Kritische Masse, regionale Klasse

Stützpfeiler Industriepolitik Bei den angeschlagenen Landesbanken ist weit mehr in Gefahr als ein paar tausend Arbeitsplätze

Josef Falbisoner hat Sorgen. "Wir sehen unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigt", sagt der Landesbezirksleiter der Gewerkschaft Verdi in München. Politik und Management hätten bei der Bayerischen Landesbank ein beispielloses Debakel angerichtet. Das Debakel wird Jobs kosten, nicht allein im Freistaat. Doch bei den Landesbanken in Bayern und Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Sachsen steht weit mehr auf dem Spiel, als ein paar tausend Arbeitsplätze. Gespielt, gefeilscht und spekuliert wird um die Chancen der Landesregierungen, zukünftig noch regionale Industriepolitik zu betreiben. Und um die Aussichten des öffentlichen Bankensektors, die Deutsche Bank und andere private Institute weiterhin in Schach zu halten.

Es ist anderthalb Jahre her, dass das Elend der Landesbanken erstmals an die Öffentlichkeit drang, nicht in Bayern, sondern in einem anderen Freistaat: Im August 2007 war die Landesbank Sachsen faktisch pleite. Wie sich zeigen sollte, handelte es sich um einen symptomatischen Fall.

Ausgerechnet die kleinste öffentlich-rechtliche Landesbank hatte mit US-Schrottkrediten ein besonders großes Spekulationsrad gedreht. Bei einer Bilanzsumme von gerade einmal 68 Milliarden Euro hatte die SachsenLB einen außerbilanziellen Hebel von 25 Milliarden Euro aufgebaut. Zu diesem Zweck hatten Herbert Süß und seine Vorstandskollegen in der Steueroase Dublin zwei "Conduits" gegründet. Solche Zweckgesellschaften tauchen nur am Rande der Bilanz auf und verschwinden damit aus dem Blickwinkel der internen, ohnehin oft fachlich überforderten Kontrolleure im Verwaltungsrat und des personell unterbesetzten Bundesaufsichtsamtes Bafin.

Als der Immobilienmarkt und das daran hängende Kreditgeschäft im Sommer 2007 in den USA zusammenbrachen, war die Landesbank Sachsen nicht mehr flüssig. Die Sparkassenorganisation und das Land retteten das Institut vor der Pleite. Kurz darauf übernahm die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) das Sorgenkind.

Genau so leichtsinnig wie die SachsenLB hatten viele große und kleine Privatinstitute gespielt, aber eben auch öffentliche Landesbanken.

Diese gehören im Regelfall zur Hälfte dem Land und zur anderen Hälfte den Sparkassen. Das an sich solide Geschäftsmodell aus Sparkassen-Service und Mittelstandskredit wurde von der CSU in Bayern ebenso gefährdet wie von der SPD in Nordrhein-Westfalen oder der CDU in Hamburg. Die Politiker drehten an der Dividendenschraube, um den Staatshaushalt zu entlasten und nicht nur die Staatskanzlei Edmund Stoibers ließ es zu, dass mit dem globalen Finanz-Hype ab 2003 auch die Ansprüche an die Gewinne immer weiter wuchsen. Wo historisch eine Fünf vor dem Komma ausreichte, sollte nun eine Zehn plus X stehen. Gewinnmaximierung wurde zum wichtigsten Ziel einer Landesbank.

Übermächtige Rendite-Versuchung

Die Versuchung für die Bankmanager wurde dadurch groß, vielleicht sogar übermächtig, mittels mehr oder weniger spekulativer Geschäfte die Profitrate aufzubessern. So spekulierte auch die bayerische "Anstalt öffentlichen Rechts" mit amerikanischen Schrottkrediten. Insgesamt gelten heute in München Wertpapiere über 21 Milliarden Euro als ausfallgefährdeter Finanzschrott.

Wenn die Krise ausgestanden ist, will Horst Seehofer (CSU) seine bayerische Landesbank privatisieren - sagt er heute. Tatsächlich versucht Bayerns Ministerpräsident vor allem, den Bund aus der Sanierung der Bayern LB heraus zu halten, um weiterhin ungestört Industrie- und Landespolitik per Hausbank zu betreiben. Seehofer tut gut daran.

Denn den Landesbanken in ihrer bisherigen Form droht das Aus. Seit Monaten wird über eine Neuordnung diskutiert, landespolitische Überlegungen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Interessen der Sparkassen, der Konkurrenzdruck privater Institute ebenso wie die Hoffnungen des regionalen Mittelstandes.

Die Sparkassen hatten sich im November auf ein Konzept verständigt, nach dem die sieben verbliebenen Landesbanken in drei Blöcke aufgeteilt würden. So genannte Bad Banks sollten zudem die gefährlichen Risikopositionen übernehmen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers kam mit der Idee, diverse Landesbanken unter einer Holding zu vereinen und einzelne Institute dann mit Schwerpunkten wie etwa Immobiliengeschäften oder Spezialfinanzierungen zu betrauen.

Längst wird aber auch schon einen Schritt weitergedacht: Die Bundesregierung und erstaunlicherweise auch die Mehrzahl der Sparkassen wollen am liebsten alle sieben Landesbanken-Gruppen zu einer einzigen Zentralbank fusionieren. Masse statt Klasse: Die Bündelung aller Brandgefahren in einem Haus macht dieses aber garantiert unsicherer. Eine Zentralbank würde nicht allein Risiken kumulieren und das Gleichgewicht in der öffentlichen Bankengruppe kippen, es würde auch die eigentliche Aufgabe dieses Sektors gefährden: flächendeckend ein anspruchsvolles, preiswertes Angebot von Finanzdienstleistungen für alle Bevölkerungsgruppen sowie für kleine und mittlere Unternehmen sicher zu stellen.

Dazu bedarf es keiner weiteren "Deutschen Bank", sondern mehrerer landespolitisch und regional verankerter Kreditinstitute. Und es bedarf genügend Kapital und internationaler Kontakte. Beides können die Sparkassen selbst nicht leisten. Aus den gleichen Gründen können die Sparkassen nicht die zweckmäßige industriepolitische Rolle der Landesbanken spielen. Diese verschafft den gewählten Repräsentanten wirtschaftlichen Entscheidungsraum und verbilligt öffentliche Investitionen, weil starke Landesbanken auf den internationalen Finanzmärkten günstigen Kredit haben.

Historisch, sagt Jörg Reinbrecht, sind die Institute Banken ihrer Länder. "Das ist teilweise von den Regierungen aus politischen Gründen vergessen oder abgeschafft worden." Die Landesbanken sollten ihre strukturpolitischen Aufgaben wieder stärker wahrnehmen, fordert der Verdi-Bankenexperte. Die Gewerkschaft will "fitte Landesbanken, um die Regionalpolitik zu stärken".

Dass können drei oder gar eine Zentralbank nicht leisten. Sie wären zu fern von den Fragen vor Ort. Wichtig sind dezentrale Lösungen. So leistet die Bremer Landesbank viel für ihre Region. Sie ist eine Tochter der NordLB in Hannover, aber doch eine eigenständige Anstalt öffentlichen Rechts, an der das Land Bremen beteiligt ist. Entscheidend ist nicht die formale Struktur, sondern die Erfüllung des regionalen Auftrages.

Öffentliche Banken als Gegenmacht

Reinbrecht und Seehofer stehen mit ihrem Widerwillen gegen Landesbankenfusionen nicht allein. Eine Reihe von Ministerpräsidenten hängen ebenfalls an "ihren" Banken und den rund 60.000 Arbeitsplätzen in den Landeshauptstädten. Josef Falbisoner von Verdi-München fordert denn auch ein "Rettungspaket" für die Beschäftigten.

Damit sollten sich Gewerkschafter und Verbraucher nicht zufrieden geben. Nötig ist ein funktionierender öffentlicher Bankensektor als Gegenmacht, und dazu gehören zu einem wesentlichen Teil auch die Landesbanken. In denen bedarf es endlich Transparenz, funktionierender politischer Kontrollen und einer Abkehr von dem Ziel der Gewinnmaximierung. Dieser Dreier-Mix war es, der die Landesbanken in spekulative Abenteuer getrieben hatte.

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