SCHWABisch – ein Abend für Werner

Performance Hommage an den 1994 mit 35 Jahren früh verstorbenen Grazer Schriftsteller und Dramatiker Werner Schwab.

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In der Münchener Kunstgalerie Christoph Dürr zeigte das junge Theaterkollektiv REGIEALSFAKTOR mit performativen Darbietungen und Lesungen eine Hommage an den 1994 mit 35 Jahren früh verstorbenen Grazer Schriftsteller und Dramatiker Werner Schwab.

Die Dramaturgin Ayna Steigerwald hat mit Regisseur Dominik Frank den Abend konzipiert. Sie entwickelten szenische Miniaturen, die in performativen Darbietungen und Lesungen an das einstige Enfant terrible des deutschsprachigen Theaters erinnern.

Ingesamt zehn Installationen waren in den Galerieräumen und zwischen alten Buchdruckpressen der angrenzenden Druckerei aufgebaut. Zu hören und zu sehen: komische und böse, machmal auch herzzereißende Sequenzen aus dem Gesamtwerk des Autors. Früh entwickelte der rastlos arbeitende Schwab eine eigene artifizielle Ausdrucksweise voller Derbheit und Skurrilität, die in seinen Dramen zur Blüte kam. Die Theaterkritik feierte seine Texte in den 1990er Jahren euphorisch. Zum Zeitpunkt seines Todes galt der lange erfolglose Autor als einer der meistgespielten Gegenwartsdramatiker. Ein Pop-Phänomen – heute werden Schwabs Stücke nurmehr selten aufgeführt.

Seinen Kunstdialektsprech – das Feuilleton erfand einst den Begriff »das Schwabische« dafür – wollten Steigerwald und Frank »durch Performances ausstellen und von allen Seiten betrachten«, um herauszufinden, ob er sich »im Modus der Ausstellung regenerieren« würde lassen. Das gelingt nicht immer, aber einige der Stationen haben Kraft.

Die Schauspielerin Isabell Will erwartet jeweils einen einzelnen Gast in der Toilette der Galerie. In der bedrückenden Enge – die Tür wird geschlossen – taucht Mariedl auf, eine Figur aus dem Stück »Die Präsidentinnen«, dem meistgespielten Bühnenwerk Schwabs. Mariedl, die fleißige Seele, die alle Aborte mit zupackendem Griff auch ohne Gummihandschuhe reinigt. Will tritt bis auf wenige Zentimeter an ihre Zuhörer heran und das Monströse, Absurde und Abgründige der dumpfgeilen Kleinbürgerhölle, die Schwabs Text beschreibt, wird körperlich spürbar. Ein starker, verstörender Auftritt.

Das ebenfalls zu Werner Schwabs »Fäkaliendramen« gehörende Stück »Mein Hundemund« ist Gegenstand einer Performance von Lisa Eder, die begleitet von Linda Steiner an der Violine im großen Galerieraum den Hundsmaulsepp Gestalt annehmen lässt. Einen, der sich selbst Drecksepp nennt, die Welt genau wie sich und sein Leben hasst und deshalb beschließt auf den Hund zu kommen. Sich selbst hart züchtigend, monologisiert sie über den stinkenden Bauch und das »Allesmenschliche«. Eder zeigt körperlichen Einsatz – wälzt sich halbnackt in rohen Eiern, rotem Fruchtsaft und Erde. Die Zuseher werden aufgefordert, sie mit Schokoladenpudding zu bewerfen, den sie sich demonstrativ auf Unterleib und Hintern verreibt. Eine in der Mitte des Raumes auf dem Boden liegende weiße Leinwand sammelt die Spuren der körperlichen Verwüstung und bleibt anschließend als Dokument zurück. Das zahlreich an den Wänden entlang sitzende Publikum ist begeistert und applaudiert kräftig. Dabei wird gerade an diesem Versuch deutlich, dass eine allzu direkte Bebilderung der wuchtigen, blutigen, schmatzenden und gierigen Schwabschen Texttiraden eher schlecht funktioniert.

Die junge Amelie Haller beweist sich in ihrem Spiel als äußerst trinkfest. Animiert sie doch immer wieder mit aggressiver Geste das Publikum mit einem Obstler »auf Werner!« anzustoßen. Da sie aus der selben Flasche für sich und die Gäste ausschenkt, ist ein Bühnentrick nicht möglich. Schwab war Zeit seines künstlerischen Lebens schwerer Trinker und starb an einer Alkoholvergiftung. Haller rezitiert Textfragmente, aus denen Schwabs gern provokativ gezeigter Zynismus und die Verachtung für sein bildungsbürgerliches Publikum spricht, das ihn dafür nur um so mehr liebte – gemeint waren schließlich immer die anderen.

Anna März und Bella Thiel kauern mit Akustikgitarren auf dem umgeklappten Rücksitz eines vor der Galerie geparkten Kleinwagens. Im durch dunklen Stoff abgetrennten Fond nehmen zwei Zuhörer Platz. Eine intime Atmosphäre. März und Thiel lesen Auszüge aus »Orgasmus: Kannibalismus, sieben Liebesbriefe an die eigene Beschaffenheit« – ein Hörspiel nennen sie ihre Performance. Einzelne Textpassagen sind musikalisch untermalt und werden von den beiden im Auto als Popsongs live gespielt. Das geht trotz gegenteiliger Befürchtung erstaunlich gut. Die hellen glockenklaren jungen Frauenstimmen mit einfacher Gitarrenbegleitung kontrastieren auf irritierende Weise mit Schwabs drastischer Sprache. Ein gelungenes Experiment.

Schauspieler Thomas Ditz arbeitet sich im kleineren der Galerieräume an »Faust: Mein Brustkorb, Mein Helm« ab, für dessen Uraufführung einst Einstürzende Neubauten die Musik schrieben und Blixa Bargeld den Mephisto gab. Ein schwieriges Unterfangen, das trotz Ditz Bemühungen nicht recht vom Fleck kommen will.

Mit Schwabs Doppel-Essay »Der Dreck und das Gute. Das Gute und der Dreck« beschäftigt sich ein 38-minütiges sehenswertes Video von und mit Ayna Steigerwald, das zu Unrecht etwas unbeachtet am Rande des Getränketisches auf einem Monitor vor sich hin flimmert.

Das Theaterkollektiv vermag in seiner Stationen-Performance nicht jede Darbietung auf gleichem Niveau zu halten, die angekündigte »poetische Plastizität« ist dennoch spürbar. Zwar wurde an diesem Abend, mehr als zwanzig Jahre nach dem Tod des Autors, das »Schwabische« nicht neu erfunden und auch nicht regeniert, aber einen Versuch wie diesen war es allemal wert.

http://www.galerie-ch-duerr.de

SCHWABisch – ein Abend für Werner
28. April 2015
Performativ-inszenierte Installation von REGIEALSFAKTOR und Gästen

Von und mit: Lisa Eder, Dominik Frank, Amelie Haller, Vera Hempel, JULI, Anna März, Marco Mollinarius, Thomas Schneider, Ria Sommer, Ayna Steigerwald, Bella Thiel, Daphne Weber, Isabell Will u.a.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Hiskea Mensen

Wohlan, lasset uns hinabsteigen, und dort verwirren ihre Sprache, daß sie nicht verstehen Einer die Sprache des Andern.

Hiskea Mensen

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