Die derzeitige politische Polarisierung um die Flüchtlings- und Islamfrage ist ungeheuer gefährlich. Linke wie Rechte beziehen sich in ihrer Argumentation auf Extrempositionen der Gegenseite. Man hält diametral dagegen, um einen Ausgleich herzustellen. Das ist nachvollziehbar. Allerdings ist der Gegensatz der linken, „weltfremden Gutmenschen“ zu den Rechten als verbohrte und rassistische Chauvinisten einer, der nicht unbedingt der Realität entspricht. Beide Seiten bringen teils sehr vernünftige Argumente an. Hier dazu einige Thesen, die zwischen den Positionen vermitteln sollen:
- Leitwerte sind unerlässlich. Ohne sie lassen sich weder Terrorattacken auf Flüchtlingsheime, noch die Massaker in Paris als falsch definieren. Diese Werte müssen notwendig universalistisch sein, wollen wir friedlich miteinander leben. Das Grundgesetz hat diese Werte klar und sinnvoll definiert.
- Die Rede von den „westlichen Werten“ ist gefährlich unpräzise. Diese Werte gehören nicht „dem Westen“. Zwar besitzen „wir“ eine großartige Tradition der menschlichen Freiheit, Solidarität und Gleichwertigkeit, aber die gibt und gab es auch woanders. „Westlich“ sind auch Sklavenhaltung, blutige Kolonialisierungen und die Shoah. „Der Westen“ ist auch ein zentraler Akteur der weltweiten (barbarischen) neoliberalen Umstrukturierung, die unsere Welt in die Misere gebracht hat, in der sie heute ist. Westlich sind auch die 20-25 Prozent der Deutschen, die laut „Mitte-Studien“ rechtsextremes Gedankengut vertreten
- Innerhalb des Islams gibt es derzeit viele autoritäre bis faschistische Strömungen. Auch in einigen Koranschulen in Deutschland werden menschenfeindliche Werte vermittelt. Das ist ernst zu nehmen und sinnvoll zu bekämpfen. Auch werden einige übelwollende Akteure die Flüchtlingsbewegung nutzen, um nach Deutschland zu kommen. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass wir in einer globalisierten Welt leben. Die Gefahr wird sich nicht durch hochgezogene Grenzen ausschließen lassen.
- Es gibt nicht „den Islam“. Es gibt den faschistischen Islam des IS und anderer ähnlicher Gruppen. Es gibt auch den autoritären und reaktionären Islam Saudi Arabiens. Aber es gibt auch die islamisch geprägten Länder, in denen acht weibliche Staatsoberhäupter gewählt wurden. Es gibt den Islam, in dem 70.000 Kleriker das Morden des IS als unislamisch und barbarisch bezeichnet haben, in dem die größte islamische Gemeinde der Welt, die indonesische „Nahdlatul Ulama“ einen vernünftigen Islam predigt. Es gibt den progressiven Islam von Amina Wudud, Mahmud Taha und Reza Aslan.
- Migranten und Flüchtlinge sind Menschen. Manche benehmen sich sehr schlecht. Manche benehmen sich toll. Der Großteil liegt, wie bei allen Menschen, irgendwo dazwischen.
- Die Grenze verläuft nicht zwischen den „Völkern“, Religionen oder Geschlechtern, sondern zwischen Arschlöchern und Nicht-Arschlöchern. Arschlöcher sind Menschen, die andere als nicht gleichwertig und gleich wertvoll erachten, die das Recht der anderen, über ihr eigenes Leben selbst bestimmen zu können, nicht anerkennen.
- Wir brauchen einen kraftvoll umgesetzten Plan zur Integration. Flüchtlinge müssen Deutsch lernen, denn eine gemeinsame Sprache ist aus vielen Gründen die Grundlage für ein sinnvolles Miteinander. Einige von ihnen (die, die sich „schlecht benehmen“) müssen an die Werte des Grundgesetzes herangeführt werden beziehungsweise zur Respektierung dessen gezwungen werden. Sie brauchen einen Platz in der Welt. Das ist nicht nur eine ökonomische Frage. Klappt diese Integration nicht, ist der soziale Frieden in Gefahr. All das gilt auch für einige „Deutsche“.
- Die Grenzen können in der gegenwärtigen Wirtschafts- und Weltordnung nicht ohne weiteres geöffnet werden. Das könnte Deutschland destabilisieren. Davon hat niemand etwas. Allerdings geht die größte Gefahr derzeit empirisch gesehen von der radikalen Rechten aus, nicht von Flüchtlingen.
- Den Flüchtenden muss aber geholfen werden. Wir können sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, das wir als „Westen“ maßgeblich mit verursacht haben. Das gebietet die universalistische Moral, auf die immer gepocht wird. Das gebietet aber auch das langfristige Eigeninteresse. Sinnvolle Vorschläge dazu machte beispielsweise Slavoj Žižek hier.
- Die Flüchtlingskrise ist eine große Chance. Wir haben die Chance, uns nicht wie Mäuse vor der Misere der Welt zu verkriechen, die wir selbst mit verursacht haben. Wir können als stolze Weltbürger (auf kluge Weise) Menschen in größter Not zur Hilfe kommen. Damit erfrischen und verbreiten wir die ehrwürdige Idee von Freiheit und Solidarität Wir bejahen damit unser schönstes Erbe.
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