Fluch des Mohnstrohs

POLEN Angst, Hysterie und die Gefahren für HIV-Infektionen wurden frühzeitig eingedämmt

Als zwischen 1347 und 1352 über 30 Millionen Menschen in West- und Südeuropa durch die eingeschleppte Pest zugrunde gingen, blieb das damalige polnische Reich von der schwarzen Seuche verschont. Kasimir der Große - der letzte Piastenkönig - von der Kunde über das Massensterben verschreckt, ließ auf Rat seines Hofmedicus die Landesgrenzen gegen Westen und Süden schließen: Wer der "sanitären Order" nicht folgen wollte, wurde von den Grenzwächtern mit der Keule erschlagen. So jedenfalls will es unsere geschichtliche Überlieferung wissen.

Als über sechs Jahrhunderte später eine andere Seuche aus dem Westen und Süden auf uns zukam, konnte selbstverständlich die Methode des letzten Piastenherrschers kaum Anwendung finden. Schließlich lebte man ja in einer anderen, einer "zivilisierten" Epoche. Das um 1980 auch in Polen kursierende Gerücht von einer unheimlichen tödlichen Immunschwäche, die zuerst in den USA auftrat, mobilisierte allerdings sofort das damalige staatliche Gesundheitswesen: das Sanitäre Hauptkommissariat und dessen Niederlassungen in den einzelnen Wojewodschaften. Ein Arzt, der seit über 20 Jahren eines der für Rauschgiftsüchtige eingerichtetem MONAR-Heime bei Breslau betreut, erklärt mir rückblickend: "Gott sei dank gab es damals bei uns den Kriegszustand. Alles lief nach Befehl, und die Behörden gaben sich größte Mühe, der sich anbahnenden Aids-Angst aufklärerisch zu begegnen. Aids galt über Nacht sozusagen als Staatsangelegenheit."

Dr. Tadeusz Z. möchte anonym bleiben - eben wegen seines konzilianten Urteils über die schlimmen Jahre nach dem 13. Dezember 1981, dem Tag, als der Ausnahmezustand verhängt wurde. Krankheitsfälle - wie man damals meinte - nur im homosexuellen Milieu verbreitet, wurden wie eine Verschlusssache behandelt, doch bereits 1985 sickerte durch, dass es auch in Polen HIV-Infizierte gab. Aus teilweise völlig irrationalen "Verdachtsmomenten" kochte vielerorts eine wirkliche Hysterie: Gefängnisaufseher, Krankenschwestern, sogar Beamte im Gesundheitswesen litten unter Berührungsängsten und verweigerten in manchen Fällen ihren Dienst. Da sich nicht nur Homosexuelle gegenseitig ansteckten, sondern der HI-Virus auch durch unsaubere Spritzen übertragen wurde, gab es regelrechte Aufstände ganzer Ortschaften gegen bestehende oder neu einzurichtende Heime für Rauschgiftabhängige. Marek Kotanski, langjähriger Chef der Stiftung MONAR beschreibt in seinen Publikationen Fälle, bei denen - etwa in der Nähe von Otwock (bei Warschau) - die lokale Bevölkerung Patienten eines MONAR-Rehabilitationszentrums einfach vertrieb. Sogar der katholische Priester Arkadiusz Nowak (

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