Nehmen wir einmal an, Sie sind ein ganz normaler Mensch. Also, was man so als normal bezeichnet. Sie verfügen auf jeden Fall weder über ein ausgesprochen hohes Geld- und Kapitalvermögen, noch verfügen Sie über zahlreiche Grundstücke und Immobilien, sondern Sie sind, wie wohl der größte Teil der bundesdeutschen Bevölkerung, darauf angewiesen auf dem Arbeitsmarkt ein Einkommen zu erzielen, mit dem Sie dann Ihren laufenden Lebensunterhalt (Miete, Strom, Heizung, Telefon, Kleidung, Nahrungsmittel) bestreiten und bestreiten müssen. Unterstellen wir außerdem, Ihre laufenden Lebenshaltungskosten beliefen sich auf 1.500,- EUR und diese ließen sich auch durch eventuelle Sparmaßnahmen nicht bzw. nur geringfügig reduzieren. Es handelt sich dabei also sozusagen um fixe Kosten. Aktuell beziehen Sie ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 2.000,- €, mit dem Sie Ihre Fixkosten problemlos bezahlen können und sogar noch ein bisschen Geld für den einen oder anderen Luxus übrig haben. Nun tritt aber unvermittelt eine Änderung ein. Ihr bisheriger Arbeitgeber ist in die Insolvenz gegangen. Sie haben zwar relativ schnell einen neuen Job gefunden (alternativ können Sie auch annehmen, dass Sie nun erst einmal vom Arbeitslosengeld leben müssten), aber Ihr Einkommen hat sich auf jeden Fall deutlich reduziert. Und zwar von z.B. 2.000,- auf 1.300,- € Netto. Was werden Sie jetzt tun? Wie gesagt, Sie haben einen im Grunde festen Fixkostenblock in Höhe von 1.500,- € zu finanzieren.
Nun, wenn Sie Unternehmer wären, der sich – ganz im klassisch-neoklassischen Sinne - auf einem „normalen“ Markt bewegen würde, dann würden Sie angesichts des Preisverfalls bei Ihrem Angebot (= sinkender Lohn für den Faktor Arbeit) Ihr Arbeitsangebot reduzieren. Es knapper machen, um so dem Preisverfall entgegenzuwirken. Genau das machen Unternehmer, die sich auf einem Markt im Sinne der orthodoxen Lehre bewegen und einem Preisverfall für ihr Angebot ausgesetzt sehen. Sie reduzieren das Angebot, umso, durch eine erhöhte Knappheit, den Preis wieder zu erhöhen. Genau dieser Weg ist Ihnen aber als Arbeitnehmer/Angestellter verwehrt. Sie können Ihr Arbeitsangebot nicht einfach so reduzieren, um den Preis für den Faktor Arbeit wieder zu erhöhen, denn Sie sind dringend auf die Erzielung eines bestimmten Einkommens zur Deckung Ihrer Lebenshaltungskosten angewiesen. Kurz: Sie benötigen dringend 1.500,- €. Koste, was es wolle.[1] Was werden Sie also tun?
Nun, es ist davon auszugehen, dass Sie, um mehr Geld zu verdienen, Ihr Arbeitsangebot ausweiten werden. Zum Beispiel, indem Sie in ihrer neuen Firma möglichst oft Überstunden machen. Oder Sie nehmen einen Zweitjob (z.B. Zeitung austragen) an. Und wenn das noch nicht reicht, dann werden Sie sich ggf. noch um einen dritten Job bemühen. Genau diese Entwicklung lässt sich in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern beobachten. Die Anzahl der Menschen, die einen Zweit- oder gar Drittjob haben, nimmt ständig weiter zu. Warum? Ganz einfach, weil der Arbeitsmarkt nun mal kein Markt wie jeder andere ist, sondern der Großteil der Menschen, als Teil einer stark spezialisierten und hoch arbeitsteiligen Wirtschaft, in der nur noch die wenigsten autarke Selbstversorger sind, dringend auf die Erzielung eines Arbeitseinkommens angewiesen ist, um sein Überleben zu sichern. Von daher haben diese Menschen im Grunde gar keine andere Wahl. Sie müssen quasi jeden Job annehmen, um irgendwie zu mehr Geld zu kommen. Und wenn der erste Job nicht für ein entsprechendes Auskommen sorgt, dann muss eben ein Zweit- oder gar Drittjob dies bewerkstelligen.
Fazit: Die Realität ist dadurch geprägt, dass der Arbeitsmarkt eben gerade nicht ein Markt wie jeder andere ist.[1] Ganz im Gegenteil. Das heißt, nur im Falle der Vollbeschäftigung und einer großen Knappheit an Arbeitskräften läge die Verhandlungsmacht tatsächlich auf Seiten der Arbeitnehmer. Dieser Tatbestand ist aber in der Realität auf Grund zunehmender Produktivität, Mechanisierung und globaler Vernetzung immer weniger gegeben, weshalb die tatsächliche Verhandlungsmacht in Wahrheit praktisch immer beim Arbeitgeber liegt. Und selbstverständlich kann und wird diese Macht auch missbraucht, um die Profite des für das Eigen- und Fremdkapital (Unternehmergewinne, Kapitaleigner) nicht nur zu sichern, sondern zu erhöhen. Genau darum geht es ja zum Beispiel bei dem heute gerne propagierten Shareholder-Value: Einer Erhöhung der Profite für das Unternehmen und seiner Kapitaleigner. Und zwar zu Lasten (eines Großteils) der Arbeitnehmer, was wiederum verdeutlichen sollte, dass:
- (Flächen)Tarifverträge wichtig und richtig sind
- Arbeitnehmerschutzgesetze wichtig und richtig sind
- Kündigungsschutzgesetze wichtig und richtig sind
- Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn wichtig und richtig ist
- Ein starker Sozialstaat wichtig und richtig ist
- Ein (bedingungsloses) Grundeinkommen (Bürgerdividende) wichtig und richtig ist
- Mitbestimmung wichtig und richtig ist
- Starke Gewerkschaften und Betriebsräte wichtig und richtig sind
Wer diese Dinge leugnet, wer sie ablehnt, der sollte dann wenigstens auch mal so ehrlich sein zu sagen: „Mir doch scheiß egal, wie es anderen geht. Hauptsache mir geht es gut!“ Man kann es nicht oft genug wiederholen: Der Arbeitsmarkt ist kein Markt wie jeder andere! Der Austausch der Ware „Arbeitskraft“ ist eben gerade nicht mit jeder anderen Ware gleichzusetzen. Der deutsche Ökonom Erich Preiser hat dies bereits 1933 hinlänglich dargelegt: Da die Arbeitnehmer i.d.R. dringend auf ein Arbeitseinkommen angewiesen sind, können sie nicht warten; können sie ihr Angebot nicht einfach reduzieren bzw. zurückhalten. Sie müssen es auf dem Arbeitsmarkt anbieten. Anderenfalls verhungern sie oder sind von Almosen bzw. einer Alimentierung durch einen (hoffentlich noch vorhandenen) Sozialstaat angewiesen, um zumindest zu überleben. Ebenso wenig wie man bei einem steigendem Preis (höherer Lohn), beliebig sein Arbeitsangebot erhöhen kann, ebenso wenig kann man es bei einem fallenden Preis (sinkender Lohn) einfach reduzieren, es verknappen, um wieder einen höheren Preis zu erzielen.
Noch etwas gilt es hier zu bedenken: Im Falle eines zustande gekommenen Arbeitsvertrages bestimmt das Unternehmen (Geschäftsführung/Management) den Arbeitsplatz, die konkreten Arbeitsbedingungen, die Aufbau- und Ablauforganisation, die Investitionsentscheidungen sowie die Gewinnverwendung. Die Arbeitnehmer haben hier im Grunde „nichts zu melden“, wobei man im Falle Deutschlands diese Aussage durchaus auf Grund der (noch) vorhandenen Mitbestimmung relativieren muss. Dennoch, auch hier wird das Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vornehmlich von der Arbeitgeberseite dominiert. Und das ist, ein Stück weit, schon ein Paradoxon, denn bekanntlich gilt ja sonst das ökonomische Dogma, wonach für die Herstellung eines bestimmten Outputs, immer eine Kombination der beiden Inputfaktoren „Arbeit“ und „Kapital“ erforderlich sei. Wenn dem so ist, wenn also ohne den Faktor Arbeit sozusagen „nichts geht“, dann stellt sich schon die Frage (zumindest muss diese erlaubt sein), warum eigentlich nur das Kapital über die Investitionen, das Produktionsprogramm, die Aufbau- und Ablauforganisation, Stellenauf- und Stellenabbau sowie insbesondere den Gewinn bzw. die Gewinnverwendung und Gewinnverteilung entscheidet?
Klingt das für Sie auf den ersten Blick ein wenig seltsam? Ja? Dann stellen sich doch einmal einen großen Automobilkonzern wie z.B. die Volkswagen AG vor. Und nun stellen Sie sich einmal vor, Sie könnten den Vorstand für 3 Monate in Zwangsurlaub schicken? Was würde das für die Volkswagen AG bedeuten? Würde die Produktion deswegen zum Erliegen kommen? Nein. Und nun stellen Sie sich einmal umgekehrt vor, Sie würden die Belegschaft für 3 Monate in Urlaub schicken. Was würde das bedeuten? Kein einziges Auto würde mehr die Fabrikhalle verlassen. Plädiere ich damit für sozialistische Betriebe? Nein, das tue ich nicht. Aber ich plädiere dafür, dass die Beschäftigten einen fairen Anteil an der erarbeiteten Wertschöpfung erhalten.
Eine weitere Frage kommt hier ins Spiel: Was bestimmt eigentlich die Höhe der Nachfrage nach dem Produktionsfaktor „Arbeit“? Ökonomisch betrachtet sind hierfür die Produktion bzw. die Produktivität, also die Frage, welcher Output kann mit welchem Input hergestellt werden, maßgeblich. Da letztlich aber immer nur das produziert wird, was auch erfolgreich verkauft werden kann, ist die Höhe der Nachfrage die bestimmende Größe für die Produktion. Was hierbei nun interessant und folgenreich ist, ist der Doppel-Charakter der Löhne, denn einerseits bestimmen die Löhne maßgeblich die Kosten der Unternehmen, andererseits sind diese Löhne (Arbeitseinkommen der privaten Haushalte) die maßgebliche Größe für die Höhe der Nachfrage. Wenn nun ein einzelnes Unternehmen erfolgreich seine Löhne drückt bzw. die jährlichen Lohnanpassungen hier unterhalb der Produktivität liegen, dann erzielt es einen (Wettbewerbs)Vorteil bzw. kann seine Gewinne auf Kosten der Beschäftigten erhöhen. Wenn das aber alle so machen, wenn alle Unternehmen - in Summe - die Löhne nur noch unterhalb der Produktivität anheben oder gar kollektiv um 10% absenken, dann sinken die Einkommen bzw. steigen nicht in dem Maße, wie sie es eigentlich müssten, um die auf Grund der höheren Produktivität gestiegene Produktmenge kaufen zu können. Das heißt, volkswirtschaftlich betrachtet sinkt dadurch die Nachfrage. Es kommt zu steigender Unternachfrage und dementsprechend auch zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, was die gesamtwirtschaftliche Nachfrage dann noch weiter absinken lässt. Diese Arbeitslosigkeit ist dann aber eben gerade nicht das Ergebnis zu hoher, sondern zu niedriger Löhne! In dieser Situation kann – lohnbedingt – die Binnennachfrage logischerweise nicht mehr die gesamte Produktion kaufen. Ergo, ist man hier zunehmend auf eine entsprechende Auslandsnachfrage (Exporte) angewiesen, die man i.d.R. aber nur durch eine entsprechende Wettbewerbsfähigkeit, also tendenziell sinkender Löhne bzw. Lohnstückkosten zusätzlich befeuern kann. Ein Teufelskreis. Man eilt unter Umständen (siehe Deutschland) von Exporterfolg zu Exporterfolg, während die Binnenkonjunktur immer mehr vor sich hindümpelt.
Arbeitslosigkeit, und damit mangelnde Binnennachfrage, entsteht eben nicht nur wegen zu hoher Löhne, sondern sie kann auch daraus resultieren, dass ihr über Jahre hinweg, die Löhne unterhalb der Produktivität blieben. Dann kommt es im Ergebnis entweder zu mehr Arbeitslosigkeit oder, weil ja alle auf Grund der sinkenden Nachfrage sparen müssen und man seine Wettbewerbsfähigkeit nicht gefährden darf, zu einem Lohnverfall. Atypische und prekäre Beschäftigung nehmen immer mehr zu. Der Niedriglohnsektor sowie Zeit- und Leiharbeit steigen ebenfalls immer weiter an. Immer mehr Beschäftigte arbeiten unfreiwillig nur noch in Teilzeit und/oder befristeten Arbeitsverhältnissen. Da aber viele Beschäftigte nun einmal dringend auf ein bestimmtes Einkommen angewiesen sind, steigt in Folge auch die Zahl der Beschäftigten mit einem Zweit- oder gar Drittjob.
Noch etwas gilt es hier zu bedenken: Nämlich die Tatsache, dass zur Herstellung eines bestimmten Outputs, immer weniger menschliche Arbeitskraft erforderlich ist. Die gesamtwirtschaftliche Rechnung ist hier letztlich wieder ganz einfach: Wächst die Wirtschaft jährlich real um 1,5 Prozent, die Produktivität aber um 2 Prozent, dann sinkt das Arbeitsvolumen um 0,5 Prozentpunkte pro Jahr. Will man in dieser Situation Arbeitslosigkeit und/oder sinkende Lohneinkommen vermeiden bzw. verhindern, dann gibt es hierzu im Grunde nur eine Möglichkeit (Zumindest, wenn man die Dinge nicht grundsätzlich anders machen will): Arbeitszeitverkürzungen. Also die Reduktion der Wochenarbeitszeit von 38,5 Std. auf z.B. 30 Stunden die Woche. Und zwar bei vollem Lohnausgleich. Dies hätte man eigentlich schon längst machen müssen bzw. wenn man es denn nun tun würde, dann müsste dies selbstverständlich Schritt für Schritt erfolgen und nicht auf einmal. Darüber hinaus wäre meines Erachtens folgendes zu tun:
- Einführung einer verbindlichen Tariferhöhungsregel im Sinne der „Goldenen Lohnregel“
- Einführung von betrieblichen Minimal-und Maximallöhne gemäß dem Robert-Bosch-Prinzip (Einkommen der Geschäftsführung darf z.B. maximal das 20-fache des einfachen Arbeiters betragen) und Aufrechterhalten dieses Prinzips auch bei Lohnänderungen
[1] Im Übrigen stellt sich ohnehin in Gänze die Frage, ob die sog. Märkte überhaupt existieren, auf denen das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage dann den Preis bestimmt. Tatsächlich dürfte dies in Wahrheit – im Sinne der orthodoxen Ökonomietheorie - nur bei wenigen Angeboten tatsächlich der Fall sein.
[2] Dasselbe gilt im Übrigen in der Praxis auch für eine Vielzahl von Unternehmern, insbesondere aus dem Bereich der kleineren Selbstständigen und Freiberuflern. Auch diese schleppen logischerweise einen gewissen Fixkostenblock mit sich herum, den sie dringend decken bzw. erwirtschaften müssen. Im Falle mangelnder Aufträge bzw. sinkender Preise reduzieren diese Unternehmer ebenfalls nicht ihr Angebot, sondern weiten es aus, in der Hoffnung, das ein erweitertes Angebot, mehr Kunden „in den Laden“ bringt, so dass sie das Einkommen erwirtschaften können, welches sie zur Deckung ihrer Kosten benötigen.
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Ähnliche "paradoxe" Effekte gibt es auf anderen wichtigen "Märkten": Namentlich bei Währungen, Kapital und Luxusgütern.
Ich würde sogar noch weiter gehen und den Preismechanismus bzw. das Gesetz von Angebot und Nachfrage aus deren Wechselspiel sich dann ein (markträumender) Preis ergebe, grundsätzlich in Frage stellen.
Warum?
Hierzu mal ein paar Gedanken in verkürzter Form:
Eine viel zu selten gestellte Frage: Wer oder was ist eigentlich der sog. Markt? Ihn einfach als Ort zu bezeichnen, an dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen und sich durch das Wechselspiel der beiden ein markträumender Gleichgewichtspreis ergäbe, ist unzureichend. Und nicht nur das. In der Realität scheitert dieses scheinbar so plausible Konzept an seinen idealtypischen Prämissen, die mit der Realität leider nichts gemein haben. Tatsächlich gibt es den Markt bzw. die Märkte überhaupt nicht. Es gibt immer nur handelnde Individuen, deren Handeln und Verhalten man auf Grund immer vorhandener Macht- und Informationsasymmetrien, keineswegs einfach zu einer Angebots- bzw. einer Nachfragekurve aggregieren kann. Erst Recht nicht, wenn das angeblich marktpreisbildende Wechselspiel zwischen Angebot und Nachfrage als mathematisches Optimierungsverfahren daherkommt, welches zwingend bereits vorhandene Einkommens- bzw. Budgetrestriktionen voraussetzt, sich aber überhaupt nicht dafür interessiert, woher diese herrühren.
Das ist aber eminent wichtig, denn ohne bereits vorhandene Budgetrestriktionen kann das Angebot nicht seinen Gewinn und die privaten Haushalt nicht ihren Nutzen maximieren. Es fehlt schlicht die notwendige Bedingung, um überhaupt etwas optimieren zu können. Unternehmen müssen ihre Kosten decken und zusätzlich einen Gewinn erwirtschaften. Und sie agieren dabei unter Berücksichtigung ihrer limitiert vorhandenen finanziellen Mittel (Budgetrestriktion). Private Haushalte versuchen ihren Nutzen zu maximieren. Unter Beachtung ihres laufenden Einkommens (Budgetrestriktion). Nur auf Grund begrenzter finanzieller Mittel stehen sie überhaupt vor der Frage: Sekt oder Selters? Spielt das Einkommen keine Rolle, braucht man sich darüber keine Gedanken machen. Man kauft einfach beides, um seinen Nutzen zu maximieren.
Es stellt sich also die eminent wichtige Frage, woher rühren die Einkommens- bzw. Budgetrestriktionen? Bei der Beantwortung dieser Frage landen wir letztlich beim Geldsystem und der Frage, was Geld ist bzw. wie es überhaupt entsteht? Eine existenzielle Frage, deren Beachtung und Betrachtung man sich aber in der vorherrschenden Mainstream-Ökonomie hartnäckig verweigert. Stattdessen hat man Geld dort einfach zum neutralen Tauschmittel erklärt, welches einfach irgendwie da ist: Geld ist M (Money) und gegeben. Das muss man also nicht weiter beachten, sondern kann sich nun – unter Ausblendung des Geldsystems – der ökonomischen Analyse widmen. Von daher verwundert es auch nicht, dass die Mainstream-Ökonomie und ihre Anhänger, die Aussage des polnischen Ökonomen Michal Kalecki, wonach "die Unternehmer verdienen, was sie ausgeben. Und die Arbeiter ausgeben, was sie verdienen“, für eine banale Trivialität halten. Tatsächlich ist es aber ein zentrales Moment des gegenwärtigen Geld-, Finanz- und Wirtschaftssystems, denn Geld ist bzw. Geld entsteht durch Kredit.
Und Kredite sind für eine arbeitsteilige Wirtschaft, die zwingend der Vorfinanzierung bedarf, existenziell. Das heißt, das Maß der Kreditversorgung bzw. die fortwährende Verschuldungsbereitschaft und Verschuldungsfähigkeit der Marktteilnehmer, insbesondere der Unternehmen, bestimmt überhaupt erst die vorhandenen Einkommen respektive die sog. Geldmenge. Je höher die Schulden bzw. der Schuldenstand, desto größer ist die Geld- bzw. Kreditmenge; desto mehr Geld gleich Kredit steht den Unternehmen bzw. der Volkswirtschaft zur Verfügung. Und diese Kredite sind für eine hoch spezialisierte und stark arbeitsteilige Wirtschaft existenziell, um Produktion und Beschäftigung, aber auch gewünschte bzw. notwendige Investitionen (vor)finanzieren zu können. Mehr Kredite (Schulden) bedeutet mehr Geld. Und nur durch dieses „mehr Geld“ kann mehr investiert und mehr konsumiert werden und somit letztlich auch die Einkommen und die Ersparnisse (Geldvermögen) insgesamt ansteigen. Und dies führt dann eben auch zu Michal Kalecki und seiner scheinbar profanen Aussage, wonach "Die Unternehmer verdienen, was sie ausgeben. Und die Arbeiter ausgeben, was sie verdienen.“
Hieraus folgt letztlich zwingend logisch, dass nicht irgendein vermeintliches Wechselspiel von Angebot und Nachfrage die Preise determiniert, sondern die Budget- bzw. Finanzrestriktionen (Kosten!) der Unternehmen. Das, was die Unternehmen letztlich bereit sind vorzufinanzieren, bestimmt die Einkommen der privaten Haushalte. Also deren Budgetrestriktion. Die konkrete Einkommensverteilung und die jeweilige Einkommensverwendung bestimmen wiederum den Spielraum bzw. die Wahl- und Handlungsmöglichkeiten der einzelnen Marktteilnehmer. Im Ergebnis folgt daraus, dass die Unternehmen vor allem kosten- und gewinngetrieben, die privaten Haushalte hingegen vor allem einkommensgetrieben sind. So oder so, beides führt zu Budgetrestriktionen, die letztlich wirklich die Preise bestimmen. Preise sind also in Verbindung mit dem jeweiligen Einkommen (Höhe und Verteilung) nichts anderes als eine bewusst erzeugte Regel zur Verteilung des erwirtschafteten Sozialprodukts. Mit individueller Leistungsfähigkeit (Grenzleistungsfähigkeit des Faktors Arbeit) hat das nichts zu tun. Das redet man uns nur ein, damit wir die herrschenden Zustände nicht hinterfragen, geschweige denn infrage stellen und dagegen opponieren.
Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt. "Budgetrestriktionen" sind nur eine Näherung/ Abstraktion von realwirtschaftlichen Restriktionen, d.h. knappen Gütern. Früher stimmte diese Annahme: Es gab zwar vielleicht genug Nahrung für Alle, aber alles Andere war aufgrund der geringen Arbeitsproduktivität "knapp". Unter diesen Bedingungen ergab es Sinn, Geld ebenfalls "knapp" zu halten, um die Verteilung der Güter zu organisieren. Dann stellte sich heraus, dass Geldvermehrung ein mächtiger Anreiz ist, der tendenziell zur Gütervermehrung führt - das Ergebnis war der zunehmend freiere Kapitalismus. Dieser entspricht der materiellen Wachstumsphase der Wirtschaft - wenn diese endet, weil die relevanten Güter nicht mehr "knapp" sind und weiteres Wachstum nur (z.B. ökologische) Probleme verursacht, endet notwendigerweise auch der Kapitalismus und beginnt ein neues Wirtschaftssystem. Das schließt nicht aus, dass es noch kapitalistische "Nischen" innerhalb der Gesellschaft gibt - aber wenn Geld nicht "knapp" ist, wird auch Geldvermehrung uninteressant.
Was die Märkte angeht, würde ich das Angebot-Nachfrage-Modell keinesfalls ganz ablehnen, aber es ist eben ein mehr oder minder wichtiger Sonderfall und gilt (näherungsweise - es ist ja nur ein Rechenmodell, kein Abbild der Realität) längst nicht immer, insbesondere nicht auf einigen sehr wichtigen "Märkten".