„Die Feuerzangenbowle“: Ungestörtes Vergnügen

Geschichtslos Die Begeisterung für „Die Feuerzangenbowle“ mit Heinz Rühmann ist groß – das Interesse an der Entstehung des NS-Films gering
Ausgabe 51/2016
Alles nur ein harmloser Spaß?
Alles nur ein harmloser Spaß?

Foto: United Archives/Imago

Wenn es in der Weihnachtszeit in Hörsälen und auf Weihnachtsmärkten dampft und die Pennälerkomödie Die Feuerzangenbowle mit Heinz Rühmann zusammen mit dem gleichnamigen Getränk genossen wird, spielt die Entstehung des Klassikers keine Rolle. Viele Zuschauer können ganze Textpassagen der Geschichte vom Schriftsteller Pfeiffer auswendig, der seine verpasste Schulzeit später nachholt. Weitgehend unbekannt ist, wie der Film entstand. Schon bei der Premiere brannte und qualmte es: Sie fand am Vormittag des 28. Januar 1944 statt, weil Berlin nachts verdunkelt war; in den Stunden zuvor fielen fast 4.000 Tonnen Bomben auf die Stadt.

Was alles passieren kann, wenn Männer sich einer Feuerzangenbowle hingeben und über ihre Jugend schwärmen, zeige dieser „erstklassige deutsche Film“, schrieb das Goethe-Institut Tokio, als es ihn 70 Jahre später in gemütlicher Runde vorführte. Auch in der ARD läuft der Film zur besten Sendezeit, am Nachmittag von Heiligabend. Während Rühmanns Rolle im Nationalsozialismus kritisch beleuchtet wurde, hat sein bekanntester Film die Verbindung zu seiner Entstehungszeit verloren.

Es ist kaum anzunehmen, dass der Film noch heute als NS-Propaganda wirken würde – trotz einiger heikler Passagen. Wie dem Auftritt des Oberlehrers Dr. Brett: Junge Bäume müssten angebunden werden, damit sie „schön gerade wachsen, nicht nach allen Seiten ausschlagen“, erläutert er die „neue Zeit“, die neue Methoden mit sich brächte. Disziplin solle junge Menschen bändigen. Auch passt das Frauenbild zur NS-Ideologie – sowie die Scherze über die älteren Lehrer, die für die alten Autoritäten stehen, während der schneidige Dr. Brett die Schüler für sich gewinnt. Trotzdem ist und bleibt Die Feuerzangenbowle im Kern ein Unterhaltungsfilm wie der Großteil der NS-Filmproduktion. Also nur ein harmloser Spaß? Oder doch Propaganda? Laut Reichsminister Joseph Goebbels sollte diese unsichtbar sein, um zu wirken.

AfD-Vorstand in Münster

„Letztlich ist es beides“, sagt der B.Z.-Journalist und Autor Oliver Ohmann. Er hat die Entstehung des Films recherchiert und ein 400-seitiges Buch darüber veröffentlicht. Ohmann sieht die Komödie als „Durchhaltefilm“, als eine Produktion, die in der letzten Kriegsphase die „Moral“ in der Bevölkerung und das Vertrauen in den „Endsieg“ aufrechterhalten sollte. „Viele denken, dass in solchen Filmen gesagt werden müsse, wir sollen den Krieg durchhalten“, sagt Ohmann. Es sei jedoch vielmehr darum gegangen, den Krieg zu vergessen. „Das macht das Ganze so teuflisch.“ Denn wer – wie damals viele Künstler – die Massen unterhielt, der habe den Zweiten Weltkrieg verlängert.

Interessant ist, wie Die Feuerzangenbowle aus ihrem historischen Zusammenhang in die zeitlose Filmgeschichte übergewechselt ist – obwohl der Film mitten im „totalen Krieg“ gedreht wurde. Ohmann nennt den Film eine „gesamtdeutsche Liebe“, da er in Ost wie West viele Fans gefunden habe. Offensichtlich ist, dass er scheinbar unhistorisch in der „guten alten Zeit“ spielt. Laut Stefan Drößler, dem Leiter des Münchner Filmmuseums, wurden Filme nach dem „Dritten Reich“ in politische und unpolitische eingeteilt. Die einfache Unterscheidung findet er fatal: „Die Feuerzangenbowle galt schnell als ‚unpolitisch‘.“

Eine entscheidende Rolle dürfte die Tradition an Unis spielen, den Film als Event zu feiern – mit Weckern, Wunderkerzen und Bowle. Allein in Göttingen kommen bis zu 10.000 Zuschauer zusammen. Die VWL-Studentin Cornelia Meyer zur Heyde war in den 70er Jahren am dortigen Unikino aktiv. Wegen des erfolgreichen Einsatzes des Films wurde ihr angeboten, die Aufführungsrechte zu kaufen – was sie nach dem Examen tat. Seitdem sei das Interesse am Film rasant gestiegen, auch durch einen Wetten, dass ..?-Auftritt von Rühmann 1994 befeuert: Der kündigte an, die Vorführung in Göttingen zu besuchen.

Meyer zur Heyde, die nun im AfD-Vorstand von Münster sitzt, hält ein Auge auf den Einsatzzweck. Vorführungen an „allen namhaften Universitäten“, bei Studentenverbindungen und auf Weihnachtsmärkten werden gerne genehmigt. Anders sah es aus, als das Deutsche Historische Museum in Berlin ihn vor einigen Jahren in einer NS-Filmreihe aufführen wollte, mit Vortrag zum Hintergrund. „Im Kontext von NS-Filmen wollte sie ihn nicht zeigen“, sagt Jörg Frieß, Leiter des dortigen Zeughauskinos. Er findet das Vorgehen fragwürdig.

„Ich spreche nicht mehr mit Journalisten am Telefon“, schreibt Meyer zur Heyde auf Anfrage. Sie beruft sich auf die Vertragsfreiheit. „Lizenzrechte sind kein öffentliches Gut, und ich bin nicht die Wohlfahrt“, betont sie. Die Zuschauer seien überwiegend Studenten, die eh keine Erläuterungen benötigen würden: „Sie denken selber.

Drößler hält den Film zwar nicht für irgendwie gefährlich, doch Kritik zu verhindern ist für ihn inakzeptabel. Er ist Mitglied des Filmbeirats der Goethe-Institute und betrachtet es wegen deren öffentlicher Finanzierung und ihrer besonderen Verantwortung als essenziell, Filme immer im Kontext zu zeigen. „Bei Filmen aus der NS-Zeit ist dies aufgrund des Bildungsauftrags besonders wichtig“, sagt auch Johannes Hossfeld vom Filmbereich des Goethe-Instituts. Obwohl die Einladung einen anderen Eindruck machte, habe es in Tokio eine „multiperspektivische“ Einführung gegeben. Unreflektierte Vorführungen an Goethe-Instituten seien problematisch: „Wir empfehlen den Einsatz des Filmes nicht.“

Normale Dreharbeiten

„Ich denke, dass auch Fernsehanstalten den Film in seinen Kontext stellen sollten“, sagt Drößler weiter. Die ARD-Pressestelle möchte dazu nicht Stellung nehmen, sie verweist auf die Tochterfirma Degeto. Diese schreibt, sie traue den Zuschauern eine eigene, „gerne auch kritische“ Rezeption zu. Doch geht die ARD-Homepage mit keinem Wort auf den Hintergrund des Films ein, einziges Indiz bleibt das Erscheinungsjahr 1944. Stattdessen verweist die Pressestelle auf einen Dokumentarfilm von 2007, in dem das Wirken Rühmanns kritisch beleuchtet worden sei. Außerdem sei der „Gute-Laune-Film“ auch unter NS-Größen umstritten gewesen, betont sie. Tatsächlich?

Reichserziehungsminister Bernhard Rust meinte zwar, dass der Film „die Autorität der Schule und der Lehrer geradezu gefährden“ würde. Doch Rühmann bestieg mit einer Filmkopie einen Nachtzug ins „Führerhauptquartier“ in Ostpreußen, und über Göring erreichte das Gesuch Hitler. Der soll nur gefragt haben, ob der Film zum Lachen sei, bevor er ihn für „das deutsche Volk“ freigab. Auch Goebbels setzte sich für den Film ein und schrieb drei Tage vor der Premiere in sein Tagebuch: „Der neue Rühmann-Film Feuerzangenbowle soll unbedingt aufgeführt werden.“

Um Die Feuerzangenbowle ranken sich Mythen. So soll Rühmann durch verlängerte Dreharbeiten seine jungen Schauspieler und Statisten vorm Fronteinsatz gerettet haben. „Bestimmt nicht“, sagt Ohmann. Die Länge der Dreharbeiten sei normal gewesen, Rühmann hätte anschließend gleich am nächsten Film gearbeitet. Auch mussten einige Schauspieler wieder zur Front. Solche Mythen habe er in seinem Buch zerstört. „Ich halte den Film für lustig und sehe ihn gerne“, sagt Ohmann. Aber seitdem er die Entstehung kenne, sehe er den Film mit anderen Augen.

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