Das neue Futurzwei feiert dankenswerterweise das Realitätsprinzip. Leider wird gleich auf den ersten Seiten die Flugscham abgekanzelt: "selbstgefällig. unpolitisch und kontraproduktiv". Das war vielleicht etwas voreilig. Mit der Kraft der moralischen Besinnung und der dafür nötigen Sozialkontrolle könnte die ökkologische Wende ihr vielleicht wichtigstes Überzeugungsmittel aus falsch verstandener "Liberalität" aus der Hand geben.
Sittliche Vernunft hat eine größere Reichweite als jedes soziale Netzwerk. Sie ist kein Medium. Sie wirkt auf alle freie Menschen und in dem Maß, in dem wir frei sind. Das sind viele von uns wenigstens teilweise, auch viele der kleinen dummen Leute, die von den libertären Narzissten, die sich für eine Elite halten, gern bedauert werden. Und die Jungen sind es vielleicht am meisten von allen.
Wenn jemand seine Angeberkarre um die Ecke parkt, weil die plötzlich nur noch peinlich ist, oder wenn man besser verschweigt, dass zehn Tage Neuseeland, Klima hin oder her, jetzt einfach mal sein mussten, dann ist das zunächst nur bigott. Könnte es nicht aber auch der Anfang vom Ende des wahnhaften Konsums, des Auffressens von allem sein?
Ich fahre kein Auto, ich fliege nicht. Ich kaufe Bio und nutze Ökostrom. Mein Rechner ist zehn Jahre alt, mein Handy gebraucht. Mein Garten nährt Insekten und Vögel. Ich wohne, ohne eigenes Zutun allerdings, wärmegedämmt. Das sind keine Großtaten. Das ist das Minimum. Hochskaliert auf die Hälfte der Bevölkerung würde es unsere Probleme halbieren. Potenziell konfrontiere ich schon durch mein Beispiel gewisse andere mit ihrem eigenen egoistischen, gewissenlosen Verhalten.
Echte Wirkung entfalten kann das, wenn es nicht schamhaft stumm bleibt. Wenn ich mich traue, offensiv darüber zu reden. Wenn auch andere die implizite Forderung, die darin liegt, anerkennen und verlauten.
Vielleicht wäre das der Anfang vom Ende unserer Heuchelei, dass man ein weniger gieriges und räuberisches Leben als das finanziell machbare von niemandem verlangen darf. Vielleicht entsteht erst dadurch die Bereitschaft, die eigentlichen, die großen Lösungen politisch mitzutragen oder wenigstens zu dulden. Vielleicht ist eine moralspießigere Gesellschaft, eine stärkere Pflichtethik in unserem Alltag und Lebensentwurf der Preis, den wir für ein Weiterleben auf hohem zivilisatorischen Niveau zahlen werden müssen.
Kommentare 3
Ich behaupte, dass Menschen, die tatsächlich das tun, was sie wirklichs selbst genießen wollen, die sich von nichts und niemanden zu anderem überreden oder davon abbringen lassen, glücklicher und richtiger leben.
Das gilt in beide Richtungen.
Angenommen, es wäre Ihr Lebenstraum, einmal nach China zu fliegen. Warum nicht? Angenommen aber, Sie würden nach China fliegen, um anzugeben. Warum bloß?
Angenommen, Sie hätten die Schalheit des Konsumismus tief begriffen und würden ein sehr einfaches Leben führen. Warum nicht? Angenommen aber, Sie würden sich kasteien, um vor anderen damit anzugeben. Warum?^^
Manche leben einfacher als Sie. Notgedrungen der Hartzer, der nicht in den Bioladen geht, aber durch sein beschränktes Budget zur Einfachheit gezwungen ist und sich die Wärmedämmung seiner Mietwohnung nicht aussuchen kann. Auto steht ihm ohnehin keins zu - oder nur eine Kiste, die fast auseinanderfällt. Dazu die regionale Deckelung von Müll, Wasser und Heizung. Das kommt Ihrem Ideal für alle doch schon recht nahe, oder? Nur der Bioladen, der ist nun wirklich der SUV der Ernährung.^^
"Vielleicht ist eine moralspießigere Gesellschaft, eine stärkere Pflichtethik in unserem Alltag und Lebensentwurf der Preis, den wir für ein Weiterleben auf hohem zivilisatorischen Niveau zahlen werden müssen."
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»Wissen Sie, was euch nottut? « fragte der Wilde. »Etwas mit Tränen. Zur Abwechslung. Bei euch kostet nichts genug.«...
»Ich brauche keine Bequemlichkeiten. Ich will Gott, ich will Poesie, ich will wirkliche Gefahren und Freiheit und Tugend. Ich will Sünde.«
»Kurzum«, sagte Mustafa Mannesmann, »Sie fordern das Recht auf Unglück.«
»Gut denn«, erwiderte der Wilde trotzig, »ich fordere das Recht auf Unglück.«
»Ganz zu schweigen von dem Recht auf Alter, Häßlichkeit und Impotenz, dem Recht auf Syphilis und Krebs, dem Recht auf Hunger und Läuse, dem Recht auf ständige Furcht vor dem Morgen, dem Recht auf unsägliche Schmerzen jeder Art?«
Langes Schweigen.
»Alle diese Rechte fordere ich«, stieß der Wilde endlich hervor. Mustafa Mannesmann zuckte die Achseln und sagte: »Wohl bekomm's!«
(Schöne Neue Welt, A. Huxley)
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Was für ein Unterschied. Nietzsche würde in dionysisches Gelächter ausbrechen.
Das Flugwesen - es entwickelt sich ... . Und heute wäre hinzuzufügen: " ... über seine Existenzberechtigung hinaus." Was ist ein ökologisch sinnvoller Lebenswandel gegen einen ständig verschwenderischen imperialen und militanten Wachstumsmoloch, dem man sich auch durch spartanischste Lebensweise nicht entziehen kann? Man sollte sich für diese Gesellschaft schämen oder besser noch für ihre Veränderung eintreten. Amen!