Im Gespräch Wie der Oscar-Preisträger Florian Gallenberger mit John Rabe einen Helden des 20. Jahrhunderts wiederentdeckte und dabei in ein weltpolitisches Minenfeld geriet
Der Freitag: Warum sollte man John Rabe kennen? Florian Gallenberger: Weil er in seiner Widersprüchlichkeit eine enorm interessante Figur ist; weil er 250 000 Menschen das Leben gerettet hat. Und weil man an ihm sehen kann, welche unerwartete Wendung das Leben nehmen kann.
Rabe war NSDAP-Mitglied, trotzdem rettete er die Chinesen vor den Japanern, den Verbündeten Deutschlands. Wie passt das zusammen? Er hielt Hitler für einen humanitär denkenden Arbeiterführer. Aber Rabe lebte seit 30 Jahren in China und hatte 1930 zum letzten Mal deutschen Boden betreten. Aus der Entfernung konnte er das NS-Regime verklären. Und man darf nicht vergessen: Noch 1939 schlug ein schwedischer Abgeordneter Hitler für den Friedensnobelpreis vor. Rabe war also nicht der einzige, d
für den Friedensnobelpreis vor. Rabe war also nicht der einzige, der sich in Hitler täuschte. Als er in einem Brief an Hitler appellierte, auf Japan einzuwirken, war er voll des Glaubens an dessen gute Absichten. Dann zerbröselte Rabes Weltbild. Erst verhalten sich die Japaner nicht so, wie er das von deutschen Verbündeten erwartet. Dann antwortet Hitler ihm nicht. Und als Rabe nach Deutschland zurückkehrt, verhaftet ihn die Gestapo. Es wird ihm verboten, über das Nanking-Massaker öffentlich zu sprechen. Da zerbricht endgültig sein Glaube an den Nationalsozialismus. Rabe war kein Überflieger, kein blütenweißer Held. Aber in dem Chaos von Nanking wuchs er über sich hinaus. Er gewann an Aufrichtigkeit, Mut und Kraft. Er ist jemand, bei dem man zweimal hinschauen muss. Das macht ihn reizvoll.Mehr zum Thema:Filmkritik zu "John Rabe"Warum hat es so lange gedauert, bis Rabes Leben verfilmt wurde? Rabe saß zwischen allen Stühlen. Die Nazis brachten ihn zum Schweigen. Nach dem Krieg verlor er alles. Als Held des Wiederaufbaus war er ungeeignet. Die chinesische Propaganda zehrte ihn als Helden des Kommunismus hervor, was ihn dem Westen dubios machte. Erst als Erwin Wickert, der Rabe noch kannte, die Tagebücher Rabes herausgab, änderte sich die Wahrnehmung.In China wird Rabe als „Guter Deutschen von Nanking“ und sogar als „Buddha“ verehrt. Trotzdem schien niemand dort das Projekt zu wollen.Ich dachte, dass die Chinesen sich über den Film freuen. Und ich fand auch bald einen namhaften chinesischen Partner – eine Voraussetzung, um einen Drehgenehmigung in China zu erhalten. Der einzige Nachteil war, dass wir damit durch alle Stufen der chinesischen Zensur hindurch mussten. Das Drehbuch musste genehmigt werden. Und da hieß es dann plötzlich, ein chinesischer Regisseur arbeite bereits an dem Projekt. Einen anderen Film soll es nicht geben. Ich erinnere mich noch sehr gut an den Anruf einer Dame, die mir diesen Beschluss des Zentralkomittees der Kommunistischen Partei mitteilte und erklärte, dass damit alle weiteren Anfragen sinnlos seien. Sie wünschte mir aber noch sehr freundlich eine schöne Reise durch China. Den Anruf bekam ich auf meiner chinesischen Mobilnummer, die nur meine Frau und meine engsten Freunde besaßen.Konnten Sie sich die Ablehnung erklären?In Nanking retteten Ausländer die Chinesen vor den Japanern. Die Chinesen als Opfer, als Schwache, die Ausländer brauchen, um zu überleben, ist ziemlich das Gegenteil von dem, wie sich China im Augenblick sieht und wie es gesehen werden möchte.Wie haben Sie auf die Abfuhr reagiert?Ich sah mir trotzdem die Gedenkstätte des Massakers in Nanking an. Als ich den Leiter des Memorials aufsuchte und ihn fragte, ob es noch Überlebende gebe, war ich verdutzt, dass er von mir wusste. Er sagte: Falls Sie der Filmemacher aus Deutschland sind, muss ich Ihnen sagen, dass Sie keine Drehgenehmigung haben. Kontakte zu Überlebenden könnten nur die lokalen Parteistellen herstellen, aber nur wenn eine Erlaubnis vorliegt. In dem Moment war ich tatsächlich deprimiert. Ich dachte, ich sollte es wirklich lassen, man will mich hier nicht. Dann geschah etwas Seltsames: Als ich in den Gassen spazierte, lächelte mir ein alter Mann zu. Ich sprach ihn mit Hilfe meines Übersetzers an. Der alte Mann, Herrn Gao, entpuppte sich als Überlebender von damals. Er freute sich, dass sich Menschen in Deutschland für das Thema interessieren. Er war damals ein kleiner Junge und erzählte, dass er damals bei einem Ausländer Schutz fand, bei Rabe. Dadurch fasste ich wieder Mut. Das Thema hatte plötzlich eine bis heute währende Gültigkeit für mich, denn ohne Rabe würde Herr Gao vermutlich nicht mehr leben.Wie bekamen Sie dann schließlich doch noch die Drehgenehmigung?Ich zog mein letztes Ass aus dem Ärmel. Ich hatte auf der Berlinale Chan Kaige kennenlernt, den Regisseur des berühmten Films „Lebwohl, meine Koncubine“. Ich rief ihn an, und er lud mich zu einem Abendessen in ein Restaurant ein. Als ich dort hinkam, saßen da 30 Leute. Kaige plazierte mich neben eine Dame, die mir, wie Kaige sagte, bei allem behilflich sein könnte. Jedenfalls mochte sie das Projekt und ich glaube auch die Hartnäckigkeit, mit der ich es verfolgte. Sie erklärte mir die chinesische Art, eine Anfrage zu stellen. Man legt die Information bei einer Vertrauensperson ab. Man zwingt sie nicht dazu, zu- oder abzusagen. Die Person legt die Information dann wieder bei jemand anderem ab, bis sie an der richtigen Stelle ankommt. Diese Technik des Durchsickerns erlaubt allen Beteiligten, ihr Gesicht zu wahren. Letzten Endes half es wohl auch, dass wir die Rechte hatten. An einem Copyright-Streit wollten sich die Behörden nicht die Finger verbrennen.War dann Ihre Odyssee zu Ende? Das klänge ja fast zu einfach nach der Vorgeschichte.Schön wär’s. Als die wichtigste Hürde genommen war, erlebten wir dann weiter jede tagespolitische Wende mit. Einmal gab es einen Schulbuchstreit – in Japan wurde ein Schulbuch veröffentlicht, in dem das Nanking-Massaker geleugnete wurde, worauf in China ein Proteststurm losbrach – dann hieß es: Sehr gut für euch, ihr kriegt die Erlaubnis. Dann beschlossen Japan und China ein gemeinsames Erdgasprojekt im Chinesischen Meer, und sofort wurden wir vorgewarnt: Jetzt müssen wir es auf die lange Bank schieben, um Japan nicht zu verärgern. Das Projekt wurde zum Spielball der politischen Interessen. Was mich dabei überraschte: Wie offen die Chinesen zwischen privater Abneigung und Geschäftsinteressen trennen. Auf keinem Fall soll die Vergangenheit einen wichtigen Handelspartner verprellen. Und Japan ist heute der wichtigste Handelspartner Chinas.Wie hat sich Siemens zu dem Film gestellt? John Rabe ist eine der herausragenden Gestalten ihrer Firmen-Geschichte.Die chinesischen Behörden waren zäh, aber die konnten wir am Ende umstimmen. An Siemens bissen wir uns die Zähne aus. Das hat mich enttäuscht, denn ein Siemens-Mitarbeiter in China, der zum Helden wird und in China bis heute als Held gefeiert wird, ist eine herausragende Figur der Firmengeschichte. Der Film bot dem Unternehmen die Chance, mit etwas Anderem als mit Skandalen Schlagzeilen zu machen. Wir haben es wirklich über alle Kanäle versucht: vom Vorstandsvorsitzenden Peter Löscher bis zum Aufsichtsratsvorsitzenden Gerhard Cromme. Es gab keine Reaktion. Siemens fiel bei dem Thema in eine Art Totenstarre. Hilfe bekamen wir aber beim Zugang zu den Archiven, damit wir wussten, wie die Turbinen damals aussahen und welche Logos und Schriftzüge verwendet wurden.Ist das typisch für den Umgang mit Rabe in Deutschland? Absolut. Rabe ist in Deutschland und bei Siemens in Vergessenheit geraten. Er fiel bei den Nazis durch, nach dem Krieg wurde ihm, da er ja NSDAP-Mitglied war, von den Alliierten die Entnazifizierung verweigert. Er starb 1950 in Berlin verarmt. Nur die chinesische Regierung unterstützte ihn in Anerkennung seiner Verdienste. Sie ließ ihm über die chinesische Militärmission in Berlin Care-Pakete zukommen. Chian Kai-shek bot ihm sogar an, ihm in Taiwan ein Haus und eine Pension zur Verfügung zu stellen. Er erwartete aber, dass Rabe bei den Kriegsverbrecher-Tribunalen in Tokio gegen die Japaner aussagte. Diesen Handel lehnte Rabe ab. Er war nicht zu kompromittieren, selbst, als es ihm schlecht ging.In Japan ist das Nanking-Massaker bis heute ein Tabu-Thema. Es wird verschwiegen, verharmlost oder ganz geleugnez. Trotzdem gelang es ihnen, die Rollen der japanischen Soldaten und Befehlshaber mit japanischen Schauspielern zu besetzen. Achtzig Prozent der Schauspieler, die wir anfragten, haben sofort abgelehnt. Viele versicherten mir, dass sie das Thema persönlich wichtig fänden. Sie wollten dafür nur nicht öffentlich den Kopf hinhalten. Bei dem Stoff geht es um Schande und Gesichtsverlust, und zwar für das ganze Land. Zwanzig Prozent der Angefragten wollten genau aus dem Grund mitmachen. Sie fanden, dass es Zeit ist, Japan mit dem Thema zu konfrontieren.Einer der Darsteller ist in Japan ein Star, Teruyuki Kagawa. Er spielt den Prinzen Asaka, der mit seinem Befehl, keine Gefangenen zu machen, den japanischen Soldaten den Freifahrtschein für die Greueltaten ausstellte. Wird seine Beteiligung dem Thema und dem Film in Japan helfen?Das war meine Hoffnung. Vor Kagawa habe ich den allergrößten Respekt. Er beging einen doppelten Tabubruch. Er spielt ein Mitglied der kaiserlichen Familie. Allein das gilt in Japan schon als anmaßend. Und dann verkörpert Kagawa auch noch einen Prinzen, der für ein Verbrechen verantwortlich gemacht wird.Verstörend sind die Härte und das Funkeln in Asawas Augen, als er die Untergegebenen zur Hinrichtung der Gefangenen auffordert. Ja, Kagawa gibt ihm etwas Besessenes. Erwin Wickert, der Herausgeber der Tagebücher, der während des Nanking-Massaker an der Deutschen Botschaft in Tokio Dienst tat, erzählte mir, man könne sich die Härte im japanischen Militär selbst als Deutscher nicht vorstellen. Den unhinterfragten Gehorsam gab es auch im deutschen Militär, aber in Japan wurde schon Widerspruch mit Todesstrafe geahndet.Wird der Film in Japan zu sehen sein?Ein japanischer Verleih hat Interesse angemeldet, aber er fragte auch, ob man die Figur des Prinzen Asawa aus dem Film rausschneiden könne – was noch einmal zeigt, in welches Wespennest wir da stechen. Es wurde sogar das Bild von brennenden Kinos an die Wand gemalt.
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