Elon Musk, der Arme!

Sprache Kaum werden mal die Reichen kritisiert, eilen Stiefellecker herbei. Wir sollten sie auch so nennen
Ausgabe 16/2021
Dürfte ich mal kurz Ihre Stiefel ... sehen?
Dürfte ich mal kurz Ihre Stiefel ... sehen?

Foto: Maja Hitij/Getty Images

Wir sollten öfter offen reden. Manchmal ist es tatsächlich so, dass sich die Dinge besser benennen lassen, wenn wir die Sorge beiseitelegen, andere zu beleidigen. Beispielsweise sollten wir das Wort „Stiefellecker“ wieder mehr benutzen.

Stiefellecker sind Leute, die nach oben buckeln und nach unten treten. Sie sind meistens sehr meinungsstark: In Internetdiskussionen, an Bushaltestellen, auf Familienfeiern oder am Arbeitsplatz verkünden sie mit gewaltiger Selbstsicherheit, dass alle Erwerbslosen, denen nicht mindestens beide Arme und Beine fehlen, Simulanten seien. Diese führten auf Kosten der hart arbeitenden Menschen ein Leben in Saus und Braus. Regelmäßig taucht dabei das Zerrbild der faulen, rauchenden, das Sofa durchschwitzenden, River-Cola mit Billig-Wodka trinkenden, reaktionären, haarigen und pickeligen „Unterschichtler“ auf, die bestimmt Urlaub in der Karibik machen, von dem vielen Kindergeld, das ihnen der Staat großzügig überallhin zustecke.

Dieser Hass gegen Erwerbslose ist bei den Stiefelleckern verbunden mit umfassender Empathie für die Nöte der Reichen. Man kann das jetzt wieder beobachten, wenn diese Menschen all denen, die der Sturz des Berliner Mietendeckels ärgert, den unfreundlichen Rat erteilen, sich für ein Wohnrecht in den inneren Bezirken doch etwas mehr ins Zeug zu legen. Oder in jüngerer Vergangenheit im Fall des Rainer Erlinger. Der Buchautor und frühere Moralberatungs-Kolumnist der Süddeutschen Zeitung geriet in die Schlagzeilen, weil er Mieter aus ihrem Zuhause werfen ließ: 140 Quadratmeter in seinem mit öffentlichen Geldern sanierten Altbau in Berlin-Mitte seien ihm zu eng!

Sofort hechteten Stiefellecker herbei und beschimpften alle, die dieses Verhalten ankotzt, als Stalinisten. Auch als ruchbar wurde, dass der 153 Milliarden schwere Elon Musk Hunderte Millionen an Staatsbeihilfe für seine Brandenburger Giga-Factory beantragt hat, während er zugleich faire Tarifbedingungen nach Kräften hintertreibt, tauchten in den Kommentarspalten eifrige Verteidiger auf: Das Geld hat der doch gar nicht flüssig! Dass er das Geld dann ja leihen könnte, wie andere Menschen auch, oder dass er anscheinend doch 1,5 Milliarden flüssig hat, um sich Bitcoin-Aktien zu kaufen, fällt seinen Verteidigern nicht auf.

Es ist ja kaum verwunderlich, wenn Wohlbegüterte sich einreden, sie hätten ihr Geld fair verdient, was wiederum heißt, dass die Armen auch ihre Armut verdient hätten. Aber warum glauben ihnen diesen Unsinn so viele von denen, die selbst vermutlich gerade mal so klarkommen?

Zwei Drittel der Hochvermögenden gaben 2016 Erbschaften und Schenkungen als Gründe für ihren Reichtum an. – von wegen „Leistung“. Es muss niemand Karl Marx lesen, um zu verstehen, dass Reichtum durch die Arbeit anderer erzeugt wird. Reich sein heißt: Ich verdiene mit einer Stunde Arbeit so viel wie andere an einem Tag, in einer Woche oder sogar in einem Jahr. Und da sollen Beziehende von Arbeitslosengeld II Egoisten sein, wenn sie keine Lust haben, für 9,35 Euro um vier Uhr morgens aufzustehen, nur um dem Chef den dritten SUV zu finanzieren?

Die Stiefelleckerei verlangt von denen, die es schwerer haben, jeden Anspruch auf faire Bezahlung oder anregende Arbeit fallen zu lassen. Das gefällt den Schlachthofeigentümern und Onlinehandels-Riesen, denn so lassen sich die Gewinne sehr schön steigern. Und es sorgt dafür, dass immer genügend Leute bereit sind, sich ausbeuten zu lassen. Den Stieffelleckern gefällt es, die Dinge wie von oben zu betrachten. Kommt es aber darauf an, werden sie von den Stiefeln, die sie lecken, trotzdem getreten.

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Geschrieben von

Houssam Hamade

War lange Partymaus und Türsteher. Nun ist er Sozialwissenschaftler, schreibt Bücher über menschliche Grenzfragen und Texte für diverse Zeitungen.

Houssam Hamade

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