"KI" als Aufrüstung im Cyber-Krieg

Sicherheit Der Cyber-Krieg hat längst begonnen. Mueller ermittelt. Die Kriegsparteien dämonisieren die Gegner, kaufen neue Computer und Leute. Könnte KI den Cyber-Krieg entscheiden?

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Foto: Kirill Kudryavtsev/AFP/Getty Images

Clausewitz meinte, im Kriege wäre Verteidigung die erfolgreichste Strategie. Das kann man bezweifeln. Doch im Cyber-Krieg hat Clausewitz bisher Recht.

Im unendlich großen Cyberspace haben Individuen und Organisationen ihre "Claims" abgesteckt, mit Daten und Programmen gefüllt. Statt mit Schützengräben werden die "Claims" mit Pins oder Passwörtern gesichert und gegen jeden Eindringling kryptographisch verteidigt .

Alle heutigen Abwehrsysteme in der Datenverarbeitung, vom Bankkonto über die Bitcoins bis zur Alarmierung und Steuerung strategischer Atomraketen verwenden das mathematische RSA-Modell zur Verteidigung ihrer "Claims".

Diese kryptographische "Barriere" ist (grundsätzlich) simpel. Zwei große Primzahlen (mit mehr als 100 Stellen) werden multipliziert, das Ergebnis ist der Code. Um den zu "knacken", müsste man zumindest eine der Primzahlen ermitteln. Analytisch geht das nicht sondern nur mit systematischem "Ausprobieren". Selbst die größten Rechnern brauchen dafür Tage.

Trotzdem, die "Feinde" versuchen unablässig in "unsere" Systeme einzubrechen. Manchmal, eher selten, gelingt das. Meist scheitern die "Feinde". Bankkonten und Atomraketen sind sicher. Trotz aller Angriffe im Cyber-Krieg: die Verteidigung steht! Noch.

Könnte ein Computer mit künstlicher Intelligenz die RSA-Barriere überwinden?

Von den Hardware-Firmen wird zwar versucht KI in den "Markt zu drücken", doch die "Branche"glaubt nicht an den baldigen Einsatz von KI, weder im Alltagsgeschäft noch als "Wunderwaffe" im Cyber-Krieg.

Das zeigt u.a. eine aktuelle Umfrage zur Entwicklung und Anwendung von KI-Projekten in kommerziellen Rechenzentren. Nur 40 Prozenten der Befragten 300 Software-Entwickler sind an KI-Projekten "irgendwie" beteiligt. Zudem wird KI eher für die Optimierung herkömmlicher Anwendungen eingesetzt. "Lagging in ai? Don't worry it's still early" schrieb eine online Fachzeitschrift für technische Trends bei Grossrechnern. Die befragten Mitarbeiter in den Rechenzentren kennen KI natürlich. Aber Geld verdienen kann man mit KI offensichtlich noch nicht.

Derzeit können eher Journalisten mit Grusel-KI Geld machen.
Das breitere Publikum faszinieren, wie es scheint, vor allem militärische KI-Killer-Robotore. Im digitalen Freitag letzter Woche beispielsweise schrieb Thomas Wagner einen aufgeregten Artikel: "Mit Vorsicht zu geniessen. Künstliche Intelligenz. Wer Killerroboter verhindern will, sollte nicht auf Elon Musk setzen."

Gut, gut. Ersteinmal entspannen und nachdenken.

Einzelne militärische Roboter wird man sicher nicht mit künstlicher Intelligenz ausstatten. Das wäre viel zu teuer. Die werden, falls es sie jemals geben sollte, wie selbstfahrende Autos, an der "langen Leine" eines Grosscomputers hängen. Weder die Autos noch die Schiessmaschinen sollten sich ihr Ziel selbstständig aussuchen dürfen, oder? Wer würde sich sonst in einen militärischen Gefechtsstand oder ein selbstfahrendes Auto setzen?

Abgesehen von KI als dankbarem Medienthema, ist das Konzept vor allem für die Grundlagenforschung interessant.

Der Proto-Typ einer KI.

Das Oak Ridge National Lab, das u.a.vom US-Militär finanziert wird, hat den Proto-Typ einer KI-Maschine vorgestellt, die die Grundlage des menschlichen Denkens, die Mustererkennung simuliert.

Die Arbeitsgruppe von Thomas Potok verwendet einen "normalen" Titan HPC (High-Performance-Computer), der die erste Stufe der Mustererkennung macht und als erste ("Realitäts"-) System-Simulation ausgibt.

Auf einer der ersten kommerziellen Quantum-Maschinen von USC und Lockheed (einer D-Wave 2x mit 1000 qbits), die wesentlich schneller arbeitet als ein HPC, werden die erste Simulationen und deren "Muster" durch vielfältige Vergleiche und Abgleichungen perfektioniert. So entsteht ein weitere, perfektere Simulation der Realität, die u.a. die dem Modell zu Grunde liegenden Daten reproduzieren kann.

Die neuromorphe Maschine von Oakridge kann der Simulation eine "temporale Komponente" hinzufügen, dass heißt, man erzeugt die Vergangenheit und die Zukunft der simulierten Realität und kann sie miteinander "abgleichen" (d.h. sich "erinnern" und "vorhersehen") .

Könnte diese KI-Maschine die kryptographische Sicherung von Computer durchbrechen?

Diese Frage ist wichtig – und unbeantwortet, weil es die beschriebene KI-Maschine noch nicht gibt. Und ob es diesen KI-Proto-Typ jemals geben wird ist offen. Inzwischen ist nämlich die zweite Stufe der Maschine, der Quantum-Computer deutlich wichtiger geworden, als das Gesamt-Modell.

Quantum-Maschinen könnten nämlich auf Grund ihrer Schnelligkeit den RSA-Code "knacken", d.h. die kryptographische Barriere jedes heute vorhandenen Computersystems durchbrechen. Gleichzeitig könnten sie neue quantenmechanische Verschlüsselungen erstellen, die auch Quantum-Computer nicht mehr "knacken" können. (Wie oft bei neuen Technologien, eine Hase und Igel story.)

Es gibt aber zwei Probleme.

Leider sind Quantum-Maschinen im Vergleich zu herkömmlichen Rechnern noch zu ungenau. Während normale HPC eine Fehler-Wahrscheinlich von 10-24 haben, liegt sie bei Quantum-Rechner 10-4. Diese "decoherence" durch Quantum_error_correction zu verringern wird derzeit versucht. (Die Fehler-Unterschiede zwischen den QC-Technologien lass ich weg.)

Wichtiger ist, ob die in Oakridge (und bei der NSA) eingesetzte D-Wave (letzte Version 2000q) überhaupt ein Quantum-Rechner ist. Zunächst gab's viel Skepsis.

Es stellt sich heraus, dass der D-Wave als Quantum-Computer nur für bestimmte Anwendungen geeignet ist, vor allem für Simulationen(wie im KI-Modell) und beim "deep learning". Ein "general-purpose" (für alles anwendbarer) Quantum-Computer ist der D-Wave nicht. Den aber bräuchte man, um den RSA-code zu "knacken".

Die Schätzungen, wann es eine hinreichend grosse "general purpose" Quantum-Maschine geben wird, reichen von wenigen Monaten bis zu mehreren Jahrzehnten. Ein "optimistischer" Experte, Paul Teich, meinte vor kurzem, "We will be surprised if we don’t see systems with 50 or more general-purpose qubits in 2018." Man wird etwa 100 mal so viele qbits brauchen, um die heutigen RSA-Codes in einem akzeptablen Zeitrahmen zu "de-faktorieren". Eine überschaubare Aufgabe.

Die Entwicklung ist also bedrohlich. Es könnte sein, dass wiederum einer Technologie gearbeitet wird, die mit der "Atombombe" oder der Weltraumfahrt vergleichbar ist.

Übrigens, geheim ist das alles nicht!

Es gibt viel Information zum gegenwärtigen Entwicklungsstand in den USA und zur allgemeinen Entwicklung der Technik weltweit.

Neben den USA arbeiten Russland und China zweifellos an der Quantum-Technologie. Die dauernden Angriffe der USA auf die Cyber-Einmischung Russlands auf Trumps Wahl, könnten u.a. auch ein Hinweis sein, dass Russland bei der Entwicklung von Quantum-Computern einen Vorsprung hat. Schliesslich wird behauptet, die Russen hätten tausende amerikanischen Computer manipuliert. Eine erstaunliche Leistung für herkömmliche Computer.

Auch China ist vermutlich den USA voraus, weil es seit zwei Jahren darauf verzichtet, die Liste der 500 grössten Computer anzuführen. Man braucht die ganz grossen "Kisten" nicht mehr, um die Quantum-Technologie voran zu treiben.

Europa und Japan spielen im "Rennen" um den "general purpose" Quantum-Computer keine grosse Rolle.

Der Erste Preis in diesem Wettlauf ist sehr hoch.

Eine Organisation die den ersten grossen general-purpose Quantum-Computer hat, könnte alle weltweiten Computersystem "öffnen" und beliebig manipulieren. Eine Horror-Vorstellung, nicht nur für Bank-Manager und Generale.

Warum wird über diesen Cyber-Wettlauf kaum geschrieben?

Leicht verständlich. Bei der Computer-Anwendung von Quanten-Mechanik gehts um Mathematik, Physik und Informations-Technologie. Solche Themen mögen weder Journalisten noch das breitere Publikum. Die Warnung vor wildgewordenen KI-Roboter ist doch wesentlich attraktiver...

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Geschrieben von

Aussie42

Mauerberliner(West) bis 1996, 10 Jahre meditieren in Indien bis 2010, jetzt in Australien. Deutschland weit weg.

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