An linken Stammtischen, wie anderswo auch, haben die Übel der wirtschaftlichen Welt einen Popnamen: "Globalisierung." Virtueller Statthalter des Übels ist das irgendwie unheimliche internationale Finanzkapital im Allgemeinen und im Speziellen wahlweise die Welthandelsorganisation (WTO), Internationaler Währungsfonds (IWF), Spekulationsblasen an den Börsen oder heftige Währungsturbulenzen. Wo solche klaren Feindbilder auftauchen, sind ebenso klare Antworten schnell parat. "Tobin-Steuer" heißt die beliebteste: Eine solche Steuer auf Devisengeschäfte würde die Spekulation eindämmen und die Weltwirtschaft auf den rechten linken Weg führen.
Die Begeisterung für die Tobin-Steuer ist riesig, jedoch auch merkwürdig. Der 1918 geborene James
rene James Tobin entwarf in den siebziger Jahren eine Steuer auf Kapitalbewegungen, die noch heute manchem Kritiker als Wunderwaffe im Kampf gegen Spekulanten und Finanzkrisen erscheint. Im Land der Initiativen, in Frankreich also, hat sich um die Zeitung Le Monde Diplomatique ein Verein namens ATTAC gebildet (Action pour une taxe Tobin d´aide aux citoyens; etwa: "Bürger-Aktion für eine Tobin-Steuer"). Seit einiger Zeit lässt sich auf den Internetseiten von ATTAC (www.attac.org) auch eine deutsche Mailadresse finden. Daneben existiert zumindest eine informelle Initiative für eine Gründung von ATTAC-Deutschland, aber auch so verheißungsvolle Bewegungen wie "Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte" (www.share-online.de/ Finanzmaerkte).In weiser Voraussicht hatte Tobin das explosionsartige Wachstum von Finanztransaktionen geahnt. Diese wollte er bremsen und mit einem Satz von 0,1 Prozent ihres Betrags besteuern. Die "Tobin-Tax" war geboren. Im Ergebnis würden Banken und Finanziers langfristige Investitionen bevorzugen, hoffte Tobin: "Denn wenn Sie Geld im Ausland für ein Jahr oder fünf anlegen, dann macht die Steuer kaum einen Unterschied." Unausgesprochen steht dahinter der plausible Gedanke, dass langfristige Investitionen für die Empfängerländer verträglicher sind als kurzfristige.Tobins Steueridee zielte auf ein Zentralproblem aller aufstrebenden Länder: Wie erhalten sie sich Spielraum für ihre Währung und ihre Zinsen? Faktisch kann gerade die Währung schwächere Staaten gegen die übermächtige Warenkonkurrenz aus den USA oder Europa in gewissem Umfange schützen und Exporte ins Ausland attraktiver machen. Dafür muss der Währungskurs aber keineswegs fixiert sein. Im Gegenteil: Ein mehr oder weniger flexibler Wechselkurs kann sich den wandelnden Bedingungen im In- und Ausland anpassen. Allerdings sind kurzfristige, heftige Ausschläge von übel. Mit der heimischen Geldpolitik - also vorrangig über die Zinssätze der Notenbank - kann anderseits die Binnenkonjunktur angekurbelt oder antizyklisch gebremst werden. Fällt dieser Entscheidungsspielraum weg, sind die Länder den finanziellen Vorgaben aus New York, Frankfurt oder Tokio hilflos ausgeliefert.Mit einer Tobin-Tax könnte nun Sand in die gefährlich kurzfristigen Geldgeschäfte gestreut werden, um den Entscheidungsspielraum ärmerer Länder zu erhalten. Das erscheint verheißungsvoll, kann aber letztlich nur bei jenen Geschäften funktionieren, die auf die Ausnutzung geringer Kursdifferenzen abzielen und sich bei Erhebung einer Steuer nicht mehr lohnen würden. Gewinnchancen von sehr riskanten, "spekulativen" Transaktionen werden aber durch die Tobin-Tax nur unwesentlich verringert. Und ebensowenig kann dieses Instrument bewirken, wenn die kurzfristige Kapitalflucht auf einer "Stimmungsänderung" bei den Investoren basiert. Gleichzeitig hat die Tobin-Steuer einen negativen Effekt auf "normale" Geschäfte: Auch sie werden teurer. Mittelbar würde sich diese Teuerung auf die Warenpreise und den Handel negativ niederschlagen. Gerade der ohnehin hohe Preis für Kapital und Fremdwährungen ist ein substanzieller Wettbewerbsnachteil für ärmere Länder und ihre Kreditinstitute. Sie zahlen heute bereits beträchtliche Risikozuschläge für Auslandsgeschäfte.Statt totaler "liberaler" Öffnung sollte von der Staateninternationale ein zeitweiliger Rückzug hinter einen monetären Schutzwall endlich akzeptiert werden, wie ihn die westlichen Industriestaaten nach 1945 jahrzehntelang selbst praktiziert haben. Als Malaysia in der Asienkrise Kapitalverkehrskontrollen einführte, wurde das Land sogleich scharf kritisiert, vor allem von den USA. Warum aber sollte ein solche Politik nicht auch für aufgeklärte Liberale akzeptabel sein, solange es an einer internationalen Finanzaufsicht mangelt, die wenigstens fairen Wettbewerb und Mindeststandards sichert? Schließlich haben die Finanzkrisen der vergangenen Jahre die Verletzlichkeiten der Geldwelt radikal offenbart, ebenso wie die tragischen Auswirkungen für die nationalen Ökonomien und vor allem für Millionen von Menschen.Weder die linke Fixierung auf Tobin noch die Totalöffnung aller Märkte werden diesen Herausforderungen gerecht. Ohne nationale Finanz-Institutionen, die in vielen Entwicklungsländern zum Schutz eigener Interessen weiterzuentwickeln wären, wird es nicht gehen. Notwendig wäre das, was man den "vierten Weg" nennen könnte: eine Politik, die stabile nationale Banksysteme und unabhängige Zentralbanken fördert, Transparenz global agierender Aktiengesellschaften durchsetzt und sich gleichzeitig um eine globale Finanzarchitektur bemüht.Zum Weiterlesen: Hermannus Pfeiffer, Die Zähmung des Geldes - Finanzplatz Deutschland gegen den globalen Crash, erschienen bei Rowohlt am 1. März 2000