Jenseits von Lothar Matthäus und Co.

Geschlechterrollen Selbst wer kein Tiki-Taka-Fan ist, musste den Spaniern nach der Siegesfeier den Titel gönnen. Denn soviel Überwindung stereotyper Männlichkeit gab es selten im Fußball.

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Eigentlich sind Siegesfeiern im Fußball nicht sonderlich spannend, wenn man kein Fan des Gewinnerteams ist. Spieler stemmen den gerade gewonnen Pokal gen Himmel, rennen damit über den Platz, zeigen sich in Jubelposen. Kurz: Die ganze Veranstaltung ist geprägt von männlichem Heroentum. Denn natürlich, dies ist ein Moment für die Geschichtsbücher. Wie sollte man ihn daher auch anders begehen?

Dass es anders geht, hat gestern Abend jedoch die spanische Nationalmannschaft gezeigt. Natürlich, auch hier wurde kurz gejubelt und der Pokal hochgehalten. Doch nur um sich kurz darauf die Familien an der Tribüne abzuholen und mit ihnen gemeinsam den Moment zu genießen.

Die Siegesfeier, ein Familienfest

Statt von einer wild feiernden Männerbande wurden die Szenen dominiert von Familienvätern, die mit ihren Kindern auf dem Arm und an der Hand über den Platz spazierten, Spielern, die mit ihren Partnerinnen am Pokal Fotos fürs Familienalbum machten und kleinen Kindern, deren Aufmerksamkeit weniger dem Pokal als vielmehr dem überall umher liegenden Konfetti galt. Die Siegerfeier, sie war ein einziges Familienfest.

Doch was hier zunächst einfach wie eine nette Anekdote wirkt, ist nicht weniger als ein herausragendes Beispiel für die Dekonstruktion stereotypischer Männlichkeit.

Denn was die Bilder durch die nette Familienfestatmosphäre vermitteln, ist vor allem die Aussage, dass sich für viele junge Männer heute die Prioritäten verschoben haben. Denn wenn selbst im Fußball, einem Sport, der in Sachen Geschlechter noch so konservativ und stereotyp ist, wie kaum ein anderer, die Spieler fast geschlossen die kleine Freude mit Frau und Kind der großen Jubelpose vor den Massen vorziehen, scheint sich wirklich etwas zu entwickeln. Zum Glück.

Denn so gehören wohl die alten Zeiten wieder ein Stück mehr der Vergangenheit an, in denen ein nackter Lothar Matthäus mit dem Weltmeisterpokal als übertragene Verlängerung des Genitales in die Kamera posiert, oder Spieler den Moment des Sieges zur Demonstration der eigenen Stärke und ‚Männlichkeit’ nutzen.

Nicht zu unterschätzende Symbolik

Natürlich sollte festgehalten werden, dass die Freude beim dritten großen Titel innerhalb von 6 Jahren vielleicht anders ist, als beim ersten. Genauso wie wohl ebenso nicht zu erwarten ist, dass sich die spanischen Spieler in ihrer Freizeit durch ein überbordendes Engagement in Familie und Haushalt auszeichnen oder sich sonst wie um die geschlechtliche Gleichberechtigung verdient machen. Dies schmälert jedoch nicht die Wirkung, die diese Bilder aufgrund ihrer Symbolik entfalten können. Im Gegenteil, zeigt es doch, dass gerade auch Männer, deren Schwerpunkt wohl nicht unbedingt auf gender-politischen Themen liegt, heutzutage einen Wandel durchleben und - bewusst oder unbewusst - klassische Bilder von Männlichkeit über Bord werfen.

Wem also das spanische Tiki-Taka nicht ausreicht, sollte daher spätestens hier einsehen, dass Spanien ein verdienter Europameister ist.

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hierundjetzt

Studiert in Berlin Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie.

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