Bis auf die Knochen

Die "Allpolnischen" kommen Alle reden vom "Populisten" Andrzej Lepper und vergessen den "Patrioten" Roman Giertych

Ein Paradoxon der jüngsten polnischen Geschichte: Jozef Pilsudski, auf den sich Lech Kaczynski und sein Zwillingsbruder Jaroslaw, der eindeutige Dompteur in Warschaus politischer Manege, stets als Vorbild berufen, hat vor genau 80 Jahren - im Mai 1926 - mit einem Staatsstreich gerade diejenigen von der Macht verjagt, die jetzt durch die im Last-Minute-Verfahren geschmiedete rechtsklerikale Koalition an der Machtausübung teilhaben dürfen: die aufmüpfigen Bauern und die radikalen Katho-Nationalen. Nicht nur diese Kuriosität ist der Erinnerung wert. Während Marschall Pilsudski zu den römisch-katholischen Hierarchen klar auf Distanz ging (er konvertierte aus persönlichen Gründen zum Protestantismus), offenbaren seine Möchtegern-Epigonen eine für das heutige Europa kaum verständliche Untertänigkeit den "Schwarzen" gegenüber. Jaroslaw Kaczynski nimmt gar das obskure Radio Maryja in Schutz, das ob seiner antisemitischen Ausfälle von manchem Bischof als unappetitlich empfunden wird.

Für die derzeit bedrückende Atmosphäre in Deutschlands östlichem Nachbarland ist nach dem besiegelten Regierungspakt der Kaczynski-Partei Recht-und-Gerechtigkeit (PiS) mit der populistischen Samoobrona Andrzej Leppers und der radikalklerikalen Liga Polnischer Familien (LPR) mit der Galionsfigur Roman Giertych folgendes charakteristisch: Die oppositionellen Bürgerlichen von der Bürgerplattform (PO), die als knappe Verlierer der letzten Parlaments- und Präsidentenwahl im Herbst - aus welchen Gründen auch immer - keine Koalition mit dem Doppelsieger PiS eingehen wollten, richten jetzt ihr Feuer mit Vorliebe auf den mitregierenden Andrzej Lepper. Ein populistischer Raufer, der Gerichtsvollzieher mit Gewaltanwendung verjagte, ein unflätiger Rädelsführer, wie konnte ein solcher Kerl Vizepremier und Agrarminister werden? - wird gefragt. Der seit Jahren diensthabende Buhmann der politischen Klasse Polens ist für die "authentischen Demokraten" das Hauptproblem. Er war es schließlich, der tatkräftig gegen die wilde Privatisierung und den Ausverkauf von Staatseigentum an fremdes Kapital protestiert hat - jetzt aber im Namen aller Parvenüs, denen es gelang, sich die dicken Restposten aus der Erbmasse Volkspolens anzueignen, in die gute Stube will. Er war und ist halt der Populist. Die sich aufdrängende Frage, ob denn nicht alles "populistisch" ist, was mit dem Hegemonieanspruch der Neoliberalen als nicht vereinbar gilt, stellt in der momentanen Debatte niemand. Auch die so genannte Linke verkneift sie sich beflissen.

Insofern spielt auch kaum eine Rolle, was für die junge und schwache Demokratie Polens wirklich das Problem ist: Mit Roman Giertych und seiner LPR kehren wahrlich dubiose Kräfte in die Regierung ein. Der zweite unter den neu ernannten Vizepremiers übernimmt als Minister auch noch das Bildungsressort und wird sich nach eigenem Bekunden vorzugsweise um die "patriotische Erziehung und Bildung" der Jugend kümmern. Es irrt, wer behauptet, er habe dazu keine Qualifikationen. Er hat! In den neunziger Jahren reaktivierte er die um 1930 entstandene berüchtigte Allpolnische Jugend ("Mlodziez Wszechpolska") - das "Jungvolk" des Nationalradikalen Lagers und dessen extrem faschistischen Ablegers Falanga. Wie ihre Vorkriegskumpane sind auch die jetzigen "Allpolnischen" nationalistisch bis auf die Knochen und - wie ihre gewalttätigen Demonstrationen zeigen - antisemitisch verbohrt.

Aus den Hosen der "Allpolnischen" ist Giertych inzwischen herausgewachsen und darf sich nun darum kümmern, das Bildungswesen im "Sinne des Patriotismus" zu revolutionieren. Der Beistand der "Schwarzen", besonders von Radio Maryja, ist ihm sicher. Können die heftigen Schüler- und Studentenproteste der vergangenen Tage den Überzeugungstäter aufhalten? Schwer zu sagen, denn der Recht-und-Gerechtigkeits-Partei (PiS), dem Hauptkoalitionär im Dreierbund, sind "allpolnische Werte" alles andere als fremd.


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