Mensch-Experiment der Evolution: gescheitert?

Selbstvernichtung jetzt! Nach 2 Millionen Jahren hat die Gattung homo ihr ökologisches Schicksal endlich selbst in der Hand. Wir sind Naturgewalt! Hat homo sapiens die Welt jetzt voll im Griff?

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Stammbaum der Gattung "Homo". "Sapiens" bei 0!

Vulkane, Erdbeben, Wirbelstuerme, Tsunamis sind unberechenbare Naturgewalten, die fuer Menschen oft katastrophale Auswirkungen haben.

Die gegenwaertigen Klimaveraenderungen zeigen auch den Menschen als "Naturgewalt". Menschliche Aktivitaeten haben die chemische Zusammensetzung der Atmosphaere veraendert, den Weltmeeren tonnenweise Giftstoffe beigemischt und Sauerstoff entzogen. Menschen haben eine neue Warmzeit ausgeloest.

"The human imprint on the global environment has now become so large and active that it rivals some of the great forces of Nature in its impact on the functioning of the Earth system."

(Der menschliche Einfluss auf die globale Umwelt ist jetzt so gross und aktiv, dass er das Funktionieren des "Systems Erde" wie die grossen Naturgewalten beeinflusst.)

Seit Jahrhunderten wird versucht, Naturgewalten durch technische "Werkzeuge" zu baendigen, um Katastrophen zu verhindern.

Diesmal geht's nicht um Deiche, erdbebensichere Gebaeude oder Seenotrettungskreuzer, sondern um die Begrenzung der weltweiten Temperatursteigerung auf 2%. Waermer solls nicht werden, sonst ist die Klimakatastrophe da. Sagen die Computersimulationen. Voraussetzung waere eine massive Verringerung der Verwendung von Kohle und Oel. Das ist zwar unbestritten aber ziemlich unbeliebt.

Die Erfahrung zeigt auch, dass Menschen moeglichen Naturkatastrophen trotzig die Stirn bieten und Haeuser am Vulkan oder zu nah am Wasser bauen und dann im Orkan segeln gehen. Dazu passt, dass immer noch megatonnenweise CO2 in die Atmosphaere geblasen wird.

Die Absurditaet des menschlichen Umgangs mit Naturgewalten ist offensichtlich. Und wenn nicht alles taeuscht, wird sich daran auch in Zukunft nichts aendern. Der naechste Vulkanausbruch kommt bestimmt, der naechste Hurrican, die naechste Tsunami. Und dann ist wieder niemand vorbereitet.

Und in den kommenden 10 Jahren wird die Klimaerwaermung (um 2% oder mehr) die fuer Menschen geeigneten Lebensraeume einschraenken. Cool bleiben, meint die FAZ, obwohl die katastrophalen Folgen vorhersehbar sind : Hunger, Kriege, Migration, Seuchen, Massensterben.

Dieses holzschnittartige Selbstvernichtungs-Szenario der Menschheit ist selbstverstaendlich heftig umstritten, wird manchmal schlicht geleugnet. Doch darum darum geht's mir nicht.

Mensch waere nicht Mensch, haette er nicht laengst Plaene entwickelt, um der Klimakatastrophe zu begegnen.
Es gibt derzeit vier Strategien.

Plan A: Weitermachen wie bisher und auf internationalen Konferenzen globale Klima-Vereinbarung beschliessen.

Plan B: Durch die Umstellung auf ein nachhaltiges Leben und Wirtschaften ohne fossile Brennstoffe die Klimakatastrophe vermeiden.

Plan C: Durch "geo-engeneering" die Wirkungen menschlicher Aktivitaeten auf das Klima zu neutralisieren.

Plan D: Wenn nichts funktioniert, wird die zerbrochene Biosphaere per "earth-space-craft" verlassen.

Plan A und B , "Globale Vereinbarungen" wie auch die "Umstellung auf ein nachhaltiges Leben" sind weltweit kaum durchzusetzen und wuerden den Klimawandel nicht stoppen. In beiden Faellen mussten durch "geo-engineering" zusaetzlich Klimagase aus der Atmosphaere entfernt werden, um die Biosphaere zu stabilisieren. (Die Erwaermung ist bereits zu weit fortgeschritten.)

Die technischen Methoden, die fuer Plan C, "geo-engineering" eingesetzt werden koennen (Beispiel: Duengen der Ozeane, damit mehr Seegras waechst, das CO2 absorbiert), haben jedoch Nebenwirkungen, die man weder vorhersehen noch abschaetzen kann. Dennoch wird Mensch sich wohl auf dieses Vabanque-Spiel einlassen.

Sonst bliebe eben nur Plan D, die zerstoerte Biosphaere des Planeten hinter sich zu lassen und mit riesigen, autarken Welt-Simulations-Raumschiffen mit jeweils ca. 2000 Menschen an Bord, mehrere Generationen lang im Weltall nach einer neuen Erde zu suchen.

"Schoene" Plaene. Menschen waren allerdings noch nie sonderlich erfolgreich, Naturgewalten zu "baendigen". Auch die "Selbst-Baendigung" der Naturgewalt Menschheit ist daher unwahrscheinlich.

Die Aussicht auf Katastrophe und Selbstvernichtung scheint idiotischerweise attraktiver.

Das gab es schon einmal, im Kalten Krieg.
Damals war die Menschheit jahrzehntelang immer nur einen und einen weiteren Knopfdruck von der Selbstvernichtung entfernt.

In wenigen Minuten haetten wir mehr Staub in die Atmosphaere geschleudert als jeder Vulkan oder Meteor. Nur sehr wenige Menschen haetten die jahrelange Dunkelheit und die Verstrahlung ueberlebt. Die Mehrzahl aller Tiere auch nicht.

Alle heissen Draehte, roten Telefone, alle Bunkerbauten und Vertraege haetten den Untergang bestenfalls verzoegert.

Dennoch hat dieses Schreckens-Szenario keinen weltweiten Widerstand produziert, sondern die erfolgreiche Hollywood-Komoedie "Wie ich lernte die Bombe zu lieben".
Kein Wunder, dass trotz aller geopolitischen Verschiebungen diese "Maschine" aus dem Kalten Krieg noch immer einsatzbereit ist.

Rational ist das Ganze nicht mehr zu verstehen. Warum hat sich die Menschheit in eine Grenz-Situation manoevriert, die ihre Selbstvernichtung moeglich, wenn nicht wahrscheinlich macht?

Der Untergang von Arten und Gattungen ist nichts Besonderes in der Evolution. Doch nur die Art homo sapiens kann sich intentional selbst vernichten. Das ist einzigartig.

Man kann diese artspezifische Faehigkeit ontologisch damit erklaeren, dass Mensch bewusst seine gefaehrlichen technischen Faehigkeiten freigesetzt hat. Man kann das begruessen. Doch die Mythen in aller Welt haben vor diesem Schritt gewarnt.

Christen haben mit dem "Wissen wollen" das Paradies verloren.
Fuer Buddhisten resultiert menschliches Leiden aus der Gier, dem Haben wollen, dem Wissen wollen.
Taoisten fordern auf die Einmischung in weltliches Handeln zu verzichten.

Die Menschen in den "aufgeklaerten" Gesellschaften haben diese Warnungen ueberhoert. Haben letztendlich, im Anthropozen, ein kapitalistisches System des Haben muessens, des Wissen muessens, des Geldes und der Gier geschaffen. Dieser Weg ist selbstzerstoererisch. Wir wissen das seit langem.
Homo sapiens, der letzte Vertreter des Gattung Homo hat sich in eine Sackgasse der Evolution manoevriert. Das Experiment mit einem selbstreflexiven Lebewesen, dem Menschen, ist gescheitert. Ende.

Man kann die Faehigkeit der Menschheit zur Selbstvernichtung aber auch weniger metaphysisch betrachten.

Optimistisch gesehen geht's um die ultimative Herausforderung der menschlichen Vernunft, die drohende Selbstvernichtung zu vermeiden. Klingt prima. Doch nur beim ersten Hoeren.

Zu den praktischen Konsequenzen dieser Alternative nur einige Anmerkungen.

Mit Blick auf die Realitaet ist unschwer zu erkennen, dass das Anthropozen, d.h. der gesellschaftliche und technische "Fortschritt" der letzten 300 Jahre die Selbstvernichtung ermoeglicht hat.

Das Anthropozen muss daher schnell beendet werden und eine "andere Gesellschaft", wie sie Michael Jaeger im Detail beschrieben hat, waere zu gruenden.

Doch koennen wir also unsere Zivilisation aufgeben oder zumindest in Frage stellen fuer den universellen Konsens, auf die Selbstvernichtung zu verzichten? Mit den bisherigen politischen Methoden ist das sicher nicht zu erreichen.

Ist die Menschheit also faehig, in letzter Welt-Sekunde ihren Untergang zu vermeiden?
Ich hoffe auf ein happyend, doch wir sind hier nicht im Kino.


Anmerkung:
Man die Angelegenheit natuerlich auch auf den Kopf stellen (oder vom Kopf auf die Fuesse, wem das lieber ist.)
Wir koennten versuchen, die Faehigkeiten, die wir fuer die Entwicklung der Selbstvernichtungs-Maschine eingesetzt haben, auch fuer die Rettung vor dieser Maschine zu benutzen. Ist doch ein guter Gedanke!

Wird schon klappen, dass wir uns an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Das waere doch gelacht!

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Geschrieben von

Aussie42

Mauerberliner(West) bis 1996, 10 Jahre meditieren in Indien bis 2010, jetzt in Australien. Deutschland weit weg.

Aussie42

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