Hier geht es Sexarbeiterinnen am besten

Well-Being-Index Studie untersucht westliche Staaten weltweit auf Faktoren, die eine Einschätzung über Arbeitsbedingungen für freiwillige Sexarbeit erlauben

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Sommer 2020: Hamburger Sex-Arbeiter:innen demonstrieren gegen Lockdown Maßnahmen
Sommer 2020: Hamburger Sex-Arbeiter:innen demonstrieren gegen Lockdown Maßnahmen

Foto: Morris MacMatzen/Getty Images

Für Sexarbeiterinnen wie Lady Susan aus Berlin waren die letzten Monate sehr herausfordernd. Aktive Kundenarbeit war lange Zeit unmöglich, viele Sexarbeiterinnen waren auf staatliche Unterstützung angewiesen. Doch immerhin: Die Corona-Hilfen waren ein kleiner Lichtblick am Ende eines langen Tunnels der Ungewissheit – auch für Lady Susan: “Solange die Corona-Hilfen laufen, komme ich schon irgendwie klar, schwierig wird es erst, wenn es irgendwann keine Hilfen mehr geben sollte.”

Doch nicht alle Prostituierten konnten in den vergangenen Monaten von der staatlichen Unterstützung profitieren. Nur wer seine Arbeit offiziell beim Gesundheitsamt registriert hatte, durfte überhaupt Überbrückungsgelder beantragen. Alle anderen gingen komplett leer aus. Corona, so viel dürfte mittlerweile klar sein, hat die Lage von vielen Sexarbeiterinnen enorm verschärft – besonders auf dem Straßenstrich. Am Rande der Illegalität wurde nämlich stets weitergearbeitet, auch wenn die Sexarbeit eigentlich längst verboten war.

Sexworker Well-Being-Index

Ob in Deutschland, in Österreich oder in anderen Ländern weltweit – die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen sind insgesamt sehr unterschiedlich zu bewerten. Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Lust Mags hat sich ausführlich mit der gesellschaftlichen und rechtlichen Situation von Sexarbeiterinnen in 25 Ländern auseinandergesetzt und einen Well-Being-Index berechnet, der Aufschluss über die aktuelle Lage der Sexarbeit gibt. Die Ausgangsfrage lautete: Welche Länder bieten die sichersten Bedingungen für Sexarbeiterinnen?

Fünf Kriterien spielten bei der Berechnung des Well-Being-Index eine zentrale Rolle:

  1. Rechtliche Situation: Werden Sexarbeiterinnen rechtlich geschützt bzw. sind sie überhaupt rechtlich anerkannt?
  2. Interessenvertretungen: Wie viele Verbände und Organisationen setzen sich vor Ort für die Rechte von Sexarbeiterinnen ein? Gibt es ein gut ausgebautes Netz an Unterstützung und Beratung?
  3. Soziale Zusammenhalt: Gibt es ein Netzwerk, auf das sich Sexarbeiterinnen im Notfall verlassen können?
  4. Rotlichtviertel: Sind Bezirke vorhanden, in welchen Sexarbeiterinnen in einem geschützten Rahmen ihrer Tätigkeit nachkommen können?
  5. Straßenprostitution: Wie hoch ist der Anteil der oftmals problematischen Straßenprostitution?

Das Ranking

Laut der Studie bietet Deutschland aktuell die verhältnismäßig besten Arbeitsbedingungen für freiwillige SexarbeiterInnen, Österreich folgt auf Platz 2. In kaum einem anderen Land vertreten so viele Organisationen, die Interessen von Prostituierten wie in Deutschland. Mit dem positiven Auswirkungen auf deren Situation: Nur 13 Prozent der freiwilligen SexarbeiterInnen arbeiten auf der Straße. Das Ranking in der Übersicht:

  1. Deutschland
  2. Österreich
  3. Niederlande
  4. Neuseeland
  5. Luxemburg
  6. Kanada
  7. Spanien
  8. Vereinigtes Königreich
  9. Finnland
  10. Dänemark
  11. Belgien
  12. Lettland
  13. USA
  14. Ungarn
  15. Australien
  16. Griechenland
  17. Italien
  18. Slowenien
  19. Estland
  20. Polen
  21. Slowakei
  22. Tschechien
  23. Portugal
  24. Schweden
  25. Frankreich

Gute Lage in Deutschland – mit Einschränkungen

Die Studienmacher von Erobella und Lust Mag fassen das Ergebnis wie folgt zusammen: “Während einige wenige Länder wie Deutschland, die Niederlande oder Neuseeland den Weg der Legalisierung und Regulierung gehen, ist die Prostitution in vielen anderen europäischen Ländern und auch fast überall in den USA gesetzlich verboten. Durch die unterschiedlichen rechtlichen Bedingungen und schwankender gesellschaftlicher Akzeptanz der Prostitution von Land zu Land, ergeben sich zum Teil erhebliche Unterschiede bei den Arbeits- und Lebensbedingungen der SexdienstleisterInnen.”

Auch Lady Susan bewertet die Situation in Deutschland als gut – sieht jedoch weiterhin gewisse Einschränkungen: “Zum einen haben wir in Deutschland das große Glück, dass Sexarbeit für die Politik als eine Arbeit wie viele andere angesehen wird. So können sich Sexworker z.B. krankenversichern und ihre geschäftlichen Ausgaben von der Steuer absetzen. Gerade jetzt, in der Corona-Krise, hat man deutlich gesehen, dass auch Sexworker (zumindest jene, die ihr Business entsprechend angemeldet haben) vom Staat genauso Corona-Hilfen bekommen können wie z.B. ein Handwerksbetrieb. Das sehe ich als Zeichen, dass Sexarbeit mehr und mehr Akzeptanz findet. Andererseits gibt es in Deutschland Gesetze, die die Sexarbeit - ob bewusst oder unbewusst sei dahin gestellt - stigmatisieren und zudem völlig praxisfern sind.”

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