Karl Marx in Leipzig, Dresden, Martin Place

Gefuehl und Politik Wiederholung war das Erfolgskonzept der Demos in Leipzig. Langfristig wurde daraus eine Tragödie. Das Demo-Revival in Dresden ist eine Farce. Marx hat wieder mal Recht.

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Die P**** Montagsdemo in Dresden generiert politisch-mediale Aufregung ohne Ende. Verstaendlich. Niemand kann so genau sagen, wer da eigentlich demonstriert und warum.

Das war in Leipzig '89 aehnlich und hat auch damals die Staatsmacht verunsichert.

Es gibt weitere Gemeinsamkeiten. In beiden Faellen dominieren starke Gefuehl. In Leipzig war es die Hoffnung, die (irrationale) Hoffnung auf ein gluecklicheres Leben im Westen, ohne DDR. Das konnte ich damals niemandem auszureden. Alles wuerde bleiben wie es war, nur viel besser, meinten nicht nur die Demonstranten.

Jetzt in Dresden geht wieder um ein Gefuehl, diesmal um die Angst.
In Leipzig war die Glueckserwartung noch verstaendlich. Die Mehrzahl der Teilnehmer kannten den Westen schliesslich nur aus dem Fernsehen.
Die Angst in Dresden ist nicht nur unbegruendet, sondern auch laecherlich.

Die Demonstrationen in Leipzig fuehrten letztendlich zur Tragoedie der DDR-Uebernahme.

Die gegenwaertige Wiederholung der MontagsDemos, im "Tal der Ahnungslosen" ist eine xenophobe Comedy-Serie.

Soweit so uebersichtlich.

Man kann diese Einschaetzungen pauschal oder im Detail kritisieren. Der Vergleich trifft m.E aber die mentale Befindlichkeit der Demonstranten in Leipzig (wo ich zweimal teilgenommen habe) wie auch der Demonstranten in Dresden, die ich nur aus den Medien kenne.

Aber das ist nicht alles.

Damals in Leipzig "beherrschte" der Ost-West-Konflikt, der Kalte Krieg, die Welt.
Der Kontext der Dresdner Demonstrationen ist der Nord-Sued-Konflikt, genauer der offensichtliche Krieg der ersten Welt gegen die kulturell-oekonomischen Ansprueche der dritten Welt, insbesondere der Muslime.

An dieser Stelle kommt Australien in Sicht, die Geiselnahme am Martin Place in Sydney.

Die australische Regierung versucht seit Jahren, Bootsfluechtlinge aus der Dritten Welt abzuschrecken. Inzwischen wird die Marine eingesetzt. Die Boote sind gestoppt. Aber es gibt viele, die schon frueher gekommen sind, viele aus islamischen Laendern, die allesamt von der Murdoch-Presse mit Misstrauen gesehen werden.

Die schwarze Fahne im Schaufenster des Cafe's am Martin Place reichte, um aus dieser Geiselnahme politisch-medial einen Terrorangriff zu machen.

Der Taeter wollte zwar "nur" gegen die (aus seiner Sicht) ungerechte Behandlung durch die australische Justiz oeffentlich protestieren. Das war schnell klar. Egal. Terrorangriff passte besser ins polit-propagandistische Konzept und so wurde die Aktion auch durchgezogen.

Am Martin Place in Sydney ist die xenophobische Farce der ersten Welt in eine Tragoedie umgeschlagen.

Und das bringt uns zurueck nach Dresden. Diese Montagsdemos sind, wie damals in Leizig, "rohes gesellschaftliches Material" das politisch "geformt" werden kann. 1989/90 lief das grob gesehen so:

Die Wiedervereinigung mit der DDR wurde zunaechst als Konfoederation vorgeschlagen, dann als Anpassungsprozess demokratischer Regierung geplant, schliesslich als Uebernahme durchgesetzt. Das war dann der Anfang vom Ende des Kalten Krieges.

Heute, im Kampf der ersten Welt gegen die Fluechtlinge aus der dritten Welt, wurden in Europa bisher nur buerokratische Mauern gebaut. Die reichen offensichtlich nicht aus, um den demonstrierenden Menschen in Dresden die "Angste" zu nehmen.

Eine haertere Abwehr der Fluechtlinge ist aber bisher politisch nicht durchzusetzen.

Die Versuchung, das "rohe politische Material" aus Dresden fuer eine Verschaerfung zu nutzen ist offensichtlich gross.

Herr Gabriel will den "Dialog" mit den Menschen in Dresden, will sich deren Aengste annahmen.

Die AFD nimmt die Geiselnahme in Sydney als Aufforderung, die Dresdner Demonstranten ernster zu nehmen. Voila.

Die Konservativen wabern irgendwo dazwischen.

Und nun?

Man kann den Demonstranten in Dresden ihre irrationale Angst nicht ausreden. Verbote? Gegendemos? Polizeieinsatz? Vielleicht koennte eine "chinesische Loesung" funktionieren.

Damals in Leipzig ist die DDR-Fuehrung vernueftigerweise davor zurueckgeschreckt, wie in Peking, Militaer gegen die Demonstranten einzusetzen.

Die heutige "chinesiche Loesung" saehe anders aus.

In Hongkong gingen im Sommer tausende Studenten mit politischen Forderungen auf der Strasse. Mit einer Mischung von Verboten, Gespraechsangeboten und dem Spiel auf Zeit wurden die Demonstrationen nach mehreren Monaten beendet.

Man mag das bedauern oder begruessen, die neue "chinesische Loesung" ist aber zweifellos menschenfreundlicher als die alte.

Und im Vergleich mit den "Revolutionen" im "arabischen Fruehling" oder in der Ukraine ging's in HK eher friedlich zu.

Die entscheidende Frage ist also nicht, wie man die xenophobischen Demonstrationen in Dresden beenden kann. Das ist moeglich.

Wichtiger ist, ob die politische Kaste Deutschlands der Versuchung widersteht, des "rohen gesellschaftliche Materials" aus Dresden in eine schaerfere Auslaenderpolitik umzuwandeln.

Abwarten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Aussie42

Mauerberliner(West) bis 1996, 10 Jahre meditieren in Indien bis 2010, jetzt in Australien. Deutschland weit weg.

Aussie42

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