Hardware und Software gehören zusammen, wie jeder Computernutzer weiß. Volkswirtschaftlich allerdings können beide Bereiche getrennte Wege gehen. Deutschland ist ein extremes Beispiel: die Hardwareindustrie ist in den neunziger Jahren stärker geschrumpft als Stahlproduktion oder Schiffsbau. Von ehemals knapp über 100.000 Beschäftigten (1991) sind heute nur noch etwas mehr als 40.000 geblieben. Der Softwarebereich dagegen expandiert kräftig. Neben vielen kleinen Neugründungen sind mittlerweile auch einige Unternehmen entstanden, die weltweit Standards setzen. Vorreiter des deutschen Softwarebooms ist die SAP AG - in mancherlei Hinsicht mit Microsoft vergleichbar, hierzulande aber noch weitgehend unbekannt.
Es war vor einem guten Jahrzehnt, als SAP - mit vollem Namen Systemanalyse und Programmentwicklung - an die Börse ging. Das Emissionsvolumen betrug 900 Millionen Mark. Wer damals, 1988, in den Neuling investiert hatte, konnte sein eingesetztes Kapital seitdem Jahr für Jahr nahezu verdoppeln und sich nach einem Jahrzehnt über eine Kurssteigerung von 6.400 Prozent freuen. Heute ist das Walldorfer Unternehmen der sechstgrößte Konzern in Deutschland - jedenfalls wenn wir seinen Börsenwert von über 65 Milliarden DM zugrunde legen.
Die börsiale Wertschätzung verdeutlicht am besten eine ältere Crash-Meldung. Im Herbst 1996 erlebte die SAP-Aktie einen deftigen Kursrutsch: minus 24 Prozent. Ausgelöst hatte den Absturz eine Firmenmeldung. In den ersten neun Monaten seien Umsatz und Ergebnis »nur« um ein Drittel gestiegen. Der Börsenwert des SAP-Grundkapitals verlor darauf an die 500 Millionen Mark. Nur ein Intermezzo, denn bald kletterte der Kurs auf neue Rekordmarken. Kanzler Helmut Kohl ließ es sich daher nicht nehmen, persönlich zum 25. Firmenjubiläum zu gratulieren: »Die Erfolgsstory der SAP ist ohne Beispiel.«
»Nachts und am Wochenende«, so erzählt ein SAP-Geschäftsbericht, begannen 1972 fünf ehemalige IBM-Beschäftigte »ihre Vision« umzusetzen: Standardsoftware mit Echtzeitverarbeitung - damals noch ein kühnes Ziel. Als Systemberater bei der IBM Deutschland hatten sie die frustrierende Erfahrung gemacht, daß in unzähligen Unternehmen immer wieder gleiche oder doch ähnliche Programme entwickelt wurden, um immer wieder gleiche oder doch ähnliche Probleme zu lösen. Die Antwort der Jungunternehmer: Standardsoftware für Unternehmen zu entwickeln, die alle betrieblichen Abläufe integriert. Die Idee war jedoch ihrer Zeit voraus: Fünf Jahre später jobten gerade mal 25 Leute für SAP.
Reif wurde die Zeit erst, als Ende der siebziger Jahre leistungsstarke Kleinrechner auf den Markt kamen. Der Siegeszug des Personal Computers wurde so auch zum Siegeszug der Weichware-Hersteller im nordbadischen Walldorf. 1992 dann ein weiterer neuer Trend, der dem Softwarepaket »R/3« als dem bei weitem wichtigsten SAP-Produkt zum Durchbruch verhalf: Weg vom großen Zentralrechner mit angeschlossener Peripherie - hin zu Betriebsnetzen mit kleineren Computern. Für diese Herausforderung bot allein das Dutzend CD-Scheiben aus Süddeutschland eine hinreichende Standardantwort. Im August 1998 wurde die SAP-Aktie erstmals an der Wall Street notiert. Mittlerweile rechnen die Walldorfer Siemens und Daimler-Benz, Sony und Hitachi, aber auch den Windows-Giganten Microsoft zu ihrer Kundschaft.
Aber selbst der Erfolgreichste unterliegt dem Zyklus des Lebens: Im Spätsommer 1998 verklagte ein Konkursverwalter des texanischen Pharmahandels Fox Meyer Corporation die SAP auf Schadensersatz über eine halbe Milliarde Dollar. Die SAP-Programme seien Schuld am Konkurs, da sie bei 10.000 Aufträgen pro Nacht schlapp gemacht hätten. Und Anfang Januar lösten überraschende Kursbewegungen der SAP-Aktie Nachforschungen des Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel aus: Verdacht auf Insiderhandel. Für solch ein Vergehen waren bereits im Vorjahr drei unbekannt gebliebene SAP-Manager zu Geldbußen über insgesamt 240.000 DM verurteilt worden. Sie sollen ihr Wissen zu unrechtmäßigen Wertpapiergeschäften genutzt haben. Zuvor war der Japan-Umsatz, mit einem Verlust von 200 Millionen Mark, im vierten Quartal 1998 schwer eingebrochen. Das Personalkarussell rotierte im Konzern.
Trotz seiner weltweit fast 20.000 Beschäftigten, ist SAP auch ein Familienbetrieb geblieben. Firmengründer Dietmar Hopp präsidiert dem Aufsichtsrat, sein wohl gleichberechtigter Intimus Plattner dem Vorstand. Über eine GmbH halten Vorstandsboß Plattner und seine Konsortialpartner fast 55 Prozent der SAP-Stimmrechte. Und zumindest die Geschäftsberichte sind nicht frei vom Charme des Provinziellen - vom Betriebssport bis zum Vorstandsfoto mit Bierbauch. Schließlich darf ein Unternehmen, daß in neue Mitarbeiter »investiert« und, wie SAP, innerhalb des vergangenen Jahres das Personal um sage und schreibe 50 Prozent aufstockt - großteils in der Bundesrepublik -, als hinreichend antiquiert gelten.
»Trotz der besonderen Belastungsfaktoren war 1998 für die SAP ein sehr erfolgreiches Jahr, vor allem weil wir unsere führende Position gegenüber den Wettbewerbern ausgebaut haben«, resümiert Vorstandssprecher Hasso Plattner. Als Erfolgsgrund nennt er die Entwicklung neuer Produkte und »die strikte Fokussierung auf die Bedürfnisse der Anwender«, aber solches behauptet die Konkurrenz auch von sich. Und SAP-Produkte benötigen bei ihrer Neueinführung manchmal einige Monate, um richtig zu laufen. Dennoch: Mit ihrer ausgefeilten Systemlösung für fast alle betrieblichen Abläufe hat die SAP ihre Konkurrenten weit hinter sich gelassen. Seinen Anteil am Weltmarkt für betriebswirtschaftliche Anwendungssoftware beziffert das Unternehmen auf etwa 30 Prozent - mehr als die nächsten fünf Wettbewerber zusammen.
Der eigentliche Gag, welcher SAP zum Durchbruch verholfen hat, ist die Individualisierung von Standardsoftware für Firmenkunden: Ein Standardprodukt in Module zerlegt, die dann entsprechend den Wünschen der Kundschaft wieder zusammengefügt werden, so kann die Geschäftsidee beschrieben werden. Inzwischen geht es nicht mehr um den Verkauf einiger Programme auf CD, sondern um ganze »Geschäftsmodelle«. Unternehmen können sich aus dem Gesamtangebot der SAP oder auch anderer Anbieter bedienen und ihre individuelle Software-Lösung komponieren.
Auf dieser Basis brachte das Geschäftsjahr 1998 einen Umsatz von 8,5 Milliarden Mark. Diese Umsatzzahl - in Relation zum Börsenwert von über 65 Milliarden gesetzt und mit US-Firmen verglichen - zeigt, wieviel Börsenphantasie noch in der SAP schlummert. So gibt sich der Hauptsponsor des deutschen Eishockeymeisters Adler Mannheim denn auch optmistisch. Es gebe keine generelle Schwäche im Softwaremarkt, meinte kürzlich SAP-Vorstand Zencke. Vielmehr existiere ein riesiges Potential, das noch gar nicht ausgeschöpft ist: »Wir stehen heute vor einer prall gefüllten Pipeline.«
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