Die neue glokale Weltunordnung

Glokalisierung Transnationalität und Glokalisierung sind in Krisenzeiten wichtiger als jede andere Idee.

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Zwei Tage vor dem 11. September 2001 schenkte mir ein ehemaliger Freund anlässlich meines Geburtstages das Buch ,,Die neue Weltunordnung“ des mittlerweile emeritierten deutsch-syrischen Professors Bassam Tibi. Bei dem Buch handelte es sich um die dritte Ausgabe des Werkes, welches erstmals 1998 erschienen war. Man mag glauben, was man möchte, aber wer damals Tibi als informierter sowie denkender Leser des zeitgenössischen Weltgeschehens ernst nahm, der konnte jenes besagte Buch am Ende der Lesezeit und mit einem Fundus an neuem Wissen zuklappen.

Für seine in den vergangenen Jahrzehnten verhafteten Visionen nahm Tibi im Jahr 2019 in Frankfurt am Main den Vordenker-Preis mit den selbstkritischen, dessen ungeachtet glokalisierten (global und lokal) Worten entgegen: ,,In Damaskus habe ich geglaubt, in Frankfurt habe ich begonnen zu denken.“ Sollte nicht vor dem Hintergrund des Überfalls auf die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 der Titel des erwähnten Tibi Buches um die Eigenschaft „glokal“ – Die neue glokale Weltunordnung – erweitert werden?

Ortswechsel Gegenwart

Just zu diesem Ereignis kann man sich als teilnehmender Beobachter des Weltgeschehens die Frage stellen, ob die über einen Zeitraum von zwanzig Jahren entstandene kritische Arbeit Tibis über Europa und insbesondere Westeuropa – von Vorschlägen zur nativen Identitätspolitik bis hin zur Außenpolitik – einem Leser genutzt hat. Dabei spricht Tibis reichhaltiges interdisziplinäres Werk Bände, wenn der Subkontinent Europas – unser aller Lebensmittelpunkt – aufgrund der Kriegsbesessenheit des alten KGB-Zöglings, der als derzeitiger Präsident des größten Nationalstaates der neuen glokalisierten Weltunordnung, angegriffen wird.

Ortswechsel Ordnungsbegriffe

In einigen mageren Ordnungsbegriffen ausgedrückt, beschäftigte sich Tibi zu seiner Frankfurter Zeit als Student der Goethe-Universität bei den professoralen Vertretern des Instituts für Sozialforschung Max Horkheimer (1895-1973) und Theodor Adorno (1903-1969), aber auch Jürgen Habermas (1929-) oder Iring Fetscher (1922-2014), mit Erweiterung, Schutz und Erhaltung der Werte der Aufklärung und Demokratie. Nicht umsonst, hatte er die in seiner Studierendenzeit erlernte Kritische Theorie auf seine spätere Arbeit als Professor für die Politikwissenschaft angewendet. Wieviel Tiefe, da erforschte Gedanken, sollte Tibi seiner universitären Leserschaft, zuweilen der hiesigen, aber auch internationale Bildungsschicht – seine Arbeit wurde in 16 Sprachen übersetzt – noch darlegen? Im Anschluss an diese Tatsachen kann man als teilnehmender Beobachter einen Katalog an Fragen aufstellen, um das Werk, die medialen Auftritte sowie unzähligen Konferenzen, Workshops oder Vorträge von engagierten Menschen wie Professor Bassam Tibi für z.B. die jüngere Leserschaft aufzubereiten.

Ortswechsel Europa

In diesen Tagen gab es im französischen Radiosender „France Inter“ eine tägliche Sendereihe über den Algerienkrieg (1954-1962), in dem einst der zehntgrößte Nationalstaat der Welt als ein Département (Gebiet) Frankreichs auf der anderen Seite des Mittelmeerraumes auf dem nördlichen Teil Afrikas gesehen wurde. Seit der Zeit der Dekolonisierung, einige wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, die in einem Befreiungskrieg mündete, sind nun 60 Jahre verstrichen. Im Pariser Élysée-Palast steht alles im Zeichen einer aufarbeitenden Erinnerung, der gegenseitigen Anerkennung sowie der rückblickenden Schuldfrage in einer neuen glokalisierten Weltunordnung seit dem 24. Februar 2022.

Einer der geladenen Experten des Radiosenders France Inter, ein Hochschullehrer der Universität Sorbonne, entwickelte zur dialektischen Aufklärungsdebatte diese Gedanken: ,,Man versprach seit der Kolonisierung im Jahr 1830 Algerien und dessen Bevölkerung nicht dasselbe, sprich einen aufklärerischen Gesellschaftsvertrag der Inhalte à la Diderot, Voltaire oder Montesquieu, vielmehr handelte es sich um geostrategische Parameter, zumal das zu kolonisierende Land reich an Naturressourcen ist.“

Ortswechsel Universität

Desgleichen werden solche Themen, die die derzeitige neue glokalisierte Weltunordnung betreffen, nicht nur von den unzähligen Medienformaten in beträchtlicher Weise in Angriff genommen. Vielmehr werden diese Themen an den ältesten Wissensproduktionsorten, nämlich den Universitäten und ihren dazugehörigen Instituten, gelehrt sowie erforscht. Jedoch werden kritische Stimmen auch zunehmend an den erwähnten Produktionsorten angegriffen. Dabei sind universitäre Staatsbedienstete, ob Professoren oder Dozenten, nicht nur für die Wissensvermittlung verantwortlich, sondern auch das Erreichen einer kritischen Haltung, mit der diese z.B. auf die Perversion von Religion, Nation oder Kultur aufmerksam machen. Diese Wissensvermittler werden mitunter unkritisch verachtet, beschimpft, öffentlich an den medialen Pranger gestellt.

Ortswechsel Geschichte

In der deutschen Erinnerung sitzt das Verbrechen der Nazis tief, weshalb nach dem 8. Mai 1945 Jahrzehnt für Jahrzehnt für die Fortführung der Aufklärung aus dem späten 18. Jh. gesellschaftspolitisch, aber weniger inter- und transnational, gerungen wurde. Nicht nur die 1968-er-Bewergung, sondern auch der bekannte Historikerstreit (1986/87) zwischen den Denkern Ernst Nolte (1923-2016) und Jürgen Habermas behandelte die deutsche Schuldfrage am Zweiten Weltkrieg, dessen Wirkung auf eine neue deutsche Identität und die dadurch anzufertigende Historiographie.

Ortswechsel Sprache

Daher sollten nach der neuen glokalen Weltunordnung in der universitären Landschaft Ordnungsbegriffe vom Schlage ,,Herrschaftsfreier Diskurs“, das „bessere Argument“ oder „keine Wertung“ zur Demokratisierung von Seminaren in den sprachzentrierten Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften ihren wichtigen Beitrag leisten können. Zumindest lernte man das damals in den erwähnten Fachbereichen der Seminare am Campus Bockenheim in der Frankfurter Goethe-Universität. Damals waren auch die unter dem Namen Bassam Tibi erscheinenden Buchtitel vielen Lesern, Dozenten, jedoch auch Buchhändlern, zu sehr polarisierend, unnötig plakativ oder oft nur uninteressant, wie z.B. das bereits erwähnte Buchgeschenk ,,Die neue Weltunordnung".

Ortswechsel Ganzheitlichkeit

Bekanntlich bedingt die Freiheit alles. Jedoch sollte hier die erste wichtigste Frage gestellt werden, nämlich: Welche Bedingungen sind für die Erlangung von Freiheit vonnöten, damit dieser wichtige normative Wert der Freiheit sowohl zeit- als auch grenzenlos wirkmächtig werden kann? Erst auch durch die Ganzheitlichkeit vom europäischen Subkontinent kann man neue Fragen (Klima, Natur, Ernährung, Viren) in Zeit, aber transnationalem Raum miteinander gemeinsam denken, somit sie auch in vereinten Kräften lösen.

Ortswechsel: Selbst Orte sind als Zentren sowie Peripherien erweiter- und austauschbar.

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