Die sechste Vernichtung des Lebens.

Das Anthropozen. Seit gut 3 Milliarden Jahren versuchen Erdbeben, Meteore, Supervulkane etc. immer mal wieder das Leben auf der Erde zu vernichtet. Jetzt beteiligen sich auch Menschen.

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(Die meisten Ideen dieses Beitrages habe ich beim australischen Sozial-Ethiker Clive Hamilton ("The Banality of Ethics in the Anthropocene") abgekupfert.)

Wir leben bekanntlich am Ende des Cenozoischen-Erdzeitalters (ceoconic age), das mit dem Einschlag eines Meteors begann, der zum Aussterben der Dinos und der Mehrzahl aller Lebensformen fuehrte. Das war bereits der fuenfte Versuch, das Lebens auf der Erde gewaltsam zu beenden.


Aber Leben gibt nicht so schnell auf.

Im Verlauf der folgenden 65 Millionen Jahre, waehrend des Paleogen, Neogen und des Pleistozen, hat sich das Leben langsam regeneriert.

Saeugetiere konnten sich weltweit ausbreiten, darunter die Gattung homo, dessen letzte Variante, Mensch, die Welt seit vielen Jahrhunderten dominiert. Das hatte allerdings fatale Konsequenzen.

Im Holozen (ca. 11.000 Jahre BCE) , mit der Domestizierung von Pflanzen und Tieren, begann der Mensch mit der die sechsten Vernichtung des Lebens. Spaeter, im Anthropozen, im Verlauf der industriellen Revolution, hat der menschliche Fortschritt die Ausrottung enorm beschleunigt.

Das Leben auf diesem Planeten ist heute einer einzigen Art, homo sapiens, auf Gedeih oder Verderb ausgeliefert. Das hat es in der langen Geschichte des Lebens auf dem Planeten noch nie gegeben. Menschen benutzen zudem ihre grenzenlose Macht ohne irgendwelche Skrupel.

Nicht-menschliches Leben muss im Anthropozen fuer Menschen essbar, brauchbar oder wichtig sein, sonst ist es bedroht. Leben, das dem Menschen in die Quere kommt, irgendwie gefaehrlich oder auch nur laestig ist, wird liquidiert.
Haeufig reicht menschliche Gedankenlosigkeit, um eine Lebensform zu auszurotten.

Naturschutz, Umweltschutz, rote Listen gefahrdeter Arten, Reservate etc. sind ehrenwehrte aber vergebliche Versuch, die schnelle Vernichtung des Lebens aufzuhalten.

Auch auf den Vorschlag von Thomas Piketty, Tiere nicht laenger als Sache und Eigentum zu definieren, wuerde nur wenig aendern.

Selbstverstaendlich: Artensterben ist ein natuerlicher Effekt der Evolution.
Der World-Wildlife-Fund schaetzt aber, dass die Rate des gegenwaertigen Artensterbens 1.000 bis 10.000 mal groesser ist, als es natuerlich waere.

Ganz genau weiss das niemand. Ist auch nicht erforderlich. Mathematische Genauigkeit schuetzt das Leben nicht.

Dafuer gibt bessere Methoden.

Die meisten Naturvoelker sehen und wuerdigen die Abhaengigkeiten aller Lebensformen.
Fuer Buddhisten ist die Gleichwertigkeit allen Lebens wichtig.
Hindus verehren nicht nur Kuehe sondern auch viele andere Lebewesen.
Jains versuchen alles tierische Leben, auch das geringste und kleinste, nicht zu verletzen.
Taoisten sehen das Verhalten vieler Lebewesen als Vorbild fuer Menschen an.

Perspektivenwechsel.

Nach 200 Jahre der anthropozentrisch-industriellen Hybris ist die Krise unuebersehbar. Klimaerwaermung, nukleare Bedrohung, Bevoelkerungswachstum und materielle Ungleichheit drohen die Menschheit zu vernichten. Nur die Menschheit?

Klimaerwaermung wird die gesamte Biosphaere aufheizen. Alle Lebensraeume, selbst die exotischen in der Tiefsee oder in unteren Erdschichten sind davon bedroht.

Die zunehmende Nutzung nuklearer Energie
wird mehr und mehr lebensfeindliche Strahlungen in die Biosphaere zurueckbringen. Hinzu kommt das wachsende Risko (raeumlich begrenzter) nuklearer Kriege.
Radioaktive Strahlung toetet nicht nur Menschen, sondern jede Lebensform.

Das Bevoelkerungswachstum und dessen sekundaere Folgen: Migration, Hunger, Seuchen und Buergerkriege zerstoeren oder verkleinern die Habitate nicht-menschlichen Lebens, dem alle Rueckzugsraeume abgeschnitten sind.

Die zunehmende materielle Ungleichheit unter den Menschen ist die vermutlich groesste Gefahr fuer das Leben. Die kleine Gruppe der Besitzende meint naemlich, jede "planetare" Katastrophe ueberleben zu koennen. Diesen Menschen, so muss man annehmen, kann die "sechste Vernichtung des Lebens" gar nicht schnell genug gehen.

Keine weiteren Beispiele.

"Leben" auf diesem Planeten war nie kuschelig. Fressen und gefressen werden sind die Triebkraefte der Evolution.

Mensch hat sich ausgeklinkt und ist zum vernichtenden Meteor geworden, der die Evolution beenden kann. Nur noch Mensch und sonst nichts. Die griechische Mythologie
nannte das eben Hybris, die von Nemesis, der Goettin des Untergangs bestraft wurde.

Diese Interpretation muss "Mensch" nicht teilen. Stattdessen koennte er die ethische Frage diskutieren, was Menschen berechtigt, die Welt anthropozentrisch zu beherrschen. Auch die Diskussion technischer Loesungen der gegenwaertigen Probleme waere populaer wie auch Vorschlaege fuer einen evolutionaeren Uebergang in eine "nachhaltige" Welt. Daneben sind auch apokalytisch-theologische Deutungen der gegenwaertigen Weltlage jederzeit gefragt. usw.

Das alles ist Menschenkram.

Aus der Sicht der "Betroffenen", ist die sechste Vernichtung Lebens durch den "Meteor Mensch" nicht mehr aufzuhalten.

Diese Metapher verfuhrerisch. Der Meteor leuchtet kurz, intensiv und strahlend am Sternenhimmel und verlischt. Living wild, dying young: das war die Menschheit! Toll.

Nur Schwarze Romantik? Gibt es Alternativen?

Um zumindest die beschleunigte Vernichtung der Arten im Anthropozen zu beenden, muesste die Menschheit 200 Jahre Fortschritt aufgeben.

Konzequenz? Millionen von Menschen wuerden innerhalb kurzer Zeit verhungern. Das hat Thomas Malthus bereits zu Beginn des 19.Jahrhunderts vorherberechnet.

Nicht-menschliches Leben wuerde davon profitieren. Doch das ist natuerlich kein Argument, um die Anzahl der Menschen zu halbieren.

Stattdessen hat Mensch seit 70 Jahren technische Systeme fuer den kollektiven Untergang in Betrieb, die laufend verbessert werden. Damit kann die sechste Vernichtung des Leben binnen weniger Stunden abgeschlossen werden.

Uebrigens (Klammer auf), dass keines dieser Suizid-Systeme bisher ausgeloest wurde, spricht nicht fuer menschliche Vernuenftigkeit. Dass die Systeme nicht beseitigt wurden, zeigt m.E. besser als 2000 Jahre Philosophie, die Erbaermlichkeit menschlichen Denkens. (Das ist etwas uebertrieben. Dennoch: Klammer zu.)

Laesst man den "grossen Knall" beiseite, ist es wahrscheinlich, dass Mensch weitermachen wird wie bisher.
Die Vollendung der sechste Vernichtung des Lebens auf dem Planeten kann noch 20, 50 oder 200 Jahre dauern. Menschliche Zeit spielt in der Erdgeschichte keine Rolle.

Trotz aller Tristesse, es gibt auch eine gute Nachricht: Die Menschen muessen sich um die Endlagerung ihres Atommuells ab sofort nicht mehr kuemmern!
Bis zur Regenerierung des Lebens auf dem Planeten, in dreissig bis sechzig Millionen Jahren sind unsere radioaktiven Abfallstoffe voellig ungefaehrlich geworden.


Notabene.

Alte Maenner neigen dazu, den eigenen Tod mit dem Untergang der Welt zu verbinden. Der Autor dieses Beitrages hat bereits das "biblische" Alter "three score years and ten" erreicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Aussie42

Mauerberliner(West) bis 1996, 10 Jahre meditieren in Indien bis 2010, jetzt in Australien. Deutschland weit weg.

Aussie42

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