Kalter Krieg: Sie wissen nicht, was sie reden

Die Russland-Phobie Die gegenwaertige propagandistische Aufruestung des Westens gegen Russland, erinnert an die aggressive, antikommunistische Rhetorik des Kalten Krieges.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Journalisten und Politiker warnen, wegen der Ukraine koennte ein neuer "Kalten Krieg" in Europa ausbrechen. Dieses Gerede zeigt vor allem eine fahrlaessige Verkennung des alten. Das ist nicht verwunderlich.

Als der "Kalte Krieg" Anfang der 90er Jahre vorbei war, wurden die militaerischen, politischen und sozialen Strategien der zurueckliegenden 40 Jahre nicht oeffentlich diskutiert.

Was war der "alte" Kalte Krieg?

Bis heute verbinden viele Menschen in Europa mit dieser Zeit vor allem persoenliche Erfahrungen. Im Kalten Krieg hatte die eine Seite Bananen, Mallorca-Urlaub und den Golf vor der Tuer. Die andere Seite hatte keine Bananen, gruene Orangen, den Trabant und mit Glueck einen Ferienplatz an der Ostsee. Dazu kamen natuerlich die kriegerischen "Zeichen": Korea-Krieg, Volksaufstaende in Berlin und Ungarn, Kuba-Krise, Mauerbau, Vietnamkrieg usw.. Das alles zusammen war der Kalten Krieg. So war's doch, oder?

Nein, so war's nicht. Der Kalte Krieg war ein nuklearer Krieg in Europa, der eher zufaellig nicht stattgefunden hat. Dieser Krieg haette 40 Jahre lang jederzeit, binnen weniger Minuten, beginnen koennen.

http://www.heartofmeditation.com/image-files/brief-history-of-buddhism-1.jpg

Die Soldaten haben diesen Krieg permanent geuebt. Die nuklearen "Sprengkoepfe" waren vor Ort. Die atomaren Minen an den Grenze verbuddelt. Die Zielpunkte der Atombomben waren programmiert. Die Bunker fuers Ueberleben der politischen Elite waren tief in die Felsen gegraben und bezugsfertig.

Fuer die Bevoelkerung gab es keinen Schutz. In den ersten beiden Tagen des Kriegs waeren ca. 50 bis 100 Millionen Menschen in Mittel- und Osteuropa gestorben. Die Mehrzahl bereits in den ersten Stunden.

Erst zu Beginn der 80er Jahre wurde ein begrenzter Einsatz von Nuklearwaffen erwogen (flexible Response), der aber durch Eskalation praktisch die gleichen Wirkungen wie die vorherige Strategie gehabt haette. (Hinzu kam der "overkill", die Interkontinental Raketen, die ausreichten, um die gesamte Menscheit mehrfach umzubringen.)

Das war die geheime militaerische Planung und deren "Kosten" in Europa, die nur ein kleiner Kreis von Politikern und Offizieren im Detail kannte und widerspruchslos akzeptiert. 40 Jahre lang.

Die ideologische Diskussion des Kalten Krieges

Ueber die konkreten Kriegs-Vorbereitungen wurde im Westen wenig geredet. Umso mehr ueber die aggressiven Kommunisten, die schliesslich die Teilung Europas herbeigefuehrt haetten. (Dass diese Teilung von Roosevelt, Churchill und Stalin 1943 in Jalta einvernehmlich verabredet hatten, wurde kaum erwaehnt.)

Nicht der geplante nukleare Krieg, sondern die politisch-militaerische Bedrohung durch eine unberechenbare Grossmacht wurde in Europa diskutiert. Die vielen Konflikte zwischen "Ost und West" seit Ende der 40er Jahre begruendeten und rechtfertigen bis heute den "Kalten Krieg", die permanente Aufruestung, die Ruestungsspirale.

Eine oeffentliche Diskussion der Vorbereitung des nuklearen Krieges gab es in West-Deutschland kaum. Die Initiative "Gegen den Atomtod" von Schriftstellern und Wissenschaftlern Ende der 50 Jahre wurde als linksintellektuellerVaterlandsverrat diffamiert. Die Demonstrationen gegen die Nachruestung Ende der 70er Jahre wurden von der Justiz niedergeschlagen. Die Friedensbewgungen gegen die amerikanischen Kriege lief ins Leere.

Angesichts dieser Vorgeschichte ist das gegenwaertige Gerede ueber einen neuen Kalten Krieg eine Aufforderung fuer Militaers und Politiker, erneut einen nuklearen Krieg in Europa vorzubereiten. Alle Beteiligten erwarten natuerlich, dass daraus wiederum "nur" ein Kalter Krieg entstehen koennte. Ein gefaehrlicher Trugschluss.

Warum gab es keinen "heissen" Krieg ?

Die bis heute wichtige Frage, warum der minutioes vorbereitete nukleare Krieg in Europa nicht irgendwann ausgeloest wurde, sondern ein Kalter Krieg blieb, ist bis heute nur teilweise geklaert.

Sicher, um ein zufaelliges Umschlagen in einen heissen Krieg zu verhindern gab's seit Ende der 50er Jahre Verabredungen (u.a. der heisse Draht) zwischen der SU und den USA.

Alle anderen Kriegsgruende wurden zum Teil durch die zu erwartenden riesigen Verluste und Verwuestungen neutralisiert. Ebenso wichtig war der Vertrag von Jalta. Diese Abgrenzung westlicher und oestlicher Einflusszonen und Rechte in Deutschland, wollte keine der "Siegerstaaten" durch einen Krieg gefaehrden, weil alle davon profitierten. (Die USA bis heute, wie die NSA-Affaere ans Licht brachte.)

Trotzallem der Atomkrieg war moeglich weil er vorbereitet war.

Einen neuen Kalten Krieg unbedingt verhindern

Der alte Kalte Krieg ist vorbei, doch das Gerede von Politikern und Medien ueber die russische Bedrohung Europa's im Baltikum, in der Ost-Ukraine, in Moldavien etc. ist nichts anderes als die Wiederholung der Anti-Kommunistische Propaganda vor 1991.
Fuer die amerikanischen Geheimdienst-Strategen von Stratfor ist die neue "Bedrohungen" durch Russland bereits Grund genug, eine erneute Aufruestung Europa's zu fordern. Aber auch die Deutschen wollen mehr Truppen an der "Ostgrenze" stationieren. In den westlichen Medien wird ueber die naechsten Annektionen Russlands spekuliert und was man dagegen tun muesse.

Wie kann man in diesem kriegerischen Getoese einen ruhigen Verstand bewahren?

Wichtig ist es m.E., keine Partei zu ergreifen, ausser fuer die Menschen in der Ukraine und anderswo, fuer das Ueberleben der Menschheit.
Das mag vemessen klingen oder grosskotzig, aber nichts weniger war im alten Kalten Krieg bedroht: das Ueberleben der Menschheit.

Auch mir erscheinen die Positionen Putins einleuchtender, als das Haltet-den-Dieb-Getoese im Westen.
Von dieser lautstarken Auseinandersetzung haben bisher nur die Waffenliferanten, die Militaers und Geheimdienste profitiert. Die werden jetzt ideologisch gebraucht, deren Geschaefte florieren. Auch dabei wird im Westen wiederum deutlich besser "verdient" als in Russland.

Trotzdem: Raushalten aus dem Ost-West-Gerangel!

Eine Alternative: Die Regionalisierung Europas!

Was dann? M.E. waere es wichtig, eine friedliche Zukunft fuer die Ukraine im Rahmen der Loesungen regionaler Konflikte in Spanien, Grossbritannien, Belgien, Italien suchen.

In Nationalstaaten mit Sprachgruppen, die sich ueber eigene Traditionen und eine eigenen Geschichte definieren wie in der Ukraine, wuerde eine Regionalisierung des Staates das friedliche Zusammenleben vereinfachen. Diese Einsicht hat sich noch nicht ueberall in Europa durchgesetzt. Aber das kommt noch.

Ich denke, das formale Recht der europaeischen National-Staaten auf territoriale Integritaet, eine "Erfindung" des 19. Jahrhunderts, sollte gegenueber dem regionalem Selbstbestimmungsrecht heute zuruecktreten.

Der Zentralstaat, den der Westen in der Ukraine beispielsweise praeferiert, fuehrt dort vermutlich in einen Buergerkrieg.

Aktuell geht's aber leider nicht um schoene Modell fuer eine multiregionale Zukunft Europas.

Es geht um Geld, viel Geld, dass nicht nur die Ukraine braucht. Auch ein autonomes Schottland oder Katalonien haette einen ungewisse oekonomische Zukunft.

Das steht aber nur - mit vielen Pros und Kontras - im Wirtschaftteil der Zeitungen, waehrend auf der ersten Seite ueber den russische Aggressor und den neuen Kalten Krieg schwadroniert wird.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Aussie42

Mauerberliner(West) bis 1996, 10 Jahre meditieren in Indien bis 2010, jetzt in Australien. Deutschland weit weg.

Aussie42

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden