Der Tote, die Politik und die Kunst

BiennaleBoykott 2014 Ein Flüchtling ist tot. Der Sponsor ist schuldig, wird boykottiert, tritt zurück. Politiker schäumen. Trotzallem, die 19te Biennale beginnt - Kunst auf der Kakadu Insel.

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Dem Hauptsponsor der 19ten Biennale von Sydney gehoert eine Firma, die ein Internierungs-Lager fuer Asylbewerber auf Manus Island, PNG betreibt. Fuer gutes Geld der Australischen Regierung. Im Lager kommt ein Mensch ums Leben. Niemand weiss genau wie oder warum.

Einige Kuenstler der Biennale of Sydney wollen wegen dieses ungeklaerten Todesfalls ihre Werke zurueckziehen. Der Hauptsponsor sei verantwortlich.

Ein Sprecher der Australischen Regierung droht: Kuenstler, die einen privaten Sponsor vergraemen, brauchen auch keine oeffentliche Foerderung. Basta.

Aufregung ueber den Toten und die Regierung in den Medien, die dem Sponsor schliesslich zu viel wird. Er tritt von der Leitung des Organisationskommitees zurueck.

Einige Kuenstler verweigern sich immer noch. Trotzdem, die 19th Biennale of Sydney ist schliesslich vor allem Kunst und wird eroeffnet. Mit Werken aus aller Welt.

Ein touristisches Grossereignis.
Fuer die kuenstlerisch Interessierten unter den taeglich ca. 5000 Passagiere der Kreuzfahrtschiffe gibt's eine weitere Attraktion in Sydney.

Nach einer Woche ist die politische Aufregung vergessen. Der tote Fluechtling ist immer noch tot, die Installations- und Performance-KuenstlerInnen der Biennale packen die Koffer. Die Kunst wird sich selbst ueberlassen. Gut so.

Noch einen Woche abwarten, bis auch wirklich alle verschwunden sind, dann reise ich, um die Mittagszeit, mit der Faehre nach Cockatoo-Island, einer Insel im Hafen von Sydney, der beliebtesten Location fuer kuenstlerische Gross-Events.

Die Kakadu-Insel war zuvor, bis 1981, eine Art Ausruestungs- Werft, wo die Motoren, Wellen, Schiffsschrauben und Turbinen der grossen Dampfer hergestellt und montiert wurden.

Gleich rechts vom Anleger der Faehre, steht eine Reihe http://www.heartofmeditation.com/image-files/oster-350.jpg fuenf Meter hoher Widerlager aus Stahl, dreiaeugig und mit Helmen, gleich hinter einem eilig verlassenen Camping-platz.

Zeugen einer Vergangenheit, wie die Stein-Koepfe der Osterinseln.
Die alten Kraene gibt es auch noch und Hallen mit den riesigen, staehlernen Drehbaenken. Flaschenzuege haengen von den den Eisentraegern herab. Eine Werkschau der http://allover-magazin.com/wp-content/uploads/2013/03/abb1-1024x789.jpgBloecke und Platten von Richard Serra wuerden hier nicht auffallen.

Die Insel ist als Industrie-Monument aufbereitet.

Wenn sonst nichts los ist, kann man die Beschreibung der Werkstaetten lesen und die schwarz-weissen Bilder der Arbeiter aus den 30er Jahren betrachten. Einige der riesigen Hallen stehen leer, die Waende stahlgrau, manche vom Rost angefressen.

Dieser Insel der industriellen Moderne wird in Abstaenden eine neue Austellung aufgesetzt, aufgepfropft, eingesetzt. Schwierig fuer die Neuen. Raeume in Museen oder Galerien sind vergleichsweise einfach zu bestuecken. Die Kakadu-Insel, verweigert sich, bleibt ein Raetsel.

Banksy war dort, vor zwei Jahren. Hat die Insel als verlassene IndustrieStadt gesehen und mit seinen Grafittis ueberwaeltigt. Andere sind gescheitert.

Genau darum ist es immer aufregend zu sehen, wie die Kakadu-Insel neue kuenstlerische Projekte traegt, ertraegt, veraendert oder nur zu Diensten ist.

Jetzt hat die 19th Biennale of Sydney ihre Chance, und ist, um es gleich zu sagen, auf mittlerem Niveau gescheitert.... ja, wenn nicht, ganz oben auf der Insel...

Aber erstmal einige Worte ueber das Unsaegliche.
30 Kuenstlerinnen und Kuenstler versuchen sich auf Kakadu. (Nein, ich nenne noch keine Namen.)

Installation reiht sich an Installation, Video folgt auf Video, Geraeusche und Toene. Wiederholung der Wiederholung von Wiederholungen. Kunst zum Mitmachen: ein Fitnesstudio, alles bewegt sich, alles dreht sich, pink und aufblasbar, lustig, lustig. (Drei Maschinen sind nach zwei Wochen kaputt.) Kunst als Puppenstube zusammengeklebt, putzig, Kunst als Wasserfall-Video mit Originalton, ohne den geringsten Spritzer.

Draussen Nieselregen. Graue Insel im grauen Hafen. Ich stiefele unterm Schirm an der gesprengten Naturstein Mauer vorbei, deren Teile in 100m Umkreis niedergegangen sind.

Ich habe keine Lust mehr. Trotzdem. Der andere Teil der Ausstellung ist oben auf der Insel. Erstmal durch den Tunnel gehen, dessen Nischen Banksy so genial ausgeleuchtet und bestueckt hatte. Jetzt nichts.

Dann, hinter der Osterinsel, den Weg hinauf, zu den kleineren Hallen, den kleinen Werkstaetten und zu den Steinen der Vor-Vergangenheit Anfang des 19.Jahrhunderts, die gerade wieder erscheint.

In Holzkisten brachte man widersetzliche Gefangene der Kolonie auf die Insel. Die brachen Steine und bauten damit die Kaserne der Bewacher und ihr eigenes Gefaengnis. Abends wurden sie wieder in die Holzkisten eingeschlossen.

Die Spuren der Meissel sieht man an den Felswaenden, das Gefaengnis, die Kaserne sind teilweise wiederhergestellt. Die Strafzellen fuer Wiederholungstaeter wurden gefunden und ausgegraben. Auch die engen Dunkelzellen, wenn auch das Auspeitschen nicht mehr bewirkte. Eine vorindustrielle englische Strafkolonie fuer die kriminelle Klasse Irlands und Englands, Fundament der Moderne.

Auch in dieser Umgebung gibt es Biennale. Ein Video aus dem Helikopter gemacht. Eine eilig abgeworfenen Installation in einem grossen grosser Raum: kleine graue Staebe auf grauem Grund in unterschiedlichen Mustern. Aha.

Dann aendert sich die Welt.

Eine langes Haus. Verdoppelte Waende. Die Kopie auf dem Holz distanziert vom Original. Auf beiden Seiten des Hauses. Auf die duplizierte Wand sind mittelgrosse Quadrate geschraubt. So kann das Alte, das Verborgene uebermalt werden, ohne es anzutasten. Das "Wie" ist beinah bedeutungslos: braun und schwarz und ineinander verwickelt. Christine Streuli.

Draussen, der Innenhof der alten Kaserne umgeben von niedrigen Haeusern. Ein Eingang. Ein Vorhang. Dunkelheit. Ein Video. Keine Erwartung.

Und ploetzlich bewegt sich nichts. Bis endlich ein Mann verkruemmt ins Bild schlurfthttp://www.biennaleofsydney.com.au/19bos/wp-content/uploads/sites/2/2013/10/lind_tone_play_2013-516x350.jpg und immer wieder sagt, dass die Vergangenheit in der Gegenwart ist und nicht verschwindet, immer in der Gegenwart, die Vergangenheit. Keine Distanz zur originalen Zeit habe.

Der Mann spricht Deutsch mit starkem Akzent. Er geht ueber einen Innenhof der von Mietskasernen umgeben ist. Im Hintergrund, eine grosse Uhr ueber dem Eingang zum Innenhof, ein Tuermchen auf dem Dach. Ein zweiter Mann steht am Rand, laessig an die Wand gelehnt.

Ein Video nach Woerten von Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Die Verzweiflung des letzten Jahrhunderts eingeschlossen von der des vorhergehenden.
Victoria Phil Lind hat nicht nur ihre beiden Protagonisten gerettet, sondern auch den Toten von Manus Island.

Am Rande der alten Kaserne, ein unscheinbares, verkommenes Haus. Zurueckgelassenes Geruempel in den Raeumen. Hinter dem Eingang, die lebensgrosse Kohleskizze einer sitzenden Frau, die eine Zigarette in der Hand haelt. OK.

Im letzten Moment sehe ich, dass von der Zigarette Rauch aufsteigt. Kraeuselnder, beweglicher Rauch. Im naechsten Raum stoesste der Schattenriss einer Frau immer wieder ein Lampe an. Wieder und Wieder. Und dann die Frau im Schaukelstuhl. Sie liest. Der Schaukelstuhl knirscht. http://www.heartofmeditation.com/image-files/leutenegger.jpg

In der Kueche schaut ein Junge zu.

Hinter einer verschlossenen Glastuer rauscht eine Dusche.

Videos und Zeichnungen. Keine Stimmen. Die Frau, der Junge scheinen auf das zu lauschen, was draussen vor dem Haus gewesen ist. Zilla Lautenegger.

Auf der Faehre zurueck nach Circular Quay sehe ich noch immer die doppelte Welt der Waende, das Viereck der gegenwaertigen Vergangenheit und das Jetzt im Rauch der Zigarette.
Nur drei Kuenstlerinnen brauchte es, um die 19th Biennale of Sydney auf der Kakadu-Insel von sich selbst zu befreien.

Auf dem sechs-stoeckigen Kreuzfahrtschiff im Hafen werden um diese Zeit die Drinks serviert.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Aussie42

Mauerberliner(West) bis 1996, 10 Jahre meditieren in Indien bis 2010, jetzt in Australien. Deutschland weit weg.

Aussie42

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