Die Tür, die sich langsam dreht

Friedfertig Zum Tod von Carl Friedrich von Weizsäcker (1912 - 2007)

Carl Friedrich von Weizsäcker, Bruder des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, gilt zu Recht als einer der letzten bedeutenden Universalgelehrten. Er gehörte zu den führenden Atomphysikern der Welt, stellte die nach ihm benannte Weizsäcker-Formel für die Energiesubstanz der Atomkerne auf. Tatsächlich dachte er, wie er später zugestand, über die Möglichkeit der Entwicklung einer deutschen Atombombe nach. Aber "göttliche Gnade" habe ihn davor bewahrt, "das ausführen zu müssen".

Dennoch berief sich Einstein in zwei Briefen an Präsident Roosevelt 1939 und 1940 auf Weizsäckers Arbeit, die es nötig zu machen schien, Hitler mit einer eigenen Bomben-Entwicklung zuvorzukommen. Nach dem Krieg wurde Weizsäcker Hauptinitiator der "Göttinger Erklärung", in der 18 deutsche Atomphysiker jede eigene Teilnahme an einem Atomrüstungsprogramm ausschlossen.

Ursprünglich Befürworter der friedlichen Nutzung der Kernenergie zog Weizsäcker 1986 die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass die Kernenergie gesellschaftspolitisch unverträglich sei und eine Gefahr für geltende Verfassungsgründe bedeute.

Wachsenden Raum nahmen später seine Arbeiten zur Friedensforschung und zur pazifistischen Ethik ein. Berühmt wurde sein Vortrag "Friedlosigkeit als seelische Krankheit": "Friedfertig ist, wer Frieden um sich entstehen lassen kann. Das ist eine Kraft, eine der größten Kräfte des Menschen. Ihr krankhaftes Aussetzen oder Verkümmern, fast stets bedingt durch mangelnden Frieden mit sich selbst, ist die Friedlosigkeit als seelische Krankheit."

Weizsäcker hoffte, dass Hiroshima "den Angelpunkt einer langsam sich drehenden Tür der Weltgeschichte" bedeute. Zwar sage man noch, es gebe nationale Interessen, deren Schutz den großen Krieg rechtfertigen würde, aber niemand könne mehr im Ernst behaupten, dass Krieg zu diesem Schutz wirklich imstande wäre.

Weizsäcker forderte ein entschiedeneres Antikriegs-Engagement der Kirche und stieß den "Konziliaren Prozess" für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung an, der zu einer Reihe von internationalen und deutschen ökumenischen Veranstaltungen führte.

Noch 1995 zum 50. Jahrestag der Zündung der ersten Atombombe, appellierte Weizsäcker, zusammen mit zahlreichen anderen Forschern, an Frankreichs Präsident Chirac, auf die umstrittenen Atomtests auf dem Mururoa-Atoll zu verzichten. 1996 stoppte Chirac die Versuche.

Carl Friedrich von Weizsäcker wurde mit dem Großen Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband und mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.


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