Eine Verkündigung oder Weissagung war es nicht, was die Münchner Performancegruppe »Die Stadtpropheten«, um die Regisseurin und Autorin Gesche Piening, in einer dreitägigen performativen Ausstellung Ende Juni 2015 in einem angemieteten Ladenlokal in der Pariser Straße im »In«-Stadtteil Haidhausen präsentierte. Unter dem Titel »Künftig ohne Quadratmeter!« beschäftigten sich die Künstler(inne)n in ihrer Schau thematisch mit dem Phänomen des in der bayerischen Landeshauptstadt besonders augenfällig wirksamen sozioökonomischen Strukturwandels im Stadtraum. Der fast schon inflationär verwendete Begriff der Gentrifizierung ist vom rein akademischen Fachdiskurs ins Feuilleton gerutscht. Wie schon in ihrem Vorgängerprojekt »Vom Zauber der Nachfrage«, erfindet Gesche Piening sich für ihre Produktion pseudo-institutionell, diesmal als »Die Stadtpropheten«.
Nun bedarf es keiner prophetischen Gabe mehr um festzustellen, dass von der durch immobilienwirtschaftliche oder politische Aufwertungsprogramme ausgelösten Verdrängung einkommensschwächerer Haushalte aus innerstädtischen Quartieren auch Künstler(innen) in ihren Nischen betroffen sind. Allenfalls event-orientierte kulturelle Zwischennutzungen gelten in München noch als denkbar, ehe ein attraktives Objekt renditeträchtigerer Verwertung und damit seiner quasi-natürlichen Bestimmung zugeführt wird. Kunst und Kultur sind Teilnehmer am Spiel. Aber genaues Hinsehen ist erforderlich, um die nähere Wirkungsweise dieses Prozesses zu verstehen – und das hat Gesche Piening getan.
Im Zentrum ihrer Ausstellung steht der Begriff der (urbanen) Nische – ein immer währender Mythos. Nach der Nische suchen sie alle: die von Verdrängung Bedrohten, die Kreativen, die Subkultur ebenso wie die nach immer neuen Anlage-, Entwicklungs- und Profitmöglichkeiten Ausschauhaltenden. Sie ist Projektionsfläche für Träume und Hoffnungen aller Art. Eigenwillige Begriffskonstruktionen wie »Nischenschläue«, »Nischenwürde« und »Nischenprotest«, oder auch eine Verballhornung des bekannten Werbeslogans »Weltstadt mit Herz« in »Weltstadt mit Nischentoleranz«, durchziehen die Installation der »Stadtpropheten«.
In Zeiten von als Finanzkrise bezeichneter wirtschaftlicher Verwerfungen gelten Investitionen in das sogenannte »Beton-Gold« prosperierender Großstädte als sichere Geldanlage gegenüber Spekulationen am Aktienmarkt. Die fortwährende Suche freien Kapitals nach Verwertungsmöglichkeiten löste im vergangenen Jahrzehnt in ausgesuchten innerstädtischen Lagen geradezu einen Immobilienrausch aus. In München zeigt sich der Wandel der Arbeitswelt von der Industrie- zur Dienstleistungsökonomie ausgeprägter als andernorts und wird gerne unter Schlagworten wie Wissensökonomie und Kreativwirtschaft diskutiert.
Es gibt wohl kaum eine marginalisierte gesellschaftliche Gruppe in Deutschland, die noch nicht von einer politisch oder sozial bewegten Theatertruppe heimgesucht und anschließend ausgestellt oder vorgeführt wurde. Warum also nicht auch mal was Aufrüttelndes über von Verdrängung und Ausschluss bedrohte Großstadtbewohner inszenieren? Zumal in der bekanntlich teuersten Stadt der Republik? Dieser Versuchung erliegen »Die Stadtpropheten« (Piening nennt das Konstrukt in einem Interview mit dem Kultursender Radio München »Ich und mein Ensemble«) nicht.
Die Autorin und Regisseurin spürt stattdessen gekonnt der die Verhältnisse beschreibenden Sprache nach – jener Darstellungs- und Sprechweise, die zur Verklärung beiträgt. Piening dekonstruiert das Vokabular und legt die Beziehungen und Interessen der Beteiligten offen. Dabei hinterfragt und durchkreuzt sie die als professionell geltende Fachsprache. Es gelingt ihr, die Widersprüche zwischen sprachlicher Form und inhaltlicher Bedeutung herauszuarbeiten. Auf diese Weise belässt sie es nicht bei einer allgemeinen moralischen Empörung, sondern adressiert erstaunlich genau die Teilnehmer am großen Spiel. Ihren Texten ist anzumerken, dass ihnen umfangreiche Recherchen zu Grunde gelegen haben müssen.
Improvisiert, mit zahlreichen kopierten Zetteln an den Wänden, Bierträgern als Ersatz für Regale und einem wilden Mix aus zusammengestöpselter älterer und neuerer Video und Audio-Technik, gleicht die Installation der »Stadtpropheten« optisch einem jener linken Infoläden, wie sie ab den frühen 1980er Jahren in urbanen Zentren Mitteleuropas entstanden – Freiräume für das Experimentieren mit herrschaftsfreien Utopien. Bis Anfang der 2000er Jahre waren entsprechende Einrichtungen als Anlaufstelle für politisch Engagierte, zur Verbreitung alternativer Medien und als Treffpunkte ohne Konsumzwang noch in jeder größeren Stadt zu finden.
Dem Verdacht revolutionärer Umtriebe setzt sich die Schau »Künftig ohne Quadratmeter!« nicht aus. Aber sie zeigt in einem als »Nischen-Museum« apostrophierten Raum ausgewählte Exponate, Fotografien, Filme und Druckwerke aus einer Zeit, in der widerständisches Verhalten rebellischer Münchner Stadtbewohner(innen) militantere Züge trug. So finden sich etwa auf einem sich drehenden Schmuckdisplay zwei präparierte Autoventilöffner, mit deren Hilfe vor mehr als dreißig Jahren von politischen Aktivist(inn)en parkenden »Bonzenkarren« im Viertel beherzt die Luft aus den Reifen gelassen wurde. Das Kontrastprogramm bildet ein »Nischen-Leseraum« genannter Ausstellungsbereich, in dem zahlreiche aktuelle Publikationen von Stadtverwaltung und wirtschaftspolitischen Institutionen ausliegen, die in der ihnen eigenen Diktion von »hoher Standortattraktivität«, »Aufenthaltsqualität« und »professionalisierten Raumnutzungsformen« künden – der Sprachschatz des merkantilen Wettbewerbs.
Die ausgewählten Objekte und Dokumente führen einen aufschlussreichen Dialog mit fiktiven Beteiligten, die auf Bildschirmen als »Talking Heads« zu sehen sind. Die Protagonisten dessen, was als Verdrängungsprozess wahrgenommen wird, finden sich kenntlich gezeichnet in vier Videos. In einer Call-In-Radioshow, die auf MP3-Playern zu hören ist, äußern sich Anrufer/innen zum Thema. Die Beiträge balancieren geschickt zwischen Realität und bitterer Komik.
In einer Fensterlaibung hat sich, stark beengt, ein älterer Herr – Typ Alt-68er – mit einem kleinen Tischchen und einem Stuhl eingerichtet. Er sitzt dort wortlos, liest Bücher, trinkt Kaffee, isst Kuchen. Ein Trassierband trennt ihn von den Besuchern. Diese Nische sei privat und vermietet, erklärt ein Schild. Man bitte um Diskretion.
In einem weiteren Videobeitrag schaut Matthias Lilienthal, auf ein Kissen gestützt, wortlos aus dem Fenster einer Wohnung. Im Off-Ton philosophiert der künftige Intendant der Münchner Kammerspiele in seiner Nische über den Begriff des Glücks und fragt was wäre, wenn etwas Schmutz hereingetragen würde, in diese sonst so propere Stadt.
Zu jeder vollen Stunde ertönt eine live gesungene pathetische »Ode an die Stadt München«. Ein schauriges Liedgut mit Gitarrenbegleitung und Schunkelfaktor, das, in anderem Zusammenhang präsentiert, durchaus auch als schlechte Idee eine(s)r Marketingbeauftragten durchgehen könnte. Lyrisch wird es ebenfalls in regelmäßigem Abstand. Eine verschüchtert wirkende Frau mittleren Alters tritt dann aus der Tür und deklamiert in Gedichtform Sätze wie: »Hallo, entschuldigt, ich möchte die Stimmung nicht trüben, und doch, so scheint´s mir, läuft´s nicht ganz ideal.«
Lediglich die Eröffnungsrede – als Audiofile zum Nachhören in der Ausstellung nebst handschriftlich redigiertem Skript präsentiert – geriet eine Spur zu schrill und klamaukig, um abseits vorhersehbarer Lacher noch kritische Momente entwickeln zu können. Auch Horoskope – auf der »Nischen-Toilette« zu lesen – wirken eher wie Gags aus der »ZDF Heute Show« und damit verzichtbar in der ansonsten starken Exposition. An einer »Nischen-Bar« im Raum kann man sich die Sache mit dem »Gentrifidingsbums« (Christoph Twickel) mit politisch korrekten Getränken schön trinken.
Knapp 200 Besucher – davon gut 100 offiziell Geladene am Eröffnungsabend – mögen in den drei Tagen vorbei gekommen sein, um der aus Steuermitteln (bescheiden) subventionierten Schau der »Stadtpropheten« beizuwohnen. Was nehmen sie mit, welche Folgen hat die Auseinandersetzung mit dem Gezeigten? Anders gefragt: Was leistet eine ephemere künstlerische Beschäftigung mit einem Phänomen, das ebenso gut oder auch ausführlicher und mit höherer Öffentlichkeitswirksamkeit in einem Buch, einer Flugschrift, einer Artikelserie oder in öffentlichen politischen Diskussionen behandelt werden könnte? Welchen (zusätzlichen) analytischen, kommunikativen oder auch ästhetischen Wert bietet hier die Kunst? Eine schwierige Frage, an der viele gut gemeinte künstlerische Vorhaben scheitern.
Erklärungsversuche von Künstler(inne)n wie, die Kunst sei nun mal das Medium in dem man sich auskenne und mitzuteilen verstehe und außerdem wäre die Beschäftigung mit realer Politik ein schmutziges und unästhetisches Geschäft, von dem man sich lieber fern halte, sind häufig zu hören. Anstoß- und Impulsgeber möchte die Kunst gerne sein – die Kärrnerarbeit, der politische Kampf und die Problemlösung wird anderen überlassen. Doch eine künstlerische Interaktion oder Infiltration stiftet nicht schon per se Sinn, Gerechtigkeit und eine Perspektive. Kritiker(innen) erheben in solchen Fällen den Vorwurf der Trittbrettfahrerei durch eine linke Kultur-Boheme, deren pseudo-kritische Verarbeitung gesellschaftlich relevanter Themen garantiert folgenlos bleibe und womöglich genau deshalb auch staatlich alimentiert werde.
Der Frage, weshalb es eines künstlerischen Formats bedarf, um einem gesellschaftlich bereits breit diskutierten Missstand, wie dem der Gentrifizierung, nachzuspüren, kann sich auch Gesche Piening nicht entziehen. Ihrer performativen Exploration zu Gute kommt, dass sie sich nicht auf oberflächliche Weise an Erscheinungsformen abarbeitet, sondern versucht, den Dingen auf den Grund zu gehen. Dabei gerät Pienings kritische Auseinandersetzung erfreulich selten flach. Was sie herauspräpariert, wirkt als Gedankensystem und als soziale Intervention. Weil sie dabei bereit ist, auch ihre eigene Beteiligung als Kunstschaffende zu hinterfragen, bekommt ihre Arbeit Relevanz und entwickelt Potential, um ein Stück Gestaltungsmacht zurückzuerobern, das ein Anderssein und Andersdenken ermöglicht. Es gelingt der Schau einen gedanklichen Raum zu erschließen, der in einer gesellschaftlichen Phase, in der Utopien und Vorstellungen von einem anderen Leben als lächerlich und Fall für den Arzt diskreditiert werden, notwendiger denn je erscheint.
Ende November 2015 sind Gesche Piening und »Die Stadtpropheten« mit einer weiteren Performance und Ausstellung unter dem Titel »Wer wollt ihr werden?« in der Villa Stuck zu sehen.
Beteiligte: Christian Baumann, Ursula Berlinghof, Nicolas Hemmelmann, Katja Huber, Tinka Kleffner, Jeannette Kummer, Lion Leuker, Thomas Meinhardt, Raphalea Möst, Wolfgang Petters, Gesche Piening, Konrad Stimmel, Claudio Zeeb und Ulrich Zentner. Als Video-Gast: Matthias Lilienthal.
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