Heute gehört Dagmar Fritz-Kramer in ihrem Betrieb fast zu den alten Hasen: sie ist 45, das Durchschnittsalter ihrer Belegschaft liegt bei 35. Doch als sie 2004 bei Bau-Fritz, einem der ersten ökologisch orientierten Holzbau-Unternehmen Deutschlands, von ihrem Vater die Leitung übernahm, war das ein echter Generationenwechsel.
Fritz-Kramer hatte Innenarchitektur studiert und dann die Planungsabteilung der Firma im Allgäu übernommen. Als sich ihr Vater an seinem 65. Geburtstag in den Ruhestand verabschiedete, wurde die Tochter „alleinvertretungsberechtigte, geschäftsführende Gesellschafterin“ einer Firma, die ihre Fertighäuser weltweit verkauft, mit heute durchschnittlich 70 Millionen Euro Umsatz pro Jahr, 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einer langen Liste von Preisen für Klimaschutz, Ressourceneffizienz und soziale Verantwortung. Letztere zeigt sich in einer stabilen Personalsituation, denn beim Übergang der Anteile auf Fritz-Kramer und ihren Bruder wurde der Erhalt von Arbeitsplätzen mit Erbschaftssteuer-Freibeträgen erleichtert.
In Fleisch und Blut
So wie sich die Umweltbewegung derzeit mitten im Generationenwechsel befindet (der Freitag 28/2015) und viele Akteure der ersten Stunde ins Rentenalter kommen, so übernehmen nun bei vielen Pionieren nachhaltigen Wirtschaftens die Jungen – aufgewachsen im Wohlstand und nicht erpicht darauf, Freizeit und Familie jederzeit dem eigenen Betrieb unterzuordnen. Zudem bedienen nachhaltige Unternehmen heute zwar nach wie vor meist Nischenmärkte. Die sind aber mächtig gewachsen und kaum mehr mit dem Außenseiterdasein früherer Jahre zu vergleichen.
„Unser Verständnis von Nachhaltigkeit hat nicht mehr so viel mit der Verzichtshaltung der Ur-Ökos zu tun“, sagt Dagmar Fritz-Kramer. Das heiße konkret: natürliche Materialien wie Holz, Metall, Glas in der Architektur wieder rein und unverbaut zu zeigen, was zugleich ökologisch und baubiologisch richtig sei, da „wir die Stoffe nicht mehr mit anderen verbacken“. So blieben sie später, beim Recycling, wertvoll und könnten ohne großen Aufwand in neuen Produkten wiederverwendet werden. Fritz-Kramer will bei der Auswahl der Produkte noch genauer hinschauen, sie nennt das „faire Produktauswahl bis in die Tiefe“. Und sie geht davon aus, dass die Zukunft stark von der digitalisierten intelligenten Fabrik sowie einer Null-Abfall-Produktion geprägt sein wird.
Ihr Vater war in den 1970er Jahren Chef des Familienunternehmens geworden. „Er hat den Holzbau weiterentwickelt und ist in Sachen Nachhaltigkeit und Ökologie neue Wege gegangen.“ Seine Freude, etwa an neuen Produktionsmethoden, sei am Standort im bayerischen Erkheim allen „in Fleisch und Blut“ übergegangen. „Daher verdanke ich meinem Vater Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit hoher Bereitschaft zur Veränderung und Beweglichkeit“, sagt Fritz-Kramer. Die Begeisterung für ökologisches Bauen und gesundes Wohnen teilt sie mit ihrem Vater. Doch Fritz-Kramer legt größeren Wert darauf, die Firma noch teamorientierter und transparenter zu führen. Darum kommunizieren und erklären die Bereichsleiter alle wichtigen Geschäftszahlen monatlich – die ganze Belegschaft weiß somit über die Erfolge wie über die Sorgen der Firma Bescheid. In sogenannten „Denkerrunden“ können alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Verbesserungsideen einbringen und diese dann selbst kostenverantwortlich umsetzen.
Lieber nicht zu früh
Was Bau-Fritz schon hinter sich hat, steht der Biosupermarktkette Alnatura mit Sitz im hessischen Bickenbach erst noch bevor. Götz Rehn hat sie 1984 gegründet und ist bis heute Geschäftsführer. Die Kinder des 67-Jährigen sollen jedoch noch einige Zeit Erfahrungen in anderen Unternehmen sammeln: Die 27-jährige Tochter arbeitet derzeit bei einem Versandhändler und der 31-jährige Sohn bei einem Drogeriemarkt, jeweils in verantwortlichen Positionen. Götz Rehn hält nichts davon, wenn die Kinder zu früh und direkt im Familienunternehmen einsteigen. Er habe zu viele Fälle gesehen, wo dies schiefgegangen sei.
Rehn beobachtet, dass die Jungen ganz andere Ansprüche stellen: „Ich habe meist der Arbeit oberste Priorität gegeben und sicher auch mal die Familie vernachlässigt. Das kommt für die Jungen nicht mehr in Frage.“ Darauf musste sich auch Alnatura mit neuen, flexiblen Arbeitszeitmodellen einstellen.
Sowohl bei der Stabübergabe an eine neue Führung als auch beim Rekrutieren neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei es wichtig, Menschen zu finden, die „den Spirit des Unternehmens weitertragen“, sagt Rehn. So manche Pioniere der Ökobranche machten ihm daher Sorgen. Einige Unternehmen holten über Beteiligungen Fremdkapital ins Haus oder verkauften gar komplett an große Firmen. Dann sei überhaupt nicht sicher, ob die Nachhaltigkeitsstrategie weiter verfolgt werde – jedenfalls nicht so, wie sich das die Gründer mal gedacht hatten.
Derartige Sorgen muss sich der Gründer der Firma Lebensbaum, Ulrich Walter, nicht machen. Seit 1979 produziert er Tee, Kaffee und Gewürze aus ökologischer Landwirtschaft, den Wechsel hin zu seiner Tochter hat er längst eingeleitet. Maren Walter, die bereits als Schülerin mit Ferienjobs im Betrieb im niedersächsischen Diepholz ihr Taschengeld aufbesserte, hat Kommunikationswissenschaften studiert und dann in verschiedenen Abteilungen bei Lebensbaum gearbeitet, bevor sie vor drei Jahren die Unternehmenskommunikation übernahm und dann im Sommer 2016 das Management für Kaffee und Tee. Sie legt sehr großen Wert darauf, festzustellen, dass sie nicht ins Familienunternehmen eingetreten ist, weil dies der einfachste Weg gewesen sei oder weil die Familie das von ihr erwartet habe. „Ich glaube vielmehr an die Inhalte, die wir hier vertreten. Nachhaltigkeit macht das Wirtschaften sinnvoll und erfolgreich.“
Was die Entwicklung des Unternehmens angeht, sind sich Vater und Tochter einig: Ein „schlüssiges Nachhaltigkeitskonzept für die gesamte Lieferkette“ soll es sein, so Ulrich Walter, das Unternehmen müsse in „seinen gesamten Handlungen glaubhaft“ auftreten. Dies gelte vor allem für den Ressourcenverbrauch. Zudem stimmen beide hinsichtlich der ökonomischen Ziele überein – weitgehend. Der Senior sagt, es gehe um ein „gesundes Wachstum“ mit dem Markt, das heißt: mehr Umsatz und mehr Arbeitsplätze in langsamem Tempo. Auf keinen Fall jedoch dürfe das zulasten der eigenen Werte gehen, kein Wachstum um den Preis sinkender Standards also. „Unsere größte Chance ist es, authentisch zu bleiben“, sagt Ulrich Walter. Maren Walter hingegen kann sich auch Nullwachstum vorstellen, Stagnation auf einem Niveau also, bei dem nur die gegenwärtigen Arbeitsplätze gehalten werden.
Einen größeren Unterschied zur Vorgängergeneration sieht die Tochter anderswo: Die Pioniere hätten den Biomarkt von null aufgebaut, in einem gesellschaftlich wenig aufgeschlossenen Klima. „Ein Unternehmer, der vor 30 Jahren auf Bio setzte, wurde oft belächelt. Wir, die Jungen, dagegen müssen heute nicht mehr um Akzeptanz kämpfen.“ Politische Verbandsarbeit habe daher nicht mehr einen so großen Stellenwert. „Wir können uns auf viele andere Dinge konzentrieren, wie die Kommunikation oder Qualitätsfragen von Bio“, sagt Maren Walter. Schließlich gehe es in einem wachsenden Biomarkt darum, sich vom Wettbewerber differenzieren zu können. „Das sind dann viele kleine statt des einen großen Schauplatzes.“
Ein Problem jedoch scheinen die Kinder der Pioniere doch zu haben: Die Väter und sehr wenigen Mütter der Familienunternehmen wollten nicht so gerne loslassen, beobachtet Maren Walter. „Wir müssen sie überzeugen, dass wir das Unternehmen gut weiterführen können.“ Dafür muss die eine weniger, der andere mehr kämpfen.
Als Vorbild könnte Hubert Fritz dienen: Sieben Jahre über seinen Rückzug hinaus behielt er noch ein Viertel der Anteile an Fritz-Bau, dann gab er alles ab. Vor allem aber ist der frühere Chef weggezogen, er wohnt heute in Österreich. Und von gelegentlichen Erkundigungen nach der finanziellen Lage abgesehen, habe er seitdem nicht mehr ins Geschäft eingegriffen, sagt seine Tochter und Nachfolgerin Dagmar Fritz-Kramer.
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