Push und Pull, Slums und die Damen des SV96

Sommer der Migration. Der Vorschlag, die 71 von der Autobahn ins Meer zu kippen, zu den unsichtbaren Toten, ist eine rabenschwarze Satire. Kann man ohne Zynismus die Migration kommentieren?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Aus der Ferne betrachtet, ist die Deutsche Migranten Debatte absurdes Gequatsche und Volksspektakel. Egal wer gerade am Reden ist.

Die politischen Knallchargen versuchen mit verbalen Platzpatronen das Publikum zu beeindrucken. Die schwarz-weiss-roten FeuerWerfer und die FeuerLoescher der Guten kaempfen um die Top-Meldungen der Medien. Die wiederum werfen nachdenkliche Plattitueden unters Volk. Kamelle, Kamelle.

Zuruecksetzen bitte, aufs erste Kaestchen. Aufregung auf Null. Ein anderer Anfang.

Die Mitte der Gesellschaft ist gespalten, heisst es. Ist das so?

Ein privates Beispiel aus A******, nass-graues Norddeutschland.

Der oertliche Sportverein von 1896, muss seit Wochen ohne die Bodengymnastik seiner Damenabteilung auskommen, weil die Turnhalle als Unterkunft fuer "Asylanten" dienen muss.

Die inzwischen hueftsteifen Damen schimpfen natuerlich, wenn abends im Fernsehen eine weitere Turnhalle mit Feldbetten fuer Fluechtlinge aus Syrien gezeigt wird.

Und jetzt hat die Frau Merkel auch noch gesagt, dass die alle in der Turnhalle bleiben duerfen.

Bei den 96ern rumort es betraechtlich.

Sportunterricht wird's im Winter gar nicht mehr geben, sagt die Turnschwester und Lehrerin der lokalen Mittelschule, am Telefon.
Die Meinungen im Lehrerzimmer sind halbe halbe, sagt sie, das gabs schon lange nicht mehr.

Die Jungschen wuerden am liebsten immer mehr Asylanten aufnehmen.
Der ausgefallene Sportunterricht interessiert die gar nicht. Die Turnschwester ist empoert.
Sollen die Schwatten aus der Turnhalle doch bei denen in der Wohnkueche schlafen. Die Vorsitzende der Damenabteilung des SV96 laechelt milde.

Ein absurder Dialog, den Medien jedoch als "oeffentliche Meinung" gierig kolportieren wuerden. Doch die braven Syrer halten durch, schreibt der Spiegel mit Tremolo.

Die "Titanic" kann den Tiefsinn der ueberregionalen Kaeseblaettchen derzeit nicht toppen. Schwierige Zeiten.

Und dabei ist alles so einfach.

Migration, dass wissen Demographen seit Jahrzehnten, hat zwei Ursachen, die man kurz als "pull" und "push" Effekte bezeichnet.

Die "push" Ausloeser sind offensichtlich.

Klimaerwaermung, Bevoelkerungswachstum und Bereicherung der Maechtigen haben Millionen von Menschen in allen Teilen der Welt die Zukunft genommen.

Missernten, weil der Regen ausbleibt, Inflation und Korruption. Das Leben ist nicht wiederzuerkennen.

Hoffnungslos macht das die einen, die Alten. Wuetend die anderen, die Jungen. Ein explosives Gemisch.

Guided Missiles, F-16 Bomber und anderes Kriegsgerat sind dann die Zuendfunken.

Staaten zerfallen schnell. Religioese Sekten, Stammeszugehoerigkeit, alte Feindschaften und neue Kollaboration entscheiden wer Freund, wer Feind ist. Auch Geld ist wichtig, wie immer. Die Alten, die Frauen, die Kinder fliehen, so schnell die Fuesse sie tragen.

Dort, wo noch nicht geschossen wird, machen sich die maltraetierten Minderheiten auf den Weg. In weiter entfernten Regionen versuchen Familien der Mittelschicht dem absehbaren Inferno zu entkommen und schicken einen oder zwei ihrer jungen Leute als Kundschafter nach Norden, ins Wunderland.

Soviel zum "push", der die Menschen auf die FernStrassen treibt.

Der "pull"-Effekt ist die Attraktion der ersten Welt.

Im Kalten Krieges war der hoechst willkommen und hat zum westlichen Sieg beigetragen. Damals wie heute kennen die "angezogenen" Menschen das Wunderland allerdings nur virtuell, aus der schoenen Unterhaltungswelt der Filme, Newsshows und Werbespots.

Dass die Realitaet anders sein koennte, will niemand so genau wissen. Das Ziel lohnt den gefaehrliche Weg.

Wie im Mythos kann nur der das Ziel erreichen, der mutig und standhaft den Gefahren und Verlockungen der Daemonen und Teufel standhaelt. Nicht jeder ist berufen. Viele kommen um: verdursten in der Wueste, verrecken an irgendeinem Checkpoint, ersaufen im Mittelmeer, ersticken im LKW.

Am Ende des Weges, im noerdlichen Wunderland, werden die Ankoemmlinge interniert und registriert, rumgeschoben, weitergeschoben, verschoben, im schlimmsten Fall abgeschoben. Das ist dann auch wieder Pech, wie der Tod unterwegs.

Komm, sagte der Hahn, etwas bessers als den Tod werden wir ueberall finden, ist seit jeher das verfuehrerische Motto der Migration.

Ok. Soviel als Interpretation.

Wie geht's weiter im naechsten Jahr und danach?

Das noerdliche Wunderland koennte die australische Strategie uebernehmen.

Es gibt eine legale Einwanderung. Alle anderen werden auf hoher See militaerisch abgefangen, und moeglichst sofort zurueckgeschickt. Information? Null. Militaerisches Geheimnis.

Jeder kann legal kommen. Basta. Aus der Sicht des australischen Premier Ministers Toni Abbot und der populaeren Murdoch-Presse ist das Verfahren sehr erfolgreich. Diverse UN-Oganisationen protestieren. Murdoch und sein Toni machen unbeirrt weiter. Die ueblichen Menschenrechtsfechter protestieren. Egal, schreibt die Zeitung.

Australien ist eine Insel. Auf der Halbinsel Europa kommen die meisten Migranten ueber Land. Muslime duerfen zwar nach Osteuropa, doch Frau Merkel mit Ihrem grossen Herz hat alle Menschen aus Syrien eingeladen. Syrien ist gross. Frau Merkel wird gelobt.

In den Lagern warten noch mehrere Millionen Syrer, meldete die Tagesschau am 1. April.

Ganz ohne Scherz, in den kommenden Monaten und Jahren werden soviele Migranten nach Deutschland kommen, dass irgendwann alle Turnhallen, Notunterkuenfte, leere Kasernen und bankrotten Baumaerkte fuer die Unterbringung nicht mehr ausreichen.

Bis dahin ist die oeffentliche Erregung vorbei. Was dann passiert, kann man schon jetzt in Detroit, USA und einigen europaeischen Grossstaedten bestaunen.

Die Zuwanderer leben in ethnisch sortierten Ghettos, Slums, Lagern oder Armutsvierteln (egal wie man das nennt), legal, halblegal oder illegal. Sie schlagen sich durch. Nehmen jede Arbeit an. Werden Putzfrau oder Gaertner, sammeln Schrott von den Muellhalden, reparieren hoffnungslos kaputte Autos, leben von den Abfaellen der Supermaerkte, schuften, denn die naechste Generation soll den Aufstieg schaffen.

Es wird einige Zeit dauern, bis die Damen von '96 wieder Bodengymnastik ueben koennen und die Deutschen sich an ihre unordentlichen Vorstaedte gewoehnt haben.

Geht's auch anders? Ist das Zukunftsszenario "Slum" zu vermeiden?
Zwei Strategien sind vorstellbar.

Den "push"-Effekt zu beeinflussen ist der derzeit beliebteste Loesungs-Vorschlag aller Gutwilligen: In den Herkunftslaendern der Migranten sind Lebensbedingungen schaffen, sodass die Menschen nicht fliehen muessen. Konkret bedeutet das:

1. Weltweit die Kriege und Buergerkriege beenden.
Ein hehres Ziel und eine Illusion.

2. Die Industrialisierung der Dritten Welt voranzutreiben.
China versucht diesen Weg mit katastrophalen Auswirkungen auf die Umwelt.
In Indien beschraenkt sich darauf, die Lebensbedingungen der Mittelschicht, von ca. 350 Millionen Menschen dem westlichen Niveau anzugleichen. Das Leben in den chaotischen indischen Megastaedten ist eine Qual.

Die Lebensumstaende werden die Menschen also auch weiterhin in die Migration nach Norden "pushen".

Die zweite Strategie, den "pull"-Effekt, die Anziehungskraft der ersten Welt fuer Migranten zu verringern ist vor allem bei Politikern beliebt.
Die populaeren Vorschlaege: Taschengeld-Kuerzungen, Lebensmittelkarten statt Geld, oder unbequeme Unterbringung etc. koennen Migranten aber nicht abschrecken. Die haben bereits schlimmeres erlebt. Trotzdem machen derart markige Parolen natuerlich Schlagzeilen.

Alternativ koennten die Menschen in der ersten Welt Lebensbedingungen wie in der dritten Welt herstellen!

Im noerdlichen Wunderland wird "einfach" die Leuchtreklame abgeschaltet. Deutschland, das weltweite Lieblingsziel der Migration, koennte damit anfangen.

Einige konkrete Vorschlaege.
Den Individualverkehr deutlich verteuern; Tempo 90 auf Autobahnen; oeffentliche Verkehrsmittel verbilligen; Luxus verteuern; die aerztliche Versorgung einschraenken; Wasser und Strom rationieren; im Garten Lebensmittel erzeugen; reparieren statt wegwerfen, wiederverwenden statt neu kaufen. Kurz, das Leben unattraktiv, grau und eintoenig machen.
Anders als in der dritten Welt kann man das alles in Deutschland "nachhaltig" und "gerecht" organisieren.

Schon die wenigen Beispiele zeigen jedoch, dass eine solche Politik, die nicht nur zur Verringerung des Pull-Effekts der Migration sinnvoll waere, in Deutschland voellig undenkbar ist.

Wenn nicht ein Wunder geschieht oder eine Katastrophe wird es darum auch in Deutschland bald Slums geben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Aussie42

Mauerberliner(West) bis 1996, 10 Jahre meditieren in Indien bis 2010, jetzt in Australien. Deutschland weit weg.

Aussie42

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden