Im Jahre 1999 hat bei der SPD, PDS und bei Bündnis90/Die Grünen die Debatte um neue Grundsatzprogramme begonnen. Den Anfang machte die PDS mit einem Parteitagsbeschluss im Januar, Bündnis 90/Die Grünen folgten im November 1999 auf einem Strategie- und Programmkongress in Kassel. Im gleichen Monat begann die SPD auf einem Parteitag in Berlin die Debatte. In den kommenden Jahren werden diese Parteien also nicht nur im politischen Tagesgeschäft, sondern auch auf programmatischen Gebiet konkurrieren. In der breiten Medien-Öffentlichkeit wird die Konkurrenzsituation weniger bemerkbar sein. Letztlich geht es um eine spezifische Art gesellschaftspolitischer Ausstrahlung. Denn naturgemäß ist der Streit um grundlegende gesellschaftliche Perspektiven bei Klien
Klientelen linker Parteien größer als bei anderen.Im Unterschied zu Wahlprogrammen, die in der öffentlichen politischen Auseinandersetzung nach wie vor eine relativ große Rolle spielen, hat sich der Stellenwert von Grundsatzprogrammen der Parteien deutlich relativiert. Im 19. Jahrhundert und auch noch im beginnenden 20. Jahrhundert spielten große Zukunftsentwürfe die herausragende Rolle für die Profile der Parteien, etwa die Programme der Arbeiterbewegung, vor allem das Kommunistischen Manifest. Heute ist der Stellenwert solcher grundlegenden alternativen Zukunftsentwürfe deutlich zurückgegangen. Das Leben ist lebenswerter geworden, und die religiöse Hoffnung auf eine völlig andere und bessere Welt steht nicht mehr im Vordergrund. Hinzu kommt, dass die Parteien in der heutigen modernen "Mediengesellschaft" relativ knappe und typische Botschaften vermitteln wollen. Das kann man weit besser über spektakuläre Papiere von dominierenden Einzelpersönlichkeiten, die auch noch "quer" zu Beschlusslagen der Parteien liegen. (Beispiel: Blair-Schröder-Papier).Bei relativ geringerer Bedeutung von Grundsatzprogrammen in Bezug auf ihre Außenwirkung haben diese ihre Bedeutung für die innere Identität der Parteien aber zum großen Teil behalten. Zukunftsentwürfe sind vor allem für die politische Linke nicht obsolet geworden. Nach wie vor sind sie "der Kitt", der die Mitglieder in hohem Maße zusammenhält. Dabei sind Grundsatzprogramme und die Diskussion um sie nicht das Gleiche.Die Begründungen der Parteieliten von PDS, SPD und Grünen für eine Neuaufnahme der Programmdebatten sind ähnlicher Natur. Es werden die dramatischen Veränderungen in der gegenwärtigen Welt beschworen, die neue Antworten auf neue Herausforderungen geradezu herausfordern. Diese Erklärungen sind zweifellos richtig, greifen aber zu kurz. Offenbar geht es zumindest für einen Teil dieser Eliten auch darum, die Schere zwischen Politik einerseits und den Aussagen des jeweilig gültigen Programms andererseits relativ gering zu gestalten. Außerdem spielen Motive eine Rolle, wie man durch neue Botschaften über eine Programmdebatte die jeweilige Partei in einem anderen, glänzenderem Licht erscheinen lassen kann, um darüber neue Wählerschichten zu erschließen. Ziel ist, durch Richtungsänderungen die Ausgangspositionen im Wettbewerb zu verbessern. Dafür spricht auch, dass parallel zu den Programmdebatten strukturelle Veränderungen in den Parteien angestrebt werden. Bei der SPD wurde das bereits durch die Installation eines Generalsekretärs, der faktisch als geschäftsführender Parteivorsitzender fungiert, vollzogen. Bei PDS und Grünen sind umfangreichere Strukturveränderungen geplant. Bei den Grünen geht es um die Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat und die Stärkung der Bundesebene gegenüber den Ländern. Bei der PDS werden die Aufhebung der Acht-Jahre Regelung für Parteifunktionen und die Installierung eines Parteipräsidiums diskutiert.In der SPD ist das Auseinanderfallen von Programm und Politik besonders groß. Das Berliner Programm von 1989 wurde nicht ansatzweise zur Grundlage der Politik. Im Unterschied zum Godesberger Programm von 1959, das zur Öffnung in die Gesellschaft beitrug, beendete das Berliner Programm der SPD eine politische Periode der Partei. Thomas Meyer prägte deshalb den Begriff vom "neuen Revisionismus" im Forschrittsverständnis der Sozialdemokratie. Alle Tendenzen lassen die Schlussfolgerung zu, dass sich die SPD - nach längerer Debatte - mit der Verabschiedung eines neuen Grundsatzprogramms als eine "neue Sozialdemokratie", ähnlich dem britischen Vorbild, darstellen wird. Angeblich "überzogene" kapitalismuskritische und fortschrittskritische Positionen von 1989 sollen überwunden und die Partei - wie beim Godesberger Programm - wiederum neuen Schichten geöffnet werden: die so genannte "Neue Mitte" - neue Schichten der wissenschaftlich-technischen Intelligenz bzw. UnternehmerInnen in den neuen Branchen, die bislang nur einen sehr geringen Zugang zur SPD hatten.Bei den Bündnisgrünen stellt sich das Problem weitaus gravierender dar. Nach dem Willen der Mehrheit der Führungskräfte, insbesondere von Joschka Fischer, soll die Partei sowohl programmatisch wie organisatorisch auf die Regierungsverantwortung eingestellt werden und sich mit einem neuen Profil gleichzeitig neuen WählerInnen öffnen, vor allem dem linken Rand der FDP-Wählerschaft. Programmatisch müssen dafür radikale Schnitte vorgenommen werden. Die Aufgabe bleibt für die Grünen deshalb schwierig, weil die Partei im Westen aus den neuen sozialen Bewegungen entstand und deren alternative Politikansätze zunächst übernahm, ob programmatisch festgeschrieben oder nicht. Und während bei der SPD der programmatische Wertekanon relativ allgemein bleibt (Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität), ist dieser bei den Grünen weitaus konkreter: gewaltfrei, basisdemokratisch und feministisch. Es wird für die Grünen weitaus komplizierter, diese Werte über Bord zu werfen und durch allgemeinere zu ersetzen.Bei der PDS geht es auch zehn Jahre nach dem historischen Scheitern des Realsozialismus in der Öffentlichkeit weniger um programmatische Positionen auf bestimmten Politikfeldern, sondern die "Demokratiefähigkeit" der Partei. Die Angriffe anderer Parteien mit dem Argument, die PDS sei eine "populistische Partei", haben sich deutlich verstärkt, während Vorwürfe, die PDS würde Positionen von der SPD, vor allem aber von den Grünen, abschreiben, wie sie noch 1992/93 gängig waren, heute kaum noch eine Rolle spielen. Aus den Umfragen ergeben sich für die PDS im Hinblick auf die Bewältigung verschiedener Sachprobleme immer noch geringe Kompetenzwerte. Es haben sich zwar Veränderungen im Osten vollzogen, insbesondere im Hinblick auf sozialpolitische Fragen. Gewählt wird die PDS aber noch immer in erheblichem Maße, weil sie Protest artikuliert und weil sie originär aus dem Osten stammt. Die Partei ist, bezogen auf einen großen Teil ihrer Mitglied- und Anhängerschaft, nach wie vor wesentlich stärker ideologiegeprägt als SPD und Grüne. Das zeigt sich u. a. auch daran, dass die Programmdebatte in erster Linie als "Bedrohungsdebatte" geführt wird. Im Mittelpunkt stehen bislang weniger die neuen Herausforderungen und die Suche nach entsprechenden Antworten, sondern die Bedrohung: Die Parteispitze wolle nun auch noch die letzten Reste des Sozialismus aufgeben. Sie führe die Debatte nur, um "hoffähig" zu werden. Die konservativen Kräfte (Kommunistische Plattform, Marxistisches Forum) werden als Gegenpol aufgewertet, sie werfen ähnliche Fragen, wie in der Programmdebatte 1992/93 bereits diskutiert, erneut auf (Grundlagen einer künftigen sozialistischen Gesellschaft, Eigentumsfrage, DDR-Geschichte).Fragen einer alternativen, mittelfristig angelegten Politikkonzeption der PDS, die Unterschiede zu SPD und Grünen deutlich machen, spielen nur eine untergeordnete Rolle. Diese Fragen sind jedoch für die Zukunft der PDS überaus wichtig. Die Partei hat auf Bundesebene noch nie wirklich und umfassend ihre alternativen Politikkonzepte verteidigen müssen. In Mecklenburg-Vorpommern steht sie auf Landesebene erstmals direkt vor dieser Aufgabe. Eine Analyse der Landeswahlprogramme für die Landtagswahlen im Jahre 1999 in einigen ostdeutschen Ländern offenbart immer noch deutlich Züge überzogener und in sich nicht stimmiger Forderungskataloge.Die PDS befindet sich bislang in einem Dilemma: Einerseits muss sie ihr inhaltliches Profil schärfen und dem Populismusvorwurf durch ein schlüssiges Konzept begegnen. Sie muss aber in der breiten Öffentlichkeit auch vermitteln, dass ihre Vorstellungen sowohl von SPD und Grünen unterschieden, aber gleichzeitig auch "machbar" sind. Das heißt auch, dass die PDS - wie keine andere Partei gefordert ist -, ihre Programmdebatte nicht isoliert zu führen, sondern themenorientiert in die Gesellschaft hinein. Sie kann Terrain gewinnen, weil SPD und Grüne in nächster Zeit programmatische Positionen räumen. Die Gefahren dabei sind nur: Die PDS könnte der Versuchung erliegen, die traditionalistischen Positionen der SPD zu übernehmen und doppelt draufsatteln. Das würde zum Strukturkonservatismus führen. Die Übernahme alternativ-grüner fundamentalistischer Positionen andererseits würde auch nicht viel einbringen, weil solche Positionen bei der PDS wenig glaubwürdig sind und sie die Politikfähigkeit der Partei nicht fördern würden.
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