Wie ein nuklearer Krieg morgen beginnen kann

USA gegen Nord-Korea. Jong-un provoziert mit Raketen. Trump droht, NK auszulöschen. Keine Verhandlungen! Viel Lärm um nichts? Die USA können eine NK-Rakete nur mit nuklearen Waffen abfangen!

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Trotz aller medial-politischen Aufregung um diese oder jene Beleidigung, bisher konnte man sich damit beruhigen, dass einerseits jeder Angriff der USA gegen Nord-Korea unkalkulierbare Konsequenzen fuer SuedKorea und Japan haette. Und andererseits NK's Raketen, trotz Jong-un's aufgeblasener Backen, das US Festland nicht erreichen koennen.

Bei etwas genauerer Betrachtung, ist die Situation allerdings weniger beruhigend, vor allem weil die USA Verhandlungen mit NK anscheinend ausschliessen. Ob sich Trump erneut auf Sanktionen an Stelle von militaerischen Aktionen einlaesst, ist fraglich. Bisher hat das, aus Sicht der USA, nur zu weiteren Provokationen NK's gefuehrt.


Wie ist diese Eskalation zu erklaeren? Kloppen sich zwei Bullies im weltpolitischen Kindergarten oder gibt es einen "game-changer"?

1. Ein Angriff der USA auf NK ist weiterhin geopolitisch intolerabel, also ausgeschlossen.

2. Nordkorea testet seit einigen Wochen die Reichweite einer modifizierten Langstrecken-Rakete aus dem sowjetischen Arsenal im Kalten Krieg. Diese Typ koennte die USA vermutlich nicht erreichen. Dennoch erklaert der NK-Aussenminister, ein Angriff auf das US-Festland sei unvermeidlich. Die USA koennten somit Jong-un's naechste Rakete Richtung Pazifik als "Bedrohung der USA" interpretieren.

3. NordKorea hat eine unterirdische thermonuklearen Explosion ausgeloest und will diesen Typ im Pazifik erneut testen. Wasserstoff-Sprengsaetze sind kleiner, leichter und damit als "Nutzlast" von NK's naechster Rakete "wahrscheinlicher", als atomaren Gefechtskoepfe.

4. Mit konventionellen Waffen kann man Langstrecken Rakete nicht abschiessen. (Kurze Fassung des Links unten, "INFO") eine nukleare Explosion im Weltraum zu "vernichten". Dazu muessten sich die beiden Raketen nur "ungefaehr" treffen.
Ob dieser Abwehr"methode" tatsaechlich funktioniert, hat bisher niemand ausprobiert.
Jong-un's naechste Rakete waere ein geeignetes "Ziel-Objekt", um das nachzuholen.


Wie wahrscheinlich ist dieses nukleare Szenario?

In der westlichen Berichterstattung wird die Gefaehrdung durch NK's "Atombomben" dramatisiert. Die Ankuendigung des NK-Aussenministers, dass der Tests einer Wasserstoffbombe im Pazifik vorbereitet werde und dass die USA seinem Land bereits den Krieg erklaert haetten, hat die Fixierung der Medien auf die nukleare Bedrohung durch NK beinah hysterisch verstaerkt.

Die (zumindest implixite) Botschaft dieser Medien-Kampagne: die nuklearen "Experimente" Nord-Koreas muessen im Interesse des "Weltfriedens" mit "allen Mitteln" gestoppt werden.
Die Alternativen, Verhandlungen mit NK oder gar der Ruckzug der USA aus Korea und Japan scheinen mit Trump an der Spitze der USA "leider" ausgeschlossen.

Selbst SK und Japan, die die bellizistische Rethorik NK's seit Jahrzehnten gewohnt sind, reagieren zunehmend nervoes. Vor allem auch, weil das teure THAAD Raketenabwehr-System selbst Kurz- und Mittelstrecken Raketen aus NK nicht sicher abfangen kann.

Der Ersteinsatz einer nuklearen Waffe zur Zerstoerung einer Langstrecken Rakete haette zwar unkalkulierbare politische Konsequenzen. Das wuerde die USA allerdings nicht sonderlich irritieren. Fuer die Beseitigung einer (auch damals fiktiven) nuklearen Bedrohung, nehmen die USA erhebliche politische Risiken in Kauf, das hat der zweite Irak-Krieg gezeigt.

Die USA koennten sich zudem auf das Recht zur "Selbstverteidigung" berufen und argumentieren, die Rakete NK's haette die USA erreichen koennen und haette einen nuklearen Gefechtskopf haben koennen. Darum musste sie nuklear vernichtet werden.


Einwaende.

Es gibt allerdings drei gewichtige Einwaende gegen einen nuklearen Anti-Raketen-Einsatz der USA.

1. Der wichtigste ist das Risiko des Scheiterns. Wenn der US-Nuke nicht explodiert oder die anfliegende Rakete nicht zerstoert, waeren die USA militaerische und politische blamiert und fuer ihre Verbuendeten weniger glaubwuerdig. (Darauf wird auch im oben zitierten Artikel der NYT hingewiesen.)

2. Strategisch waere durch den nuklearen Abschuss einer Rakete nicht viel erreicht. NK wird nicht gefaehrdet, sondern eher ermutigt, eine bessere Rakete zu entwickeln.

3. Die militaerischen Nutzniesser des nuklearen Einsatzes waeren zudem China und Russland. Beide Staaten haetten die Moeglichkeit, den Einsatz der strategischen US-Raketenabwehr zu beobachten, um die eigenen Streitkraefte besser darauf vorzubereiten.


Einschaetzung.

Eine realistische, militaerische-politische Beurteilung sollte die USA davon abhalten, die nukleare Abwehr einer Rakete aus NK zu versuchen. Ein solcher Einsatz haette mehr Risiken als Vorteile fuer die USA zumal die Alternative, die "Krise" durch Gespraeche mit NK zu deeskalieren vermutlich nicht ausgeschoepft ist.

Doch die "Realisten" im Pentagon wie im Weissen Haus koennten demnaechst ihrer eigenen Propaganda mehr glauben, als ihren Einschaetzungen. Das ist eine durchaus gaengige "Verschiebung" der Perspektive, nicht nur bei Generalen.

Die Montage einer nuklearen Kopfes auf eine nordkoreanische Langstrecken-Rakete ist, laut NYT, als "rote Linie" definiert, die einen militaerischen Einsatz (vermutlich die Freigabe eines "nuke" fuer die Raketenabwehr) unumgaenglich machen wuerde.

Wie damals im Irak reichen vermutlich "harte" Erkenntnisse der US-Geheimdienste, um das Ueberschreiten der roten Linie zu beweisen.
Obama wird vorgeworfen, auf seine "rote Linie" in Syrien nicht reagiert zu haben. Diesen "Fehler" will Trump, wie es scheint, nicht wiederholen.

Konsequenzen eines nuklearen Raketenabwehr-Einsatzes
der USA
Sofern die nukleare Explosion im Weltraum erfolgt, waeren die "physikalischen" Wirkungen eher "gering". Vor allem ein starker, weltweiter elektromagnetischer Impuls waere zu erwarten. (Eine nukleare Explosion in der Atmosphaere, wie in den 50er Jahren ueblich, haette wesentlich hoehere Risiken).
Dennoch, ein nuklearer Erstschlag (egal wo und mit welcher Begruendung) koennte politisch das Ende der Weltmacht USA bedeuten. Nur wenige Verbuendete wuerden beispielsweise riskieren, von den USA per nuklearem Erstschlag "verteidigt" zu werden. Wie andere Nuklear-Maechte reagieren wuerden, ist zudem unvorhersehbar.

Diese geopolitische Isolierung der USA koennte das Ziel der staendig eskalierenden Provokationen NK's sein. Trump scheint als Gegenspieler sehr "geeignet". Mal sehen wer als erster "zwinkert".

Ausschnitte des NYT Artikels von Peter Baker and David E. Singer, Sept. 22, 2017 (Dieser Artikel, den ich oben zitiere, ist im Netz nicht mehr verfuegbar. Darum die beiden signifikanten Ausschnitte.)

"So far, the president has declined to explicitly lay out a red line that, if crossed, would provoke some sort of action. One senior official said that acting to prevent an atmospheric test, which would risk radiation spreading in the winds toward populated areas, could well result in a very different decision.

Such an operation would be highly risky even if it would be far more surgical than Mr. Trump’s threat this week to “totally destroy North Korea” if forced to defend the United States or its allies. Should the United States find that North Korea was loading a nuclear warhead onto an intercontinental ballistic missile, the choices would be limited, according to officials who have participated over the years in the Pentagon’s secret war games designed to anticipate various forms of a crisis on the Korean Peninsula."

(...)

"Intercepting a warhead using missile defenses runs other dangers, White House officials have been told. If the American antimissile systems missed — against a single warhead, which should be the simplest target — it would undercut confidence in an infrastructure the United States has spent $300 billion to build over the past four decades.

If a hit succeeded, it could still spread nuclear material below — less of an issue over the water, but a serious problem if the interception occurred over land."

(Die Autoren NYT interpretieren ihre Informationen aus dem WH sehr zurueckhaltend. Verstaendlich in den gegenwaertigen Konflikten zwischen Trump und den Medien.)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Aussie42

Mauerberliner(West) bis 1996, 10 Jahre meditieren in Indien bis 2010, jetzt in Australien. Deutschland weit weg.

Aussie42

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden