Ein Kongress wie ein Aufputschmittel

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Die 2. BuchDigitale (am 14.9. in Berlin) hatte als „Forum für Neues Publizieren“ offenbar gar nicht erst vor, der rund 170-köpfigen Verlags-Community nur reinen Wein prekärer Lagen einzuschenken. Vielmehr servierte sie starken Kaffee der Marke „Umbruch“, zum Wachwerden ebenso wie zum Durchmachen: denn der Weg nach „Digitalien“ wird für viele kein leichter sein

Das dürfte so manchen der rund 170 Verlags- und Buchbranchen-Manager gleich am frühen Morgen gut in die Glieder gefahren sein: „Es besteht die grosse Gefahr, dass Sie ‘ge-ituned‘ werden“, warnte Christoph Maire von der txtr GmbH in seiner morgendlichen „Keynote“ eindringlich, denn dadurch drohe dreifacher Kontrollverlust: „Die Musikindustrie verlor bei Apples iTunes die Hoheit über die Preise, über die Veröffentlichung und über den Kundenkontakt“, so Maire. Doch gerade letzteres, also die kontinuierliche Beziehung zu Interessenten, Käufern und Nutzern, werde in einer digitalisierten Handelswelt mehr und mehr zum entscheidenden Überlebens-Faktor, nicht nur, aber auch für Buch-Verlage.

Open Access und das Problem des „letzten Klicks“

„Die Monographie ist eine aussterbende Spezies“, konstatierte sogleich Frances Pinter von „Bloomsberry Academic Publishing“. Und zeigte eine Statistik, nach der die Verkäufe klassischer Fachtitel in 30 Jahren auf ein Zehntel sanken, von durchschnittlich 3000 Stück im Jahre 1980 auf rund 300 im Jahr 2010. Drucken lohne sich da ebenso wenig wie die intensive Arbeit mit den Content-Lieferanten aus der Wissenschaft, welche sich über die Netze ohnehin mehr und mehr selbst austauschen, auch publizistisch. „Wir sind als Verleger nicht mehr die hehren ‘Gate-Keeper‘ sondern im Service-Geschäft, erkannte die erfahrene Verlagsmanagerin nüchtern. Und sie plädierte unmissverständlich für die Bereitstellung wissenschaftlicher Publikationen als kostenlose „Open Access“-Ware, zumindest in einer Art Basis-Version. Für Umsätze würden dann auf die Kostenlos-Titel draufgesattelte Service-Leistungen und Zusatzinhalte sorgen: Premium-Content. Genau das funktioniere im Hause Bloomsberry Academic schon recht gut, so Pinter. Die anwesende Verlags-Community schwieg eisig.

Einen nicht minder radikalen Ansatz schlug der dritte Keynote-Redner mit den so genannten „micro-chunk-transactions“ vor. Es gäbe doch gewiss eine Vielzahl von Büchern, gerade bei Fach- und Sachbüchern, deren Inhalte sich in kleine, ja kleinste Pakete zerteilen liessen, so Rob Kniaz. Der Ex-Google-Mitabeiter ist derzeit als Venture Capital Manager ein Scout und Berater für aussichtsreiche Geschäftsideen im digitalen Mediengeschäft. Bei vielen Verlagen, so Kniaz, gäbe es im Web das Problem des „letzten Klicks“: Trotz ihres vitalen Interesses an elektronischen Büchern würden sich (zu) viele Verbraucher noch der finalen Kauf-Transaktion verweigern, und das hätte zwei Gründe: Zu hohe Stück-Preise und beschränkte Einsatzmöglichkeiten. Einmal gekaufter „Digital-Content“ müsse jedoch auf PCs ebenso nutzbar sein wie auf Mobilgeräten – ob Smartfon, Tablets oder E-Book-Readern – und das ohne dafür mehrfach zur Kasse gebeten zu werden.

Und weil digitale Güter für mobile Geräte erfahrungsgemäß immer dann gut liefen, wenn die Preise gering seien – etwa bei Musik, Klingeltönen, Spielen und MiniProgrammen (Apps) – wäre es auch für die Buchbranche Erfolg versprechend, die Inhalte auf kleine Einheiten herunter zu brechen: Kapitel, Abschnitte, einzelne Beiträge oder auch Illustrationen, Infografiken, Fotos. Kleine Produkte, kleine Margen – aber die Masse würde es machen. Mehr noch: „Jede kleine Inhalts-Einheit mag für sich wenig Umsatz bedeuten, doch mit jedem dieser Umsätze ist ein Kundenkontakt verbunden“, sagte mir Rob Kniaz in einem Kurzgespräch: „Jedes Stück Inhalt birgt die Chance, auf all die anderen, zugehörigen Produkte aufmerksam zu machen. Das ist ungemein wertvoll – wenn man es zu nutzen weiss.“

„Beziehungsarbeit mit den Kunden“: Kostenlos generiert Aufmerksamkeit, Vertrauen und Leistung generieren Umsätze

Die Buch- und Druckkunst als Kunst des Verpackens, so die zwei Wissenschaftlerinnen Jana Steinmetz und Sabine Pfefferer, die an einem der runden Tische ihre zehn studienbasierten „Thesen für die Zukunft des Buch-Verlegens“ vorstellten, bliebe uns gewiss erhalten, aber eher als Luxus-Segment. Für die Massenmärkte viel wichtiger werden hingegen die mobile Verfügbarkeit und die unmittelbare Vernetzung der Leser, um das Lesen zu einer gemeinsamen Sache zu machen: Passagen hervorheben und kommentieren, dieses dann verlinken und versenden, so liessen sich Erkenntnisse teilen, Lesespass mitteilen, Meinungen verteilen und Interpretationen diskutieren. Das mag kurzatmig und kleinteilig sein, doch dafür schnell und „viral“. Mithin „nachhaltig rückkoppelnd“, nicht zuletzt auf die weiteren Produkte des Verlages, siehe Rob Kniaz. „Beziehungsarbeit mit den Kunden“, nannte es der Workshop-Referent Jens Klingelhöfer von der Firma Bookwire, und schob in seiner Präsentation noch einen Merksatz hinterher: „Kostenlos generiert Aufmerksamkeit, Vertrauen und Leistung generieren Umsätze.“

In diesem Stil ging es auf der BuchDigitale munter weiter mit der Fragmentierung von tradierten Gewohnheiten, vermeintlichen Gewissheiten und lieb gewonnen Paradigmen der Buchbranche.

- Buchpreisbindung? – Dieses „Relikt“ sei kaum noch zu halten, wenn die Werke in digitale Kleingüter zerteilt seien, hiess es. Stattdessen ermögliche die Fragmentierung von Fach- und Sachbüchern neue Arten des (Re-)Bundlings und der Rabattierung bei Komplettabnahme, wie auch De-Luxe-Margen bei De-Luxe-Ausgaben, wenn sie wertvoll verpackt und „gebrandet“ würden.

- Kopierschutz? – Durchaus, doch am besten bei niedrigen Klein-Stück-Preisen, weil damit Piraterie obsolet werde, sie lohne sich dann kaum, so Christoph Maire.

- Multimedia? – Gut und schön, sei aber längst kein Allheilmittel mehr für gesteigerte Abverkäufe. Die Integration interaktiver Elemente hingegen und die Einbindung der Inhalte in die soziale Netzwerke seien schon eher Wettbewerbsfaktoren.

Fazit

Insgesamt zeigte sich die BuchDigitale 2010 als eine gut aufgestellte Veranstaltung. Professionell organisiert und durchgeführt, inhaltlich sehr nah am Zielpublikum, also an den Buch-Verlagen und ihrer momentanen Situation. Mit ihrem Verzicht auf Lamento und Blues, mit ihrem Fokus auf Geschäftsmodelle samt Tragfähigkeits-Prüfung, auf Antworten und Handlungs-Anleitungen, atmete sie Frische und Aufbruch. Mehr noch: verglichen mit so manchen Selbstbemitleidungs-Chorälen ähnlicher Events wirkte sie wie ein Aufputschmittel, das seine ermunternde Wirkung nicht verfehlen sollte.

Dieser Text ist eine verkürzte Version eines ausführlichen Berichts über die BuchDigitale, die lange Fassung lesen Sie hier

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Geschrieben von

hest

Journalist, Autor, Referent, Lehrkraft, Freischreiber. Wanderer & Wunderer in Sachen Medienkultur

hest

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