Deutschland braucht ein Kernwaffen-Verbot!

Trügerische Scherheit. Das Narrativ vom "Gleichgewicht des Schreckens", das den Atomkrieg verhindert habe, ist falsch. Nur ein Verbot aller Kernwaffen, kann nukleare Kriege vermeiden!

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ICAN, eine weltweite Freiwilligen-Organisation, hat einen UN-Vertrag zum Verbot aller Kernwaffen durchgesetzt und dafuer gerade den Friedensnobelpreis erhalten. Die Nuklearstaaten und ihre Verbuendeten haben den Verbotsvertrag nicht unterschrieben. Warum auch Nato-Deutschland sich verweigert hat, ist leicht zu verstehen.

Glaubt man dem gemuetlichen Narrativ des Kalten Krieges, so hat nur die permanente Aufruestung mit nuklearen Waffen 40 Jahre lang das Umschlagen in einen Heissen Krieg verhindert. Diese beruhigende Story wurde von Theo Sommer vor einigen Tagen erneut aufgebraten. Er muesste es besser wissen. Schliesslich war er 1969/70, mitten im Kalten Krieg, Staatssekretaer im Verteidigungsministerium.

Ende 2009 haben Keir A.Lieber und Daryl G.Press in "Foreign Affairs" die tatsaechliche Strategie der Nato im Kalten Krieg knapp zusammengefasst:
"Obwohl die Nato wenig Hoffnung hatte, einen nuklearen Krieg zu ueberstehen, sollte ein Krieg von Anfang an mit allen Mitteln nuklear eskaliert werden (...), um die SU zu einem Waffenstillstand zu zwingen."
("Even though NATO harbored little hope of prevailing in a nuclear war, it planned to initiate a series of escalating nuclear operations at the outbreak of war -- alerts, tactical nuclear strikes, and wider nuclear attacks -- to force the Soviets to accept a cease-fire." )

Im Klartext: Die Nato plante die blitzschnelle Toetung von ca. 50 Millionen Europaeern, um die SU daran zu hindern, Interkontinental-Raketen gegen die USA einzusetzen.

Das war einerseits eine durchaus clevere, wenn auch riskante Nato-Strategie, natuerlich im alleinigen Interesse der USA. Andererseits musste dieses Szenario den "geplanten" Opfern, der Bevoelkerung in Mitteleuropa, natuerlich verheimlicht werden.
Daran haelt sich Sommer noch heute und schreibt, das "Gleichgewicht des Schrecken" sei auch heute notwendig, um die "Welt" vorm nuklearen "Armageddon" zu retten. Darum sei ein Verbot von Kernwaffen, das ICAN fordert, nicht zu verantworten.
Auch Markus Becker hatte gleich nach der Nobelpreisverleihung aehnlich wie Sommer argumentiert.

Die australische Geschaeftsfuehrerin von ICAN Beatrice Fihn aeussert sich in einem SZ-Interview leider etwas ueber-optimistisch:
"Atomwaffen werden ihre Relevanz verlieren, (...) Wir beobachten bereits jetzt einen Trend zu voll autonomen Waffensystemen.
Atomwaffen kosten hingegen eine Menge Geld und sind für das Militär ziemlich nutzlos. Ihre Auswirkungen lassen sich nicht eingrenzen."

Westliche Propaganda und uebertriebenen Optimismus hat Mathias Nass in einem Kommentar mit der Realitaet konfrontiert, dass alle Atommaechte seit einiger Zeit ihre nuklearen Waffensysteme modernisieren.
"Das Ziel ist stets das gleiche: Die Atomwaffen sollen zielgenauer und treffsicherer werden, ihre Sprengkraft soll je nach Bedarf gewählt werden können. Mit der Illusion, ein Atomkrieg ließe sich begrenzen, steigt aber auch die Versuchung, Nuklearwaffen in einem Konflikt tatsächlich einzusetzen."
Der einzige Ausweg sei, wie von ICAN gefordert, Atomwaffen zu verbieten, schreibt Nass.

Diese Einschaetzung trifft wohl zu.

Nur ein Beispiel: Eine US-Computersimulation zur Vernichtung aller verbunkerten chinesischen Interkontinental-Raketen ergab, dass dieses "Vorhaben" frueher 3-4 Millionen Menschen das Leben gekostet haette. Beim Einsatz der neuen, zielgenauen Waffensystemen mit geringerer nuklerer Sprengkraft, waeren es "nur noch" 700 Menschen.

Das ist keine Spielerei am Joystick.
In den USA waere das u.a. mit dem B69-12 Bomber machbar. Dessen Waffensystem kann noch im Anflug die genau Staerke der nuklearen Explosion justieren und das Ziel mit einer Genauigkeit von +/- 30m treffen. Das sind Zahlen von 2015. Inzwischen sind sicher auch andere US-Bomber, wie etwa die B1-B, die bei Korea kreisen, mit einem solchen System ausgeruestet.

Bomber gibt's nicht fuer umsonst. Die Aktionaere von Lockheed usw. frohlocken bereits. Wieder einmal passen Geschaeft, nukleare Aufruestung und Politik prima zusammen.
Wenn Trump mit der vollstaendigen Zerstoerung Nordkoreas droht, hat er wohl die neuen Waffensysteme im Kopf. Damit waere auch ein begrenzter nuklearer Krieg gegen Iran "machbar".

Verstaendlich, dass die Nato-Staaten und andere Erz-Freunde der USA, am UN-Vertrag zum Verbot aller nuklearer Waffen, gar nicht interessiert waren. Der ploetzliche FriedensNobelpreis fuer ICAN war den normalerweise hoch-moralischen politischen Eliten im Westen aeusserst peinlich. Inzwischen wurde das Thema medial wegedrueckt. Jamaika, der Brexit, die Burka, die Populisten und Terroristen etc. sind einfach wichtiger.

Epilog

In den 50er Jahre haben grosse Teile der deutschen Bevoelkerung (Bewegung gegen den Atomtod), das vollstaendige Verbot aller Kernwaffen gefordert. Dafuer wurde in Deutschland sogar gestreikt! Dieser "politische" Streik wurde selbstverstaendlich (nachtraeglich) verboten. SPD&DGB wollten danach nur noch eine Volksbefragung. Damit brach der Protest zusammen, auch weil Adenauer versprochen hatte, das Kommando ueber die Atomwaffen bliebe bei den Amerikanern. Das Ergebnis waren 40 Jahre Aufruestung mit nuklearen Waffen, bis der mehrfache "overkill" erreicht war.

Wenn auch dieses Mal kein Verbot aller Kernwaffen erreicht wird (mindestes 50 Staaten muessen den Vertrag ratifizieren, dann ist er "Voelkerrecht"), sind "begrenzte" nukleare Kriege m.E. unvermeidlich. Deren regionale Begrenzung, die Politiker und Generale erwarten, ist zumindest zweifelhaft.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Aussie42

Mauerberliner(West) bis 1996, 10 Jahre meditieren in Indien bis 2010, jetzt in Australien. Deutschland weit weg.

Aussie42

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