Papa, was ist ein V-Mann?

Theater-Performance Über das NSU-Stück »Off the record – die Mauer des Schweigens« von Christiane Mudra

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Papa, was ist ein V-Mann?

Ausschnitt/Grafik: Jara López Ballonga: https://goo.gl/sH3twI

»Papa, was ist ein V-Mann«, fragt eine Kinderstimme vom Band im Münchner Theater »HochX« zu Vorstellungsbeginn ins Dunkel hinein. »Das ist ein Verbrecher, der andere Verbrecher an den Geheimdienst verrät«, weiß Papa.

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Politische Untersuchungsausschüsse zur Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) tagen fortwährend und wieder auf Bundesebene und in verschiedenen Ländern. Der Prozess vor dem Oberlandesgericht München gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe ist noch nicht abgeschlossen. Immer neue Ermittlungsergebnisse machen das ungeheuere Ausmaß staatlichen Versagens auf allen Ebenen sichtbar. Das öffentliche Interesse daran nimmt währenddessen immer mehr ab.

Parallel zur politischen und juristischen Aufarbeitung setzte bereits vor rund drei Jahren ein regelrechtes Wettrennen ein, wer den brisanten Stoff um die mordenden Nazis als erster ins Theater, auf die Leinwand oder ins Fernsehen bringen würde. In ganz Deutschland arbeiten sich seither Theatermacher/innen hartnäckig am »Nationalsozialistischen Untergrund« und seinen Untaten ab. Mittlerweile gibt es mehr als ein Dutzend verschiedener Bühnenproduktionen mit unterschiedlicher Perspektive auf das Thema.

Die Autorin, Regisseurin und Schauspielerin Christiane Mudra beschäftigt sich gar in einer Trilogie mit dem NSU. Vergangenes Jahr in Form eines theatralen Stadtspaziergangs an Orte des Geschehens in München, der als »heimattreuer Western« unter dem Titel »Wir waren nie weg – Die Blaupause« firmierte und die Kontinuität faschistischen Terrors zum Gegenstand hatte. Im zweiten Teil »Off the record – Die Mauer des Schweigens«, der soeben seine Premiere feierte, widmen sich Mudra und ihr Team nun dem Wirken des Staates in Gestalt seiner Behörden und Geheimdienste.

Zeitintensive Recherchen und Hintergrundgespräche ließen die Künstlerin zu einer Kennerin der Materie werden. Seit Mitte 2013 besucht sie regelmäßig den Prozess am Oberlandesgericht und diverse Untersuchungsausschüsse. Diese jahrelange Beobachtung ist ihren Texten anzumerken – hier weiß eine wovon sie schreibt.

Im Theater »HochX« sitzen die Besucher im Bühnenraum auf zentral angeordneten und mit Schaumstoffmatten abgedeckten Podesten. Rundherum sind wie zur Abschottung vier Videoleinwände aufgebaut, die während der folgenden 80 Minuten unmöglich alle gleichzeitig im Blick zu behalten sind. Mindestens eine Perspektive bleibt immer im Verborgenen – ein gelungenes Setting.

In einer Art von Live-Hörspiel lauschen die Zuschauer in der Dunkelheit Stimmen aus dem Off. Mudra konstruiert aus dokumentierten Aussagen und belegten Erkenntnissen fiktive Dialoge, die so oder so ähnlich hätten stattgefunden haben können. Vieles davon basiert auf O-Tönen und inoffiziellen Einlassungen Beteiligter »off the record«. Dabei macht sie sich zu Nutze, dass das Theater künstlerisch mit Annahmen, Mutmaßungen und Behauptungen arbeiten darf.

Ihre namenlosen Protagonisten sind ein um Aufklärung bemühter Parlamentarier, der zunehmend an seiner Arbeit verzweifelt, ein bürgerlicher Journalist, der zwischen seinem Enthüllungseifer, manipulativen Informationen und der politischen Redaktionslinie des Arbeitgebers balanciert, ein Regierungsvertreter aus dem Innen- oder Justizressort, ein leitender Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und ein ranghoher Vertreter der Bundesanwaltschaft, die alle ihre jeweils ganz eigenen Interessen verfolgen. Die Begegnungen und Gespräche spiegeln ein systemisches Komplettversagen wider.

Unterbrochen wird das gesprochene Wort durch musikalisch untermalte Intermezzi, in denen Bild- und Textpassagen in schneller Abfolge über die Videoleinwände huschen, vor denen die Darsteller live und wortlos in historischen Kleidern aus der großen Zeit des Stummfilms agieren – suchend, putzend, zählend, schreddernd. Wer will, mag in der leicht viktorianisch anmutenden Kostümierung auch einen Link zu Bertolt Brechts Dreigroschenoper und ihren zwielichtigen Gestalten vermuten.

Wen angesichts der Ungeheuerlichkeiten Zweifel befallen, ob denn das im Dunkeln Gehörte wirklich sein könne, der findet im hervorragend gemachten Programmheft zur Aufführung allerhand erhellende Dokumente. Was wie eine Farce wirkt, ist schmerzliche Realität.

Am Ende wird das Stück doch noch in hohem Maß fiktional, wenn nämlich Mudra einen Nachrichtensprecher als Meldung verkünden lässt, was in einem funktionierenden Rechtsstaat die logische Konsequenz aus dem (Nicht-)Handeln der Behörden und der Geheimdienste sein müsste – aber in diesem Land niemals sein wird.

Christiane Mudra gelingt es mit ihrer Performance zusammenzufassen, was kaum fassbar ist. Wo Staatsräson und politisches Interesse an Verklärung einer tief reichenden Aufklärung von Mordtaten und den sie begünstigenden Begleitumständen entgegenstehen, bietet allenfalls noch das Theater Antworten auf offene Fragen. Eine bittere Erkenntnis.

»Off the record – Die Mauer des Schweigens« bis Sonntag, 13. November, Theater HochX, Entenbachstraße 37, München.

Konzept, Recherche, Text und Regie: Christiane Mudra.

Mit Olaf Becker, Sebastian Gerasch, Vanessa Jeker, Stefan Lehnen, Murali Perumal. Ausstatung: Julia Kopa, Sounddesign: Peer Quednau, Regieassistenz: Pascale Ruppel. Sprecher: Yvonne Boulgarides, Martin Wiedemann, Christiane Mudra.

Eingebettet: Videomitschnitt der begleitenden Podiumsdiskussion »NSU, Geheimschutz und Rechtsstaat« mit Dorothea Marx (Vorsitzende des Thüringer Untersuchungsausschusses), Yavuz Narin (Nebenklagevertreter im NSU-Prozess), Christiane Mudra.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Hiskea Mensen

Wohlan, lasset uns hinabsteigen, und dort verwirren ihre Sprache, daß sie nicht verstehen Einer die Sprache des Andern.

Hiskea Mensen

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