„Themen, die die Welt täglich in Atem halten“

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Was für eine Verheißung: „Sie arbeiten sowohl in aktuellen Ressorts wie Nachrichten, Unterhaltung, Sport, als auch trendigen Channels wie Lifestyle, Musik, Reise, Auto oder auch in unseren ratgeberorientierten Ressorts wie Gesundheit oder Beruf. ... Doch das ist längst nicht alles: Sie recherchieren auch Themen und schreiben Artikel. Außerdem produzieren Sie onlinespezifische Inhalte wie Quiz, Umfragen oder Bildergalerien.“

Wau, das sind in der Tat „besonders vielseitige Aufgaben“, die ich da in der Online-Redaktion eines „Portals“ erledigen könnte. Jedenfalls wenn ich als „Werkstudent“ diese Online-Redaktion „eigenverantwortlich im Tagesgeschäft unterstützen“ will, vorgeblich nach „einer umfangreichen Einarbeitungszeit.“ Allerdings auch „zu ungewöhnlichen Zeiten, zum Beispiel am Wochenende.“ Und der „täglichen Hektik“ sollte ich ebenfalls gewachsen sein. Klar, bin ich.

Was sagt uns diese Stellenanzeige (der United Internet AG)? Für mich liest sich das in etwa so: Sie werden irgendwie alles machen, voll ranknüppeln, die ungeliebten Schichten übernehmen und volle Verantwortung tragen, dafür aber als Werkstudent mit einem kleinen Salär belohnt. Freuen Sie sich drauf!

Doch, halt, liebe Nachwuchs-Investigateure, bevor ihr jetzt gleich „Ausbeutung!“ ruft und einen wallraffinierten Undercover-Scoop plant: Das wird kein Aufreger, weil, es ist bekannte Normalität. Verlage, Redaktionen und Unternehmen, die auf Ihren Webseiten „irgendwas mit Content“ veranstalten, setzen oft und gerne und viel auf Praktikanten, Volontäre oder eben „Werkstudenten“. Die Krise, die Kostenlos-Kultur, der Anzeigenschwund, und dann die Personalkosten, es geht ja gar nicht anders ... . Außerdem wollen und müssen die Studierenden schliesslich praktische Erfahrungen sammeln, damit sie selbst nach ihrem Master-Abschluss überhaupt eine kleine Chance auf einen Berufseinstieg haben, sprich auf ein Praktikum oder ein Volontariat.

Praktische Journalismus-Erfahrungen, die man unter anderem als „Werkstudent“ bei der United Internet AG sammeln kann: „Sie lernen bei uns, wie die Arbeit in einer Online-Redaktion funktioniert, welche Themen bei den Usern gut ankommen“. Hm, welche Themen könnten das wohl sein? Die zitierte Stellenanzeige lässt hier nichts unklar: „Promi-Trennungen, Politik, Katastrophen, Modesünden, Bundesliga – Wir berichten auf unseren Portalen GMX, WEB.DE und 1&1 über Themen, die die Welt täglich in Atem halten.“ Na, bitte – Journalismus!

Wie so etwas dann im Ergebnis aussieht, zeigen die Startseiten der drei genannten Dienste Web.de, gmx, 1und1, die sich inhaltlich wie ein Ei dem anderen gleichen, nur Logo, Farbgebungen und Layout variieren. Besucher, Leser und Nutzer generieren diese Seiten im übrigen mehrheitlich über kostenlose E-Mail-Accounts und preiswertes Webhosting. Nachrichten, Magazin-Inhalte und „Themen“-Channel sollen die Kunden enger an die jeweilige Marke binden. Dafür setzt die federführende Zentralredaktion der United Internet AG auf ein breites Potpurri an Rubriken und Themen, Schlagzeilen und Schlagwörtern, Bilderchen und Symbölchen, alles in kleinen Häppchen „angeteasert“, alles zum Anklicken – und alles ein riesengrosses Mischmasch.

„Auto“ und „Horoskop“, „Singles“ und „Millionenklick“, „DSL-Doppel-Flat“ und „Wetter“, all diese Begriffe und noch viel mehr stehen als Hauptnavigations-Punkte untereinander. Mal sind es tatsächlich redaktionelle Rubriken, mal ist es ein Quiz-Spiel und häufig ist es bloße Werbung. Zu erkennen ist der Unterschied nicht, weder auf Anhieb noch auf den zweiten Blick. Alle inhaltlichen Angebote benehmen sich wie redaktionelle Beiträge, wie sie gleichsam Service-Informationen sein können, oder auch schlichte (Eigen-)Produkt-Anpreisung oder auch noch schlichtere Reklame. Eine Kennzeichnung findet nicht statt, es ist nicht das geringste Bemühen zu erkennen, eine Trennung zwischen Berichterstattung und Produktplatzierung anzubieten.

Diese Vermischung von vermeintlich redaktionellen Leistungen und offensichtlichen Werbebotschaften findet auch in den Inhalten, also im Bereich der Beiträge und „Artikel“ statt (das Wort „Artikel“ ist auf diesen Seiten in jedem Fall auch als „Produkt“ zu verstehen). Etwa wenn in der Rubrik „Finanzen“ direkt neben der Überschrift „Pleitegeier schwebt über Griechenland“ ein Hinweis auf die „Schnäppchen der Woche bei Aldi und Co“ steht, gleich groß, gleich lang, gleichwertig. Während der „Pleitegeier“-Anreisser zu einer dpa-Meldung führt, leitet der andere zu nichts als einer Produkte-Liste weiter – das ist glasklare Verkaufe. Und in dieser schleicherischen Art sind praktisch alle Rubriken und „Themen-Channel“ aufgebaut, und dies alles ist umgeben von den eigentlichen Kernprodukten der „Portale“, also Web-Zugang, Web-Hosting, mobiles Internet und so weiter.

Vom journalistischen Gebot oder auch Grundsatz, nach dem redaktionelle Beiträge von Werbung deutlich zu trennen sind, etwa durch eindeutige Kennzeichnung mit den Begriffen „ANZEIGE“ oder „WERBUNG“, sowie durch Trennlinien oder Umrandungen, davon ist auf diesen Seiten nichts, aber auch gar nichts zu merken. Was sagt eigentlich der Presserat dazu? Oder sind solche „Portale“ etwa kein Fall für die freiwillige Selbstkontrolle der Medien, mit der der Presserat gemäß seinen Regeln für einen fairen Journalismus operiert? Und wenn nein, weshalb nicht? – es finden auf diesen Portalen doch dpa-Nachrichten statt, einsortiert in Rubriken, die sogar „Nachrichten“ oder „Aktuelles“ heissen. Ach, so, vermutlich rechnen sich diese Portal-Anbieter selbst gar nicht zur Presse, und dann müssen sie sich auch nicht entsprechenden Verpflichtungen anschliessen, verstehe.

Gleichwohl unterhalten sie Online-Redaktionen, oder zumindest so bezeichnete Abteilungen, und winken mit oben zitierten Stellenanzeigen die „Generation-irgendwas-mit-Medien“ heran, um ihnen als Werkstudenten Praxis-Erfahrungen zu bieten. Die Frage ist nur: Was für eine Art Praxis? Oder genauer gefragt: Was für einen Journalismus?

Nun, womöglich die Art von „Journalismus“, die uns in naher Zukunft zur kostenlosen Nutzung im Internet übrig bleibt. Sollte nämlich der momentan wieder glühend heiss gehandelte Paid Content-Umschwung doch noch kommen, könnte ja ein Großteil der Qualitäts-Zeitungen, -Zeitschriften und -Magazine ihre Inhalte im Web bald nur noch gegen Bezahlung veröffentlichen. Und das heisst im Umkehrschluss, dass man sich diesseits der Online-Kassenhäuschen auf jene kommerzialisierte Informationsverbreitung, Aufklärung und Meinungsbildung einzustellen hat, wie sie die privaten Fernseh- und Rundfunksender seit Jahren kultivieren, wie man sie von Anzeigen-Blättern seit Jahrzehnten kennt – und wie man sie schon jetzt auf „Portalen“ in offenbar regelfreier Wildbahn beobachten kann.

Was für eine Verheißung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

hest

Journalist, Autor, Referent, Lehrkraft, Freischreiber. Wanderer & Wunderer in Sachen Medienkultur

hest

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