Der Mensch ist nicht des Menschen Wolf!

Literaturempfehlung "Der Wal und das Ende der Welt", dieser Roman Ironmongers prophezeite 2019 die nahende Pandemie und bietet einen festen moralischen Kompass im Angesicht von COVID 19.

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Thomas Hobbes, der bekannte englische Gesellschaftsphilosoph des 17. Jahrhunderts, beschrieb die menschliche Natur in pessimistischen Tönen:

Nun sind sicher beide Sätze war: Der Mensch ist ein Gott für den Menschen, und: Der Mensch ist ein Wolf für den Menschen; jener, wenn man die Bürger untereinander, dieser, wenn man die Staaten untereinander vergleicht.

Hobbes, in seinem Menschenbild geprägt durch die Gewaltexzesse des Englischen Bürgerkriegs, verwendete und entwendete diese Formulierung des römischen Dramatikers Titus Maccius Plautus (Homo homini lupus) um zu verdeutlichen, dass in einem Naturzustand, fernab von jeglicher Ordnungsmacht und Zivilisation, Menschen sich gegenseitig vernichten würden; Ein ständiger Kriegszustand, alle gegen alle. Deswegen bedarf es, so Hobbes, einer Instanz, welche das Gewaltmonopol für sich beanspruche und so Frieden und Sicherheit für alle schaffen könne. Diese Instanz wurde mit der Metaphorik des biblischen Seeungeheuers Leviathan veranschaulicht, welche auch den Titel seines Hauptwerks von 1651 lieferte. Seine pessimistischen Einschätzungen der menschlichen Natur prägte unsere Vorstellung von staatlicher Gewalt und Sicherheitspolitik, dem starken und schützenden Staat, nachhaltig.

Mehr als dreieinhalb Jahrhunderte später stellt jedoch John Ironmonger mit derselben Tiermetapher diese tradierte Einschätzung menschlichen Handelns in Frage: In "Der Wal und das Ende der Welt" wird, obgleich die Handlung sich auf das englische Küstenstädtchen St. Piran fokussiert, die ganze Welt durch ein gefährliches Grippevirus bedroht; die Folge ist eine kastrophale Kettenreaktion bishin zum Zivilisationszusammenbruch, welcher durch das altruistische und jeder Logik entbehrende Handeln des Hauptcharakters, Joe Haak, das kleine Städtchen nicht erreicht. Der gescheiterte Investmentbanker, welcher unter mysteriösen Umständen am Strand St. Pirans unbekleidet gestrandet war, hatte zuvor das ganze Dorf dazu gebracht, mit ihm einen gestrandeten Wal zu retten. Im Angesicht der Apokalypse kauft Joe nun mit seinem gesamten Ersparten haltbare Lebensmittel für die Bewohner und bewahrt das kleine Städtchen so vor dem Weltuntergang. Später ist es derselbe Wal, welcher, fast als metaphorisches Opfer für die Gesellschaft, erneut strandet und so ein Festessen den Bewohnern des Dorfes schenkt. Ironmonger führt in seinem Werk die Einschätzung Hobbes ad absurdum: Der Katastrophenzustand, in der kein Staat Sicherheit bieten kann, vernichtet hier nicht das menschliche Miteinander und führt zur Anarchie, sondern festigt es sogar.

Der Roman, im Angesicht des Coronaausbruchs ein Jahr nach seinem Erscheinen fast ein Orakel, zeichnet hoffungsvolle Bilder des menschlichen Miteinanders in der Krise: Der Mensch ist ein soziales Wesen; er handelt nicht aus reinem Eigennutz, er ist kooperativ, kann sich im Sinne der Gemeinschaft sogar in seinen Bedürfnissen einschränken und verhindert so die Katastrophe. Wir haben gesehen, wie Millionen Menschen freiwillig dazu bereit waren, für die schwächsten Glieder der Gesellschaft Zuhause zu bleiben und sich an schmerzhaft einschränkende Verordnungen zu halten. Zahllose Leben wurden dadurch gerettet. Dies geschah, ohne dass ein Leviathan, ein scheckliches Ungeheuer, uns mit Gewalt und Drohungen dazu zwingen musste. Der Roman verdeutlicht uns, dass der Mensch mitnichten des Menschen Wolfs ist, sondern im Wesen gut, wenn er sich traut, für seine Mitmenschen in schwierigen Zeiten einzustehen.

Joes Engagement und der Bewohner St. Pirans bietet Hoffnung. Hoffnung auf eine Zukunft, in der selbst in schwierigsten Zeiten Menschen füreinander da sind und unser friedliches Miteinander bewahren. Das macht diese Lektüre so unglaublich wertvoll, vor allem in dieser Zeit, weswegen ich sie jedem wärmstens ans Herz lege. So lässt sich also sagen: Homo non homini lupus. Der Mensch ist nicht des Menschen Wolf!

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Geschrieben von

Niklas

Ich bin ein junger Student der Politikwissenschaften, welcher ein großes Interesse an kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Thematiken hat.

Niklas

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