Die Tragödie kennt kein Happyend.

Kassandras Welt. Dem Verderben der Biosphäre durch Klimaveränderung, Radioaktivität und Bevölkerungszunahme begegnen wir, den Helden griechischer Tragödien gleich, blind und aktivistisch.

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Doch ersteinmal ist Krieg.

Der ist immer aktuell. Konkret. Den Helden aller Epochen faellt immer nur das Gleiche ein. Die moerderischen Griechen im riesigen Holzpferd beispielsweise, heissen heute Special Forces.
Krieg dauert. 10 Jahre vor Troja, 10 Jahre in Afghanistan, Jahre in Schottland. Kriegsgoetter immer dabei. Wollen auch Spannung und Unterhaltung, wie die Teilnehmer, wie die Zuschauer. Bis der Krieg vorbei ist und die Beute verteilt.


Die lange Atem des Mythos und der Tragoedie.

Erfolg, Erfolg. In 16 Jahren, verspricht China, wird der Hoehepunkt der CO2 Produktion im Land erreicht sein. Danach geht's bergab mit dem Klima-Gas. 2046 ist das heutige Niveau also wieder ereicht! Die USA jubeln und versprechen, sich auch einzuschraenken.
Um wieviele Grad wird die Welt 2046 waermer sein als heute? 5 Grad, 8 oder 10 Grad? Keine Gletscher, weniger Baeume und Aecker, mehr Wuesten. Erfolg. Erfolg.
Endlich haben wir eine Zahl.

Der Mythos, Plot jeder Tragoedie, ist lange tot, abgehakt. Christliche Tragoedien, hatte der heilige Augustin verfuegt, sind unnuetz. Der Christos ist kein hochmuetig-schoener Apoll, im Nebenberuf Gott der Maeuse. Nein. Unser Jesus ist ein ganz, ganz lieber Gottessohn. Kein Grund mehr, sich schreckliche Szenen ueber Goetter und Menschen anzusehen. So Augustin.

Danach war 1000 Jahre Ruhe auf der Buehne.


10.000 Jahren spaeter ist Halbwertzeit. In den Endlagern ist die Strahlung um 50% gesunken. Wie die Erde dann aussehen wird, das haetten vielleicht die Goetter gewusst.
Jetzt, heute werden weitere Reaktoren gebaut. Wiederaufbereitung wird verbessert. Die Endlagerung auch. Die nukleare Energie ist absolut sicher. Alles was menschenmoeglich ist, wird getan.

Damals, in der Renaissance, als die moderne Zeit begann, war die Tragoedie wieder aufgetaucht. Doch Marlow, Shakespeare, Racine, Schiller und Hebbel konnten nur Zwischenspiele auffuehren lassen.

Und die Revolution von 1789, war das etwa keine Tragoedie? Es gab zu viele blindwuetige Feuerkoepfe, die am Ende in Koerben weggetragen wurden.

Und Katharsis, Erschrecken vor dem Molloch Revolution, Reinigung, Einsicht?

Nichts da. Weitere 150 Jahre Krieg.


Nein, keine Tragoedien mehr, nur noch buergerliche Trauerspiele. Trotz der endlosen Leichenfelder: niemals Katharsis, niemals Einsicht. Stattdessen weitere Kriege.

Am Ende des Mordens ist die Tragoedie nur noch Stichwortgemurmel fuer verzweifelte Ironie und absurde Comedy, fuer Krimis und action-videos. Happyend so oder so, Vollmich-Nuss oder Zartbitter, nie langweilig. Cool.

Die alten Menschen werden wieder gebraucht. Die Sterbehilfe muss auf Ausnahmefaelle begrenzt bleiben.
Die Geburtenrate in der Dritten Welt ist noch immer viel zu hoch. 2030 werden weitere 3 Milliarden Menschen auf dem Planeten leben. Das erfordert Planung, Vorausschau. 9,5 Milliarden Menschen wollen essen! Empfindlichkeiten koennen wir uns nicht leisten. Nach 2030 wird sich der Zuwachs der Weltbevoelkerung deutlich verringern.

Schon gut. Und jetzt?

Im Ruecken der troyanischen Helden des Euripides stand der Chor, der den Zuschauer den unausweichlichen Untergang verkuendete.

Im Ruecken der heutigen Helden, der Problemloeser und Garagen-Tueftler ist ein mythische Plot fuer die phantastische Tragoedie der Moderne aufgetaucht.

"Die Hybris des Machbaren, des permanenten Blicks nach vorn, hat alle menschlichen Grenzen ueberschritten."

Das ist Text ist des Chores.

Die Tragoedie entfaltet vor unseren Augen die grosse Zerstoerung, den Zusammenbruch des Fortschritts.

Alles Theater oder tragische Konsequenz, Notwendigkeit? Die Tragoedie kennt kein Happyend. Noch ist nur die Blindheit sichtbar.

Nachtrag.



Die blinde Seherin Kassandra, die Kriegsbeute Agamemnons, wartet vor der Burg in Mykene. Klytemnestra wird beide umbringen, Agamemnon zuerst und dann Kassandra, die ohnehin zu viel weiss. Klytemnestra will keine Zeugen beim Untergang ihres Clan.

Orest, ihr Sohn, wird den Vater raechen und die Mutter erschlagen. Er weiss, die Erynien werden ihm keine Ruhe lassen. Muttermord kann nicht gesuehnt werden. Dennoch.

Ein erschreckender Automatismus von Schuld, Mord und Verderben, mit dem Christa Wolf die griechische Tragoedie komprimiert und aktualisiert hat.
Darueber ist in der DDR und ausserhalb viel nachgedacht und geschrieben worden. Bis es zu spaet war.

Um uns zu troesten, haben wir die Begriffe gefaelscht.

Doch das Absaufen der Fluechtlinge im Mittelmeer ist nicht tragisch, sondern schrecklich und unverantwortlich. Der Tod einer Familie auf der Autobahn ist nicht tragisch, sondern grauenvoll und anklagend.
In jedem dieser Dramen waere ein Happyend moeglich gewesen. Wenn die EU endlich ihre Grenzen oeffnete. Wenn die Familie mit dem Zug gefahren waere.

Der moderne Untergangs-Mythos, den wir blind ausagieren, wird, wie die Orestia des Euripides, als Tragoedie in drei Teilen entfaltet. In Griechenland wurden sie nacheinander an einem einzigen Tag aufgefuehrt.

Kassandra stirbt bereits am Vormittag.



Die Anregung zu diesem Beitrag ist ein Artikel von Julian Meyrick im australischen Nachrichten-Magazin "The Conversation": "Tragedy is dead in Australia, long live laughter and wheather report."

http://theconversation.com/tragedy-is-dead-in-australia-long-live-laughter-and-weather-reports-34185?utm_medium=email&utm_campaign=Latest+from+The+Conversation+for+18+November+2014+-+2100&utm_content=Latest+from+The+Conversation+for+18+November+2014+-+2100+CID_26e5ed2d3580b0747b938eb6706a80fe&utm_source=campaign_monitor&utm_term=Tragedy%20is%20dead%20in%20Australia%20long%20live%20laughter%20and%20weather%20reports

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Geschrieben von

Aussie42

Mauerberliner(West) bis 1996, 10 Jahre meditieren in Indien bis 2010, jetzt in Australien. Deutschland weit weg.

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