Geplante Märkte

CROSSOVER-KOMPENDIUM Von Konzernen lernen, unternehmerisch denken und regional wirtschaften

Seit einigen Jahren diskutieren linke Grüne und Sozialdemokraten mit demokratischen Sozialisten parteiübergreifend linke Reformalternativen. Schwerpunkt der Debatten waren zuletzt die lokale Ökonomie, regionales Wirtschaften wie ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor (ÖBS). Fragen von einem hohen Stellenwert angesichts der Dominanz neoliberaler Weltmarktorientierung. Um so erfreulicher, dass mit dem Band Regionales Wirtschaften als linke Reformperspektive jetzt eine Sammlung von Aufsätzen vorliegt, die den Status quo der Diskussion verdeutlichen.

Im Eröffnungstext grenzen sich Uwe Kremer und Benjamin Mikfeld von der gängigen wirtschaftspolitischen Alternative - Angebotsorientierung contra Stärkung der Binnennachfrage - ab. Eine solche Sichtweise verschließe sich, so die Autoren, dem strukturellen Problem, dass es eine gespaltene ökonomische Entwicklung gibt, "die in der Tendenz auf eine Entkoppelung der Akkumulationsdynamik des Exportsektors vom Binnensektor hinausläuft". Während nach wie hohe Exportgewinne erzielt würden, leide der Binnensektor unter stagnierender Nachfrage und darunter, dass ihm die Rationalisierungserfolge der hochproduktiven Sektoren vermittelt über wachsende Arbeitslosigkeit und entsprechend steigenden Lohnnebenkosten aufgehalst würden. Davon ausgehend kommen Kremer und Mikfeld zu ihrer Grundthese: "Erforderlich ist ein gesamtwirtschaftlicher Transfermechanismus, der die Produktionsgewinne des Exportsektors zum Aufbau von qualifizierter Beschäftigung im Binnensektor nutzt". Dabei plädieren die Autoren für eine Verbindung von Verteilungs- und Strukturpolitik, vor allem aber für eine differenzierte Belastung durch Steuern und Abgaben und wollen einen Fonds "Nachhaltige Regionalentwicklung" bilden. Durch die höhere Belastung nicht investierter Gewinne sowie großer Geldvermögen könnte dieser bundesweite Fonds gefüllt werden.

Willi Brüggen geht ebenfalls vom blockierten Werttransfer der Weltmarktindustrien zu den regionalen Wertschöpfungsketten aus. Seine These lautet: Von den großen Konzernen müsse man lernen, um diese Blockade aufzubrechen und um "geplante Märkte" in der Regionalökonomie zu schaffen. Der Autor beschäftigt sich ausführlich mit neuen Entwicklungen innerhalb der Konzerne und schlussfolgert, dass die für eine Regionalökonomie zu nutzen seien. Es gehe darum, "neue qualitativ gezielte Transferprozesse zu organisieren ohne dabei auf Bürokratie, Kontrolle und Bevormundung zurückgreifen zu müssen". Was angeboten werde, entscheide die Politik. Die Frage, wer diese Leistungen qualitativ am besten, effizientesten und kundenfreundlichsten erbringe, bleibe dem Marktmechanismus überlassen. Die Politik, argumentiert Brüggen, müsse sich die Entscheidung darüber vorbehalten, welche Leistungen gefördert werden sollen und welche Kriterien die Leistungsanbieter erfüllen müssen, damit sie in den Genuss von Förderung kommen. Einen Interessengegensatz zum privatem Handwerk und öffentlich geförderten Beschäftigungsinitiativen schließt Brüggen aus. Ein Niedriglohnsektor und eine Aufspreizung des Lohngefälles würden vermieden.

Diesen Lösungen steht Reiner Schiller-Dickhut skeptisch gegenüber - die Trennung von Auftragsvergabe (Politik) und Auftragnehmer sei eine Illusion und nicht weniger bürokratisch, da andere Ineffizienzen und Bürokratien entstünden (zusätzliche Kontroll- und Steuerungsmechanismen für Anbahnung, Koordination und Kontrolle von Tauschaktivitäten). Es sei eventuell mit niedrigen Beschaffungs-, aber dafür höheren Transaktionskosten zu rechnen. Warum dann nicht gleich konsequent die Verwaltungen und öffentlichen Betriebe reformieren, statt sich durch Ausschreibungsverfahren und Übertrag der Aufgaben an Dritte zusätzliche Glieder im Steuerungsmodus einzubauen. Offen bleibt bei diesem Verfasser allerdings, wie er den öffentlichen Sektor beziehungsweise die öffentlichen Verwaltungen reformieren will, damit diese effizienter werden. Andererseits lässt sich ihm folgen, wenn er zwischen personenbezogenen Dienstleistungen in den Bereichen Soziales, Gesundheit und Kultur einerseits und infrastrukturbezogenen Aufgaben bei Verkehr, Energie, Telekommunikation, Abfall und Abwasser (Kommunalwirtschaft) unterscheidet. Brüggens Modell, so Schiller-Dickhut, mache zwar im ersten Bereich Sinn, aber nicht im zweiten. Dort hätten die Bürger ohnehin nicht die Möglichkeit, sinnvoll zwischen verschiedenen Angeboten zu wählen. Im öffentlichen Nahverkehr seien hingegen Ausschreibungen durchaus sinnvoll.

Gerade diese Kontroverse ermöglicht es, dass Für und Wider divergierender Konzepte nachzuvollziehen. Relativ unabhängig von dieser Debatte sind die Beiträge zum ÖBS. Nach Lektüre der Texte stellt sich mehr denn je die Frage, ob es einen in großem Umfang aufgebauten öffentlich geförderten Beschäftigungssektor als Alternative für mehr Beschäftigung überhaupt geben kann, wenn er nicht von unten wächst. Deshalb konzentriert sich die Debatte offenbar auch mehr und mehr auf Modellversuche und eine Überwindung der Mängel von ABM. Eine organische Einbettung in die Regionalökonomie ist offenbar bisher über konzeptionelle Ansätze nicht hinaus.

Auffallend ist der unterschiedliche Blickwinkel zwischen den verschiedenen Beiträgen des Buches: Während sich die einen auf mehr Effizienz und auf eine andere Organisation der regionalen Ökonomie konzentrieren und die Schaffung von Arbeitsplätzen nur indirekt eine Rolle spielt, gehen die andern zu kurzschlüssig von der Arbeitsplatzfrage aus und nehmen die strukturellen ökonomischen Fragen kaum in ihre Betrachtung auf.

Crossover: Regionales Wirtschaften als linke Reformperspektive. Westfälisches Dampfboot, Münster 2000, 29,80 DM.

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