Richard David Precht trifft Luisa Neubauer: Eine Diskussion am Abgrund
Kritik Der Talkmaster Richard David Precht verlässt im Gespräch mit Luisa Neubauer seine Rolle als Fragender und monologisiert. Leider bleibt auch die Klimaschutzaktivistin gefangen in ihrer Weltuntergangslogik
Klimaaktivistin Luisa Neubauer zu Gast bei Richard David Precht
Screenshot: der Freitag/ZDF
Schon länger treibt den Sophisten Richard David Precht die Frage um, ob die Demokratie ein geeignetes politisches System sei, mit dessen Hilfe der Klimakollaps abgewendet werden könne. Bislang plädierte er, müssten Regierungen schnellstens mehr und viele Verbote gegen die Klimakatastrophe erlassen, um eine Ökodiktatur als logische Konsequenz aus dem Ausnahmezustand des ansonsten drohenden Klimakollaps zu verhindern. Nun hat Precht sie am Sonntag in einem Fernsehgespräch mit der Klimagerechtigkeitsaktivistin Luisa Neubauer präzisiert. Genauer: Wenn die im Sommer trocken gefallenen Flüsse, Wasserspeicher und die zahllosen Waldbrände in Europa als Vorboten des nahenden Untergangs der Welt, wie wir sie kannten, gelesen werden, dann wurde es für
2;r ihn nun offenbar Zeit für eine Aktualisierung.Dazu hat Talkmaster Precht seine Rolle als Fragender in dem auf ihn zugeschnittenen Sendeformat verlassen und monologisiert. Er hat den Satz fallen lassen, dass „die Demokratie von Natur aus nicht wahnsinnig schnell“ sei, dass sie mit Absicht ein langsames System ist, in dem Reformen entlang von „checks and balances“ ausgehandelt werden. Das Problem mit der Demokratie sei weiter, dass „es einen großen Teil von Leuten gibt, die zwar eine allgemeine Einsichtsfähigkeit in das Thema, aber keine große Lust haben, ihr Leben zu verändern“. Wenn wir „in dem Tempo“, auch noch ausgebremst, weil abgelenkt durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine und die allgemeine Teuerung, so weitermachten, „dann gute Nacht“.Deutschlands Bestseller-Honorarprofessor ist zur Demokratiekritik übergegangen. Die Langsamkeit des „demokratischen Lernen und des demokratischen Aushandelns“ passe nicht mehr zu der „unglaublichen Dringlichkeit, mit der etwas geschehen muss“. Zwar formulierte er das seiner Gesprächspartnerin Neubauer gegenüber als Frage, eine solche Frage zu stellen setzt jedoch voraus, und der vorausgegangene Monolog lässt daran keinen Zweifel, dass Precht von der These überzeugt ist.Neubauer zur Kernaufgabe von RegierungenNeubauer wehrte sich zunächst tapfer gegen Prechts Stoß gegen das Demokratische. Das Gegenteil sei der Fall, der Rechtsstaat und die Demokratie böten doch gerade die Werkzeuge, der fossilen Lobby in den Arm zu fallen. Sie schwärmte von der Kraft der „dezentralen Selbstermächtigung“, räumte ihre Niederlage auf dem jüngsten zentralen Parteitag der Grünen ein, an dessen Ende die Mehrheit der Delegierten längeren Laufzeiten für die verbliebenen Atomkraftwerke die Tür geöffnet hatten. Und offenbarte schließlich, dass „wir“ auf Prechts Gegenüberstellung von dringlichen Reformen und langsamer Demokratie „bisher keine Antwort haben.“ Die von ihr angeführte Fridays-for-Future-Bewegung müsse „eine Beschleunigung herausfinden, wie das gehen kann“. Ein Satz, der einer Drohung nahekommt.Da saßen sie nun, der Propagandist einer auf dem Verordnungswege funktionierenden Autokratie und die Klimagerechtigkeitsaktivistin, unter dem Lampenkreis des sonst abgedunkelten Fernsehstudios, gefangen in jener Weltuntergangslogik, mit der sich die Umweltprotestlerin vor einigen Jahren selbst in Ketten gelegt hat.Seiner „Natur nach“, um eine Redewendung Prechts zu zitieren, verbietet ein drohender Weltenbrand das Denken in Alternativen und macht entschiedenes Handeln alternativlos. Dem einen, Precht, war es gelungen, seine Überlegenheit im Diskurs zu inszenieren, die andere schwadronierte fortan über die Kernaufgabe von Regierungen, „Menschen für Veränderungen zu begeistern, die notwendig sind“.Die Reduzierung des Politischen auf Erlasse, verbietender Verordnungen und Anstiftungen zur Begeisterung über dieselben steht im Widerspruch zur demokratischen Kultur, als deren höchste Ausprägung. Doch die Achtung vor einem Parlament gilt, dessen Abgeordnete aus freien Wahlen hervorgegangen sind, weil sie als Persönlichkeiten mit ihren Botschaften Mehrheiten begeistern konnten.Vielleicht ist den beiden gar nicht aufgefallen, dass sie immer über Regierungen, nie aber über Parlamente geredet haben. Sie haben über Bewegungen gesprochen, über die politische Spitze der Verwaltung also, nicht aber über jene, die Gesetze verhandeln und letzten Endes vertreten müssen. Nur Precht kam höchst vage auf „Politik“ zu sprechen: Er wagte die steile These, dass selbige „aus Eigennutz nicht daran interessiert ist, nachhaltig zu denken“. Denn je radikaler „Politik“ ökologisch denke, umso mehr Menschen drohe sie verlieren.Da ist schon ganz praktisch, dass der „deutsche Mittelstand“ die Demokratie mehr und mehr vor dem Werkstor aussperrt und in neun von zehn Betrieben das Führerprinzip gilt. Er, Precht, erlebe, dass der „deutsche“ Mittelstand viel weiter sei als die Politik und „aus Eigennutz daran interessiert ist, nachhaltig zu denken“. Die wollten ja auch in Zukunft was verkaufen. Dem dummen Pöbel hingegen müsse man die fossilen Mythen, die er sich vor 20, 30 Jahren habe einhämmern lassen, vergessen machen, ergänzte Neubauer.In einer Demokratie kann man fast alles sagen, schreiben und talken, auch so ein in leichter Art vorgetragenes Duett gegen das Demokratische. Diese Diskussion war lehrreich: Nicht an ihren Themen, aber an der politischen Kultur der Umweltbewegung sind Zweifel angebracht.