koalition aus IWF und US-Präsident Clinton, Europäischer Kommission und Finanzmultis. Aus Sicherheitsgründen soll jedes Geldgeschäft mit einem bestimmten Satz an Eigenkapital unterlegt werden. Darüber besteht Einigkeit. Wie hoch allerdings das jeweilige konkrete Risiko und damit das zurückgelegte Eigenkapital sein muss, soll - nach dem Willen der amerikanischen Fraktion - von Rating-Agenturen festgelegt werden. Nutznießer wären amerikanische Firmen, auch weil in den USA seit Jahrzehnten solche Ratings üblich sind.
In Deutschland sind derartige Zensuren noch selten. Selbst die 30 Spitzenkonzerne, deren Aktien im DAX notiert sind, können nicht alle auf eine eigene Note verweisen. Besorgt sind hierzulande auch Mittelständler, da sie stark am Kredithahn der Banken und Sparkassen hängen. Eine Rating-Pflicht täte »uns nicht gut«, befürchtet der Präsident des Unternehmerverbandes Gesamttextil, Josef Beckmann. Im Endeffekt würden Darlehen für kleine und mittlere Firmen teurer, so die berechtigten Befürchtungen.
Eigentlich hat eine neutrale Bewertung von Finanzprodukten und Konzernen ihren Charme. Mehr Transparenz könnte der Kapitalismus gut vertragen. Aber die reale Rating-Qualität leidet unweigerlich unter dem Mangel an konkurrierenden Agenturen. Seit der Asienkrise wird daher immer öfter gefragt: »Wer kontrolliert eigentlich die Kontrolleure?« - der Markt jedenfalls nicht.
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