Mehr war kaum zu erwarten

Haushalt 99 Der erste Etat der rot-grünen Regierung ist besser als sein Ruf

Lob wird in der Politik selten verteilt. Trotzdem hätte der von Oskar Lafontaine vorgelegte Haushaltsentwurf durchaus eine »zwei minus« verdient. Statt dessen ertönt leises Murren selbst aus den Reihen der Regierungsparteien, ihrer Sympathisanten und aus den bunt-alternativen Lobby-Gruppen. Noch innerhalb der Hundert-Tage-Schonfrist für Kanzler Schröder, machen sich erste Enttäuschungen breit. Oder - je nach Standpunkt - erste Hoffnungen keimen auf.

Haushalt des Übergangs
Im Mittelpunkt der unerfüllten Forderungen steht der ersten Haushaltsplan der neuen rot-grünen Regierung. Die Fakten: Der Bund will in diesem Jahr 488 Milliarden Mark ausgeben. Bereinigt um Sondereffekte, steigt der Etat um moderate 1,7 Prozent und damit etwas stärker, als noch von Ex-Finanzminister Waigel geplant. Weiteres Fiskal-Wachstum verhinderte eine Generalklausel für alle Ressorts, die »grundsätzlich« einen Sparbeitrag von einem halben Prozent der jeweiligen Ausgaben leisten müssen. Dieses scheint zu gelingen, ist aber angesichts der Neuaufteilung nahezu aller Ministerien schwer überprüfbar.

Zur Finanzierung des moderaten Haushaltsanstiegs sollen, wenn die Konjunktur mitspielt, höhere Steuereinnahmen dienen (plus 29,5 Milliarden DM), andererseits werden sinkende Privatisierungserlöse erwartet ( minus acht Milliarden DM). Für die Grundversorgung des Bundesetats sorgt eine weitere Neuverschuldung von 56,2 Milliarden DM. Diese liegt minimal unter den Waigel-Neuschulden des Vorjahres. Folglich dürfte auch in diesem Jahr das ökonomisch willkürliche Euro-Kriterium erfüllt werden, wie auch der vernünftige Maßstab des Grundgesetzes, der die Neuverschuldung auf die Höhe des Investitionshaushaltes (1999: 58,2 Milliarden DM) beschränkt.

Der kurzatmigen und rituellen Kritik von CDU und PDS setzt Finanzminister Lafontaine (SPD) seinen Haushalt der Kontinuität entgegen - und einen vorläufigen Verzicht auf die turnusmäßig fällige, mittelfristige Finanzplanung. Lafontaine will mit der Vorlage bis zum Entwurf für das Haushaltsjahr 2000 warten. Grünen-Fraktionssprecher Rezzo Schlauch sprach daher von einem »Haushalt des Übergangs« - drohend, wie mancher Beobachter empfand.

Dem zarten Etatwachstum - gutwillig ließe sich dieser als Einstieg in eine Stärkung der Nachfrage interpretieren - stehen einige wenige Umschichtungen der Finanzmasse zur Seite. Mehr war auch kaum durchzusetzen. Weit über 90 Prozent eines neuen Bundesetats stehen längst vorab fest: Schuldentilgung und Zinszahlungen gegenüber Banken und Millionen Privatanlegern - den Käufern von Bundeswertpapieren -, langfristige Investitionszusagen, Gehaltszahlungen, Pensionsansprüche oder die Überweisungen in diverse Sozialtöpfe.

Seinen ersten eigenen Schwerpunkt setzt Lafontaine in der Ostförderung (von 91 auf 100 Milliarden DM). Weitere Nutznießer sollen bundesweit Familien mit Kindern werden. Unfreiwillig dürfte das Bundesverfassungsgericht mit seinem spektakulären Steuerurteil die Familienförderung der Bundesregierung vorangetrieben haben. Die mit diesem Urteil verbundenen Kosten veranschlagt das Finanzministerium auf jährlich etwa 22,5 Milliarden DM. Dazu könnten noch erhebliche Rückzahlungen kommen: Für die Jahre 1986 bis 1996 sind alle Steuerbescheide wegen der Kinderfreibeträge nur vorläufig ergangen - eine fiskalpolitische Zeitbombe mittlerer Sprengkraft.

Dumpingsteuer gegen stille Reserven
Ohnehin droht das rot-grüne Bündnis bereits in ein strategisches Steuerloch zu fallen. Den Unternehmen wurden - teils noch von der alten Kohl-Regierung - Anfang Januar einige Steuer-Subventionen gestrichen, sei es für den verpfuschten Aufbau Ost oder für spekulative Investments im Schiffbau. Da aber zeitgleich keine entsprechende Senkung der Steuersätze erfolgte, steigt die Fiskallast für Unternehmen (und Unternehmer). Selbstverständlich darf eine solche Umverteilung als verträglich gelten, haben doch in der Vergangenheit die tatsächlichen Steuerlasten für die Wirtschaft immer weiter abgenommen. Der Wegfall von Steuerschlupflöchern soll den Staatshaushalt konsolidieren helfen, wird aber zugleich konterkariert von den Wahlversprechen, wie dem erhöhten Kindergeld.

Eine Gegenfinanzierung - etwa über die Ökosteuer - ist bislang bestenfalls in der Planung. Dazu nun das Kindererziehungsurteil des Bundesverfassungsgerichts: Geahnten und ungeahnten Mehrausgaben im zweistelligen Milliardenbereich stehen Unternehmen gegenüber, die zukünftig auf die versprochene Absenkung der Spitzensteuersätze pochen werden. Andererseits verlangen die abflachende Konjunktur und die soziale Krise eine notfalls kreditfinanzierte Ausweitung staatlicher Ausgaben. Gleichzeitig fordert die reale Finanzlage des Bundes einen drastischen Sparkurs, immerhin geht ein Fünftel des Etats für Schulden und Zinsen drauf. Die politisch unbequeme, aber wohl einzig machbare Lösung wäre eine stärkere Fiskallast für Bestverdiener und renditestarke Branchen: Spekulationssteuer, Vermögenssteuer oder eine Tobin-Tax auf Devisengeschäfte.

Zusätzlich bedarf es einer größeren Steuergerechtigkeit in der Wirtschaft. Während der Tante-Emma-Laden an der Ecke noch bis zur Aufgabe teuer zahlt, lassen Konzerne ihren Bilanzphantasien freien, steuermindernden Raum. Die geplante Senkung des Spitzensteuersatzes für Unternehmen auf 35 Prozent mag psychologisch sinnvoll sein, fiskalpolitisch ist sie nur verträglich, wenn gleichzeitig eine Bilanzrechtsreform für Kapitalgesellschaften erfolgt, um Abschreibungen und stillen Reserven maßvoll Einhalt zu gebieten und die Steuerflucht ins Ausland zu unterbinden. All dies ist jedoch eher ein Euro-, denn ein Deutschlandprojekt.

Bemerkenswert ist der Vorschlag von Herrn Reckers, des CDU-Kandidaten für das Amt des Finanzministers in Hessen: Der Staat solle einen Steueranreiz für die Aufdeckung der stillen Reserven bieten. Eine einmalige Dumpingsteuer würde das Staatssäckel füllen und den Konzernen den Weg zu der angestrebten angelsächsischen Bilanzpraxis und damit den internationalen Kapitalmärkten öffnen.

Weitblick von Shell
Mit den sogenannten Zukunftsinvestitionen setzt Lafontaine einen weiteren Schwerpunkt. Die Mittel dafür werden gegenüber 1998 um eine Milliarde Mark erhöht - Tendenz weiter steigend. Das Wirtschaftsministerium erhält obendrein 654 Millionen Mark mehr für Wirtschaftsförderung, woraus - am Umweltministerium vorbei - auch ein Programm zur Förderung der Solarenergie finanziert werden soll. Allerdings dürften diese Gelder mittelbar in die Taschen der Deutschen Shell AG fließen, die dank ihres strategischen Weitblicks, der über den Vier-Jahres-Horizont der Politik hinausreicht, mittlerweile weltweit der führende Investor in Sachen »Solartechnik« ist.

Mit ihren Initiativen für mehr Kontrolle und Stabilität auf den multinationalen Finanzmärkten sowie für eine europäische Verfassung und Stärkung des Parlaments in Straßburg hat diese Bundesregierung gezeigt, daß sie selbst für die wichtigsten politischen Zukunftsfragen richtungsweisende Ideen vorgeben kann. In der Steuer- und Haushaltspolitik steht dieser Kompetenznachweis noch aus.

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