„Playtime“: Wenn das Feuilleton schweigt

Kunstausstellung Im Lenbachhaus in München ist aktuell die Schau PLAYTIME zu sehen. Durchweg positive Kritiken in den Feuilletons lassen einen wesentlichen Aspekt unerwähnt.

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PLAYTIME: Public-Private Partnership | Foto Ausstellungsplakat: Hiskea Mensen

Die qualitätvolle Ausstellung versammelt – überwiegend – sozialkritische künstlerische Positionen zur modernen Arbeitswelt und den in ihr geltenden Normen. Rezensentinnen und Rezensenten in verschiedenen deutschsprachigen Medien zeigen sich begeistert. Und in der Tat gibt es im unterirdischen Kunstbau eine Reihe interessanter Werke zu entdecken. Titelgebend ist der französisch-italienische Spielfilm Playtime des Regisseurs und Schauspielers Jacques Tati aus dem Jahr 1967. Tati irrt darin in der Gestalt des Monsieur Hulot durch eine absurde technische Kulisse eines für die damalige Zeit futuristisch wirkenden Paris.

Die Sicht- und Arbeitsweisen der insgesamt 44 internationalen Künstlerinnen und Künstler sind vielfältig. Sie kommentieren geschlechtspezifische Konventionen in der Arbeitswelt, beschäftigen sich mit gesellschaftlichen Veränderungen im Übergang von der Industrie- zur Wissensökonomie und untersuchen ihre eigene Rolle als Prototypen des flexibilisierten und zur Selbstausbeutung konditionierten Menschen. Die Entstehungszeit der Werke reicht von den 1960er Jahren bis heute.

Was die Ausstellungskritiken in den Feuilletons überwiegend unerwähnt lassen, davon erzählt der Untertitel der Ausstellung: „Eine Kooperation des Lenbachhauses mit Munich Re zum Thema Arbeit“. Die Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, kurz Münchener Rück oder international Munich Re, mit Sitz in der bayerischen Landeshauptstadt, ist eine der weltweit größten Rückversicherungsgesellschaften. Zum Unternehmen gehört auch die bekannte – im Erstversicherungsgeschäft tätige – Ergo Versicherungsgruppe.

Warum aber verschweigen die Feuilletons in ihren Besprechungen der Ausstellung das im Fachjargon Public-Private Partnership genannte Verhältnis wie einen peinlichen Infekt? Sind es allein hehre berufsethische Grundsätze des (Kultur-)Journalismus, keine PR machen zu wollen?

Weniger verschämt ist die private Partnerin des städtischen Lenbachhauses, die in der wohlklingenden Rubrik „Corporate-Responsibility-Nachrichten" auf ihrer Unternehmenswebsite mitteilt: „Munich Re und die Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München sind für drei Jahre in einer Kooperation engagiert (...). Die Kuratoren werden in dieser Zeit inhaltlich zusammenarbeiten und verschiedene Ausstellungs-, Lehr-, Publikations- und Veranstaltungsformate am Lenbachhaus entwickeln, die Munich Re auch finanziell unterstützt. Playtime ist die erste Ausstellung im Rahmen dieser Zusammenarbeit.“

In Ausstellungsbesprechungen im Feuilleton werden als Kuratorinnen Katrin Dillkofer und Elisabeth Giers genannt, unerwähnt bleibt Susanne Ehrenfried, ihres Zeichens „Kuratorin Munich Re Art Collection und Mitkuratorin der Ausstellung“. Dabei zeigt sich der Versicherungs-Multi in der Zusammenarbeit nicht kleinlich: „Als Bestandteil der Partnerschaft mit Munich Re wird eine wissenschaftliche Stelle geschaffen. Das Munich Re-Volontariat zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses wird für die Dauer von drei Jahren eingerichtet und ist ein Modellversuch, um die Lücke zwischen akademischer Ausbildung und beruflicher Anforderung zu schließen. Für diesen Zeitraum wird eine Kunsthistorikerin oder ein Kunsthistoriker gleichzeitig am Lenbachhaus und in der Munich Re Art Collection ausgebildet. So ergibt sich die einzigartige Möglichkeit, sowohl eine traditionelle Kunstinstitution öffentlicher Trägerschaft als auch ein Unternehmen und seine Kunstsammlung kennenzulernen.“

„Ökonomische Ziele und neoliberale Denkstrukturen weiten sich auf alle Lebensbereiche aus, machen auch vor ehemals geschützten Bereichen wie Bildungs- und Sozialeinrichtungen nicht halt. Gleichzeitig erfahren wir eine zunehmende Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse und eine schwindende Solidarität mit den Menschen, deren tägliche Arbeit nicht mehr zur Existenzsicherung reicht. Wer keine Arbeit hat, scheint keine Zukunft zu haben“, kündet der offizielle Ausstellungstext.

Was aber geschieht mit künstlerischen Arbeiten, die das „Potential von Kunst als Instrument des kritischen Widerstands“ für sich reklamieren, wenn sie im Kontext eines Public-Private Partnership museal präsentiert werden? Erfahren auch sie dadurch eine Veränderung? Eine Frage, die bislang kein(e) Ausstellungskritiker(in) stellen mochte. Dabei liegt sie in Playtime so nahe wie selten.

Bestehende Herrschaftsverhältnisse sollen in der Ausstellung anschaulich gemacht und in begleitenden Veranstaltungen diskutiert werden. Am eindrucksvollsten zeigen sich die Herrschaftsverhältnisse womöglich im Unerwähnten des Feuilletons. Wenn kapitalistische Global Player die Kapitalismuskritik gleich mitliefern und dieser Umstand der Kulturkritik keine Zeile wert ist, läuft der Betrieb wie geschmiert.

Die Künstler/innen sind: Darren Almond, Francis Alÿs, Mel Bochner, Monica Bonvicini, Pet Shop Boys, KP Brehmer, Charlie Chaplin, Slatan Dudow, Beate Engl, Harun Farocki, Peter Fischli & David Weiss, Andrea Fraser, Melanie Gilligan, Tehching Hsieh, Jörg Immendorff, Stephan Janitzky, AliKazma, Sharon Lockhart, Michaela Melián, Henrik Olesen, Anna Oppermann, Adrian Paci, Dan Perjovschi, Peter Piller, Julian Röder, Martha Rosler, Dieter Roth, Andreas Siekmann, Christoph Schlingensief, Allan Sekula, Richard Serra, Mladen Stilinović, Berwick Street Collective (Marc Karlin, Mary Kelly, James Scott and Humphry Trevelyan), Donna Summer,Jacques Tati, Mierle Laderman Ukeles, Timm Ulrichs und Ignacio Uriarte.

Ausstellungsdauer: 14. März bis 29. Juni 2014, dienstags 10 bis 21 Uhr, mittwochs bis sonntags 10 bis 18 Uhr im Kunstbau der Städtischen Galerie im Lenbachhaus (Luisenstraße 33). Montags geschlossen. Eintritt 10 Euro, ermäßigt 5 Euro.

http://www.lenbachhaus.de/

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Geschrieben von

Hiskea Mensen

Wohlan, lasset uns hinabsteigen, und dort verwirren ihre Sprache, daß sie nicht verstehen Einer die Sprache des Andern.

Hiskea Mensen

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