Von der Affirmation zur Hyperaffirmation

Bühne „Kritik ist sinnlos geworden, deshalb fabrizieren wir sie nicht mehr“, postuliert die Theatermacherin Gesche Piening in ihrem neuen Stück „Vom Zauber der Nachfrage"

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Von der Affirmation zur Hyperaffirmation

Bild: Screenshot Trailer

Seit einem halben Jahrzehnt beschäftigt die Wahl-Münchenerin Gesche Piening sich intensiv mit der Arbeitswelt postindustrieller Gesellschaften und dem Verhältnis von Kunst und Kapital. Jetzt will die freie Regisseurin und Schauspielerin mittels der von ihr theatral gegründeten Produktionsfirma „Marktanteil“ und einem Zertifikat „Kunst von glücklichen Künstlern“ endlich ihre eigene Profitrate steigern. „Seien Sie dabei, feiern Sie mit uns und werden Sie Zeuge unseres spektakulären Aufbruchs zum profitablen Kulturunternehmen: Denn jedem Wachstum wohnt ein Zauber inne! Wir versprechen Ihnen, Sie für die neue Konsum- und Arbeitswoche zu stärken und stellen uns als kulturelle Sinn-Prothese im Wettbewerb zur Verfügung“, drohte der Ankündigungstext für die Uraufführung, Mitte Dezember, im i-camp / neues theater münchen (Konzept, Text und Regie: Gesche Piening).

Im Foyer des Theaters wird der Zuschauer mit kurzen Videogrußbotschaften prominenter TV- und Bühnengrößen konfrontiert, die dem – ihnen offenbar mal mehr mal weniger vertrauten – künstlerischen Vorhaben mit warmen Worten viel Erfolg wünschen. Ein Reklametrick, denn die angekündigten Namen spielen im eigentlichen Stück nicht mit. Celebrity Marketing nennt das einschlägige Gewerbe sowas. Seichtes Geblubber quillt aus den Mündern von Willy Astor, Joseph Hannesschläger, Schorsch Kamerun, Luise Kinseher und Christoph Süß. Unwillkürlich fragt man sich, wieviel konzeptionelle Absicht hinter dem irrlichternden Geschwätz stecken mag und was Regisseurin Gesche Piening den Promiwerbern wohl erzählt hat, um sie zur Teilnahme zu bewegen? Viel Zeit darüber nachzudenken bleibt nicht, denn die Türen gehen auf und das zahlreich erschienene linksliberale Publikum strömt in den Saal. Auf dem Weg zu den Plätzen wird jeder einzelne Besucher von den Bühnendarstellern (Gesche Piening, Kenneth Huber, Tinka Kleffner und Musiker Wolfgang Petters) persönlich begrüßt.

Kaum ist das Deckenlicht erloschen, heißt es einen spontanen Fluchtreflex zu unterdrücken. Visuell begleitet von flackerndem Sternenschein (Licht Wolfgang Wiefarn) erzählt nun eine unsichtbare Stimme (Stephan Benson) in getragenem Tonfall ein Märchen, das metaphernhaft die Geschichte der Entstehung der Marktökonomie vermittelt – nicht zu überhören: Autorin Gesche Piening hat Adam Smith gelesen. Das Ganze ist von so biederer Machart, dass man erneut ins Grübeln gerät: Ist die Künstlerin in ihrer Kritik an den Verhältnissen mit fürchterlicher Naivität unterwegs oder führt sie hier einen klassischen Aufsitzertrick vor?

Bis das Unbehagen sich legt, vergeht einige Zeit. Auf der Bühne folgt indessen eine regelrechte Parforcejagd. Es wird unter Aufbietung aller Kräfte der Darsteller gesprungen, getanzt, gesungen und in Varianten immer wieder Ähnliches durchdekliniert. „Wir können dem ökonomischen System nicht entkommen", heißt das Mantra des Abends. Es sei unnütz, sich – wogegen auch immer – zu erheben, weil doch alles unverändert bleibe. Deshalb wolle man ab sofort mittun. Die versprochene „Vollverausgabung für den Markt" wird eingelöst. Das wirkt auf Dauer etwas monoton und ermüdend. Zwar ist vieles durchaus lustig und nett anzuschauen, bleibt dabei jedoch stets seltsam formalisiert und berechenbar. Das scheint Kalkül zu sein, denn auf der Bühne taucht plötzlich ein verstörender Slogan auf: „seriell originell". Jetzt beginnt die Sache zu kippen. Aus einer stellenweise peinlich berührenden Revue wird eine bittere Farce mit mehreren Reflexionsebenen.

Hat man Pienings böse Jonglage mal durchschaut, fängt ihre Inszenierung an interessant zu werden. Unter der satirischen Oberfläche taucht ein finsterer Subtext auf. Wo abweichendes Agieren sich lohnt, Kritik als Feedback unschädlich gemacht wird und Gegenentwürfe nicht nur toleriert, sondern eingefordert werden, droht Widerstand ein prekäres Schicksal in einer politischen Kultur, die es perfektioniert hat, jegliche Form von Protest nahezu folgenlos einzubetten.

Das „Zwischen-den-Zeilen-Hören“ dürfte bei der zappeligen Inszenierung mit Schnellsprechkaskaden nicht jedem Besucher leicht fallen. Was sich vordergründig als harmlose Persiflage tarnt, die auf simple Weise gängiges Vermarktungsvokabular verulkt, entpuppt sich bei intensiver Betrachtung giftiger als jede Satire es sein könnte. An der Realität künstlerischen Arbeitens lässt sich erahnen, wie das sich verändernde ökonomische Milieu der Gesellschaft auch die in ihr entstehende Kunst verwandeln wird – ihr Produzieren, die Art und Weise ihrer Aufnahme in der Öffentlichkeit, die Kriterien für ihre Bewertung. Piening thematisiert das in ihrem Stück auf gruselige Weise. Dabei verweist sie nicht auf andere, sondern springt selbst in die Bütt und das so beinhart, dass es beim Zuschauen weh tut.

Etwas fad wird die Performance, wenn Wolfgang Petters (Mitbegründer des Indielabels „Hausmusik“) auf der Bühne zur Gitarre greift. Seine Indie-Pop-Rock-Nummern, teilweise von Gesche Piening live gesungen, klingen arg altbacken. Ob allerdings nicht auch das inszenatorisches Kalkül ist, weiß man bei diesem doppelbödigen Stück nie so genau. Überragend hingegen: Sabrina Frank in einem filmischen Kurzauftritt als Bewerberin um ein fiktives Förderprogramm.

Wenn wie in „Vom Zauber der Nachfrage" Affirmation zur Hyperaffirmation wird und die „Falschen" mit vollem Einsatz Teilnahme formulieren, kann das im Einzelfall bedrohlicher wirken als manches Revolutionspathos eines Chors der Geknechteten auf der Bühne. Der Abwehrschlag fällt womöglich um so heftiger aus. An Piening scheiden sich die Geister. Nicht das Schlechteste für eine Künstlerin, die offenbar weiß, was sie nicht will.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Hiskea Mensen

Wohlan, lasset uns hinabsteigen, und dort verwirren ihre Sprache, daß sie nicht verstehen Einer die Sprache des Andern.

Hiskea Mensen

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