Also sprach Seine Eminenz Kardinal Stanislaw Dziwisz im Buch Swiadectwo ("Zeugnis") auf Seite 132: "In einigen Zentren des Westens wird hämisch über die Hilfe des Heiligen Stuhls (für die Solidarnosc - H.O.) gesprochen. Ich möchte wiederholt betonen, dass Johannes Paulus II. die Solidarnosc niemals finanziell unterstützt hat. Er gewährte ihr allerdings moralische Hilfe, ausschließlich moralische. Die Hilfe des Heiligen Vaters galt dem Kampf um das Recht der Menschen für Freiheit und Unabhängigkeit. Jegliche Gerüchte über angebliche finanzielle Unterstützung der Solidarnosc durch den Papst sind reine Gehirngespinste. Es sind halt Lügen."
Soweit ein Zitat aus dem gerade in Polen erschienenen Buch, in dem der im Vatikan "Don Stanislao" genannte persönlicher Sekretär von Johannes Paul II. Fragen über seine Jahre an der Seite von Karol Wojtyla beantwortete. Es waren viele Jahre, zuerst zwölf in der Krakauer Erzdiözese und dann die lange Zeit von 1978 bis 2005 als Helfer am Heiligen Stuhl. Das 231 Seiten starke Buch ist zur Hälfte durch die Fragen von Gian Franco Svidersoschi, des einstigen stellvertretenden Chefredakteurs der Vatikan-Zeitung Osservatore Romano, ausgefüllt - in letzter Instanz bearbeitet hat das äußerst ausgewogene Werk, wie eingangs erwähnt, der jetzige Krakauer Metropolit, Kardinal Stanislaw Dziwisz. Demzufolge kann, was im Swiadectwo geschrieben steht, nichts anderes sein als die Wahrheit und nur die Wahrheit, soll die Öffentlichkeit glauben und wird in fast allen polnischen Medien kolportiert. Als das Buch am 29. Januar in einer Auflage von 100.000 Exemplaren erscheint, ist es noch am gleichen Tag vergriffen, so dass bereits am 8. Februar eine Nachauflage von sagenhaften 600.000 Büchern die Händler erfreut. Wer ein Exemplar erhaschen will, muss dafür umgerechnet sieben Euro fünfzig zahlen.
Sollte, was Seine Eminenz als Wahrheit über die Nicht-Finanzierung der Solidarnosc durch den Vatikan verkauft, die Wahrheit sein, kommt man unwillkürlich auf die Wahrheitsdefinition des verstorbenen katholischen Philosophen, Professor Jozef Tischner. Wie Dziwisz kam der gelehrte Geistliche aus dem Vorgebirge der Hohen Tatra und war ebenfalls in der Goralensprache bewandert. Darin wird zwischen prawda, swiêta prawda i gówno-prawda - Wahrheit, heiliger Wahrheit und "Schiet"-Wahrheit) unterschieden. Und mit dieser dritten Kategorie aus der Tischner-Definition haben wir es offenbar zu tun. Selbstverständlich hat der polnische Papst in den achtziger Jahren den polnischen Untergrund nicht aus eigener Schatulle ausgehalten, doch wäre es seltsam gewesen, hätte es der große polnische Patriot Karol Wojtyla nur bei moralischer Hilfe für den Freiheitskampf in seiner Heimat belassen. Don Stanislao war dem Papst Tag und Nacht so nahe, dass es schier unmöglich gewesen wäre, nichts von "bestimmten Möglichkeiten" der Solidarnosc-Finanzierung gewusst zu haben.
Genau diese Möglichkeiten beschreibt der deutsche Vatikan-Experte Ludwig Ring-Eifel in seinem vor einem Jahr erschienenen Buch Weltmacht Vatikan. Päpste machen Politik. Er weist darauf hin, dass Johannes Paul II. bei Beginn seines Pontifikats im Jahr 1978 von seinen Vorgängern das gesamte Inventar des Heiligen Stuhls, darunter das Instituto delle Opere di Religione (IOR/Institut für Religiöse Werke) - das heißt, die Vatikan-Bank und damit auch deren Chef, den amerikanischen Erzbischof Paul Marcinkus, übernommen habe. Wie zwielichtig und dubios die Geschäfte dieses Instituts auch gewesen sein mögen - Ende der siebziger Jahre waren viele Gerüchte über Finanzskandale, Selbstmorde, Mordfälle und Geldwäsche in Umlauf -, Johannes Paul hielt an Marcinkus fest. Der Pontifex war geneigt zu glauben, die Berichte über angebliche Missstände bei den Vatikanischen Finanzoperationen beruhten auf übler Nachrede. Hinzu kam die schwierige Lage in Polen. Unter dem 1981 verhängten Kriegsrecht seien die von Marcinkus erwirtschafteten Einkünfte der Bank unverzichtbar gewesen, um - über Umwege - die Solidarnosc "auf diskrete Weise in ihrem Untergrundkampf gegen die übermächtigen Kommunisten zu finanzieren", heißt es bei Ring-Eifel. An anderer Stelle erwähnt er, der Vatikan wollte zu den "Geschäften" des IOR nicht völlig auf Distanz gehen, was sicher "mit der schwierigen Lage in Polen zusammen hing, für die der Vatikan eine schwarze Kasse brauchte". Schließlich verwendet der Autor den Begriff "Reptilienfonds", der es dem Papst ermöglichte, "die reichlich sprudelnden steuerfreien Gewinne der Bank nach eigenem Gutdünken einzusetzen". Abgesehen vom Status des Instituts für Religiöse Werke, dessen direkte Zugehörigkeit zu den Einrichtungen des Heiligen Stuhls von diesem verneint wird, bleibt die nackte Tatsache, dass es die Vatikanbank war und ist.
Die Frage, welcher Wahrheit werden wohl Millionen polnischer Katholiken Glauben schenken - dem Zeugnis von Kardinal Stanislaw Dziwisz oder den "Hirngespinsten" irgendeines deutschen "Vatikanisten" - ist absolut überflüssig. Das Buch von Ludwig Ring-Eifel ist in Polen völlig unbekannt.
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