Hollywoods Hurra-Patriotismus

US-Patriotismus Christopher Kyle war der tödlichste amerikanische Scharfschütze. Sein Leben hat Clint Eastwood nun hochpatriotisch in Szene gesetzt

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Lust am Töten: Bradley Cooper (re.) als Scharfschütze Christopher Kyle
Lust am Töten: Bradley Cooper (re.) als Scharfschütze Christopher Kyle

Foto: Screenshot Trailer, Youtube

Hollywood feiert seinen Hurra-Patriotismus. Clint Eastwood verfilmt mit American Sniper die Geschichte des erfolgreichsten Scharfschützen der US-Militärgeschichte. Die Weltsicht von Christopher Kyle ist dabei geprägt von nationalistischen Phrasen.

Es gibt Scharfschützen, die feuern in ihrer gesamten Laufbahn nicht ein Mal auf ein atmendes Ziel, der Durchschnitt verbucht ein, vielleicht zwei Abschüsse, bevor die Monate des Fronteinsatzes vorüber sind. Einige wenige werden berühmt. Das sind zumeist Soldaten, die sich berauschen an dem, was im Jargon der Armee „rote Wolke“ genannt wird. Die rote Wolke aus Blut, Fleisch oder Hirnmasse, die entsteht, wenn Heckenschützen einen Volltreffer landen.

Christopher Scott Kyle war einer dieser Berauschten. Der US-Amerikaner aus Texas meldet sich 1999 als Freiwilliger für das Training bei den Navy SEALs, einer Elitetruppe des US-Militärs. Dort wird er zum Aufklärer und Scharfschützen, im Englischen „Scout Sniper“, ausgebildet. Diese Heckenschützen sichern im Häuserkampf die Infanteristen aus einer Entfernung von durchschnittlich 200 bis 900 Metern. Insgesamt vier Einsätze absolviert Kyle nach der Kür zum Navy SEAL. Sein Einsatzgebiet ist im Zuge des Irakkriegs und der darauf folgenden Besetzung des Wüstenstaats durch die US-amerikanischen Streitkräfte, das Zweistromland. In annähernd 1000 Tagen formen Armeedrill und Soldatenleben aus dem verkappten Cowboy, Rodeoreiter und Schlägertypen, einen kompromisslosen Patrioten – und eine amerikanische Legende.

Eine der wichtigsten Maximen der Aufklärer lautet, ein Ziel nicht als Mensch wahrzunehmen. Ein Schütze, der anfängt über die Familie, das Motiv, die Lebensumstände seines Gegners nachzudenken, ist befangen. Darüber berichtet auch der ehemalige Soldat James D. Cup in einer seltenen Stellungnahme aus Militärkreisen: „Scharfschützen werden dazu ausgebildet, gleichgültig abzudrücken“, sagte er 2007 der New York Times. Christopher Kyle kannte solche Bedenken nicht: Er erschießt 160 Personen aus dem Hinterhalt, so viel wie noch kein amerikanischer Scharfschütze vor ihm. Das zumindest vermelden US-Militärs, die den Draufgänger für ihre Propagandaschlacht instrumentalisieren. Kyle wird zum Protokämpfer stilisiert. Er ist der perfekte Soldat, allzeit bereit, skrupellos und hocheffizient bis ins Mark. 14 Auszeichnungen erhält er während seiner Dienstzeit.

Im Nachhinein wird immer deutlicher, mit welchen teils perfiden, teils dummdreisten Strategien die US-Regierungen und die ihnen hörigen Staaten, die Öffentlichkeit getäuscht haben und nach wie vor täuschen. In ihrem Sinne wird die Terrorgefahr des Mittleren Ostens mal herunterargumentiert, dann wieder dramatisch in Szene gesetzt. Der Irakkrieg wurde schon vor seinem Beginn durch die Medien ausgetragen. Dabei bediente sich auch die Gegenseite, das Regime Saddam Husseins und dschiadistische Milizen, dem ständigen Parolenkrieg in den öffentlichen Netzwerken, dem Fernsehen, Rundfunk und Internet. Auf beiden Seiten wurden Kopfgelder verhängt, die Ungläubigen verschrien und mit Zuckerbrot und Peitsche nach Denunzianten gesucht oder gejagt.

Für die Liquidierung von Christopher Kyle lobten die irakischen Widerstandskämpfer eine Belohnung von 20.000 Dollar aus. Anlass dafür wahr wohl ein als besonders perfide eingeschätzter Einsatz: In der Nähe des Ortes Ramadi schwammen 16 Dschihad-Kämpfer über den Euphrat. Einen nach dem anderen erschossen Kyle und sein Team die Tunesier, während diese in Panik um ihr Leben paddelten – seither nennen ihn die Aufständischen „Shaitan Ramadi“, Teufel von Ramadi. Sein Erkennungszeichen ist ein tätowiertes Kreuzsymbol. „Jeder sollte wissen, dass ich Christ war. Ich liess es in Rot ausführen. Rot wie Blut“, schreibt der Rekordschütze dazu in seiner Autobiografie American Sniper.

Im Irak wird Kyle zum Getriebenen, fest davon überzeugt, den Wilden, den Barbaren, wie er die Iraker nennt, ihre Grenzen aufzuzeigen. Darüber verliert Kyle beinahe Frau und Sohn, denen er bei seinen Aufenthalten in der Heimat kaum gerecht wird. Er ist so stark in seinem aggressiven Drill gefangen, dass Ehefrau Taya Nachts seinen Namen rufen muss, bevor sie zum ihm ins Bett steigt. Weckt sie ihn unvorbereitet, springt sein überreizter Verteidigungsinstinkt an. Beinahe bricht er ihr so mehrmals die Arme, während er sie im Reflex niederringt. Auslöser dafür ist das extreme Training und die Bedingungen an der Front. Über Stunden, manchmal Tage, müssen Scharfschützen in ihren Verstecken ausharren und durchgängig konzentriert bleiben. Im Gefecht kann diese Strategie das eigene Leben retten. Dabei baut sich jedoch ein überproportionales Aggressionspotenzial auf, ohne Ventil werden die Soldaten so selbst unberechenbare Querschläger.

Als solcher ist Kyle keine Ausnahme. Die Zahl der psychisch-zerrütteten Soldaten beziffert das National Institutes of Health mit etwa 16 Prozent aller aus dem Irakkrieg zurückgekehrten Veteranen. Bei einer Truppenstärke von rund 300.000 Mann, macht das etwa 48.000 Personen aus. Für Afghanistan soll die Quote um die 12 Prozent liegen. Inwieweit die Dunkelziffer diese Zahlen noch übersteigt, ist ungewiss. Fakt bleibt, dass der militärische Drill und die brutalen Bedingungen im Kampfeinsatz für die überlebenden Soldaten einem Seuchenherd posttraumatischer Belastungsstörungen gleichkommen.

Nach Angaben der Bundeswehr haben sich auch 431 deutsche Soldaten im vergangenen Jahr wegen psychischer Angstzustände behandeln lassen. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Anzahl der Fälle damit um 25,6 Prozent.

Als sich Kyle schließlich von dem Drang, immer noch mehr Abschüsse zu erzielen, losbrechen kann, tritt er aus der Armee aus. Nicht zuletzt, da seine Frau im mit der Scheidung droht. Ab 2009 verwendet er seine Energie darauf, Kriegsversehrten in Texas zu helfen. Er verbringt Zeit mit ihnen, besucht Selbsthilfegruppen oder fährt mit anderen ehemaligen Soldaten zu Schießübungen. 2013 nehmen er und ein Freund den psychisch labilen Ex-Marine Eddie Ray Routh auf ihren Schießplatz mit. Dessen Mutter hatte Kyle gedrängt, ihrem Sohn doch auch zu helfen, die Schrecken des Krieges hinter sich zu lassen. Während den Zielübungen beginnt Routh unvermittelt auf Kyle und die Umstehenden zu schießen. Von mehreren Kugel getroffen, stirbt der erfolgreichste Scharfschütze der amerikanischen Militärgeschichte. Christopher Kyle wurde 38 Jahre alt.

Vergangene Woche, am 25. Februar, wurde sein Mörder zu einer lebenslangen Haftstrafe ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung verurteilt – trotz dem Bemühen seiner Verteidiger, den posttraumatisch-gestörten Routh als unzurechnungsfähig einzustufen. Das Motiv des Täters blieb jedoch auch nach dem Schuldspruch unklar. Die Darstellung Rouths, nach welcher er sich von Kyle und einem weiteren Freund bedroht gefühlt hatte, zweifelte das Gericht grundlegend an.

Diesem Urteilsspruch ging ebenfalls Ende Februar 2015 die Verleihung der Acadamy Awards voraus. Die Verfilmung von „American Sniper“ erhielt dabei einen Oscar für den besten Tonschnitt und fünf weitere Nominierungen, darunter als bester Film. In den Vereinigten Staaten spielte er im ersten Monat nach seiner Premiere über 300 Millionen US-Dollar ein. Am letzten Donnerstag lief das Biopic auch in den deutschen Kinos an.

Der Streifen erzählt die Lebensgeschichte von Christopher Kyle. Darin wird der Soldat zur Ikone verklärt. Kyle der Bilderbuch-Patriot, den schon sein Vater auf die Jagd mitgenommen hat und der nichts mehr wollte als seinem Leben einen Sinn zu geben. Unter der Regie von Clint Eastwood kennt dieser Sinn nur eine Prägung, der Dienst an Waffe und Vaterland als Soldat. Dabei hält sich der altgediente Filmemacher Eastwood nah an die Vorlage aus der Feder Kyles: Der Krieg ist die Konsequenz aus den Terroranschlägen vom 11. September 2001, die Iraker beinahe sämtlich schwache Hinterwäldler, brutale Schlächter oder Denunzianten. Von ihrem vermeintlichen Leben erfährt man nicht viel mehr, als das die Menschen in kargen Wohnungen hausen und aus Renitenz oder Angst gegen die Heilsbringer der US-Armee agieren, wo sie können. Gräueltaten und Kriegsverbrechen begeht dementsprechend ausschließlich die irakische Seite. Über Abu Ghraib, Guantanamo und CIA-Folterberichte verliert niemand ein Wort. American Sniper präsentiert sich als Schminke mit der die amerikanische Gesellschaft das Trauma Irakkrieg zu überdecken versucht.

Hauptdarsteller Bradley Cooper liefert dabei eine Vorstellung ab, die den Wandel des Protagonisten vom Draufgänger zur verschlossenen Tötungsmaschine anschaulich illustriert. Bis auf die Momente, in denen er den Versuch einer echten Emotion durchschimmern lässt, bleibt die schauspielerische Leistung jedoch beschränkt. Eastwood zeigt damit den konsequenten und ebenso unreflektierten Blick des Scharfschützen Christopher Kyle – das beschränkte Sichtfeld eines Mannes, der die Welt durch ein Zielfernrohr sah.

Mit American Sniper bekommt das Publikum eine klangvolles amerikanisches Drama vorgeführt. Die Figur Kyle ist hin und hergerissen, auf der einen Seite wird sie als Kriegsheld gefeiert, auf der anderen verlangt die Familie nach ihm. Er verliert Kameraden im Kampf und erst als er deren Tod gerächt hat, schafft es Kyle aus dem blutigen Kreislauf auszubrechen. Eastwood, der zwar für seine Abneigung gegen die Auslandseinsätze der US-Armee bekannt ist, genauso jedoch für seine republikanische Gesinnung, stürzt sich auf diesen Konflikt. American Sniper orchestriert damit das patriotische Grundrauschen der Vereinigten Staaten, anstatt ihr eine kritisches Dissonanz entgegenzuhalten – 132 Minuten Hurra-Patriotismus.

Damit ist Clint Eastwood nicht allein. Der Propaganda-Apparat Hollywood arbeitet präzise im Takt der US-amerikanischen Glorifizierung. American Sniper ist dafür nur das jüngste Beispiel. In den Neunzigern kursierte unter Cineasten der scherzhafte Ausspruch, nachdem wohl per Gesetz vorgeschrieben sei, dass in jedem amerikanischen Film etwas explodieren müsse. Karikiert wurden damit die Actionfilme, in denen Dialoge und eine schlüssige Handlung zugunsten brachialer Hau-Drauf-Szenen ausgesiebt wurden.

Diese Entwicklung hat sich bis heute fortgesetzt. Nach wie vor prügeln sich Amerikaner in ihren Film und lassen tumben Sprüchen noch dämlichere Taten folgen. Im Hintergrund flattert dabei das Sternenbanner. Kritik am Staat ist dabei dünn gesät, der amerikanische Lebenswandel steht kaum zur Debatte.

Allenfalls einzelne Personen werden karikiert, nie jedoch das Ansehen der Nation. Es ist das auf Filmstreifen gebannte Selbstbild eines Landes, das der Hybris verfallen scheint. Der Markt reagiert dabei auf die Resonanz der Bevölkerung, die den selbstverherrlichenden Filmausguss aus Hollywood allzu willfährig persönlich nimmt. Die Verfilmung der Autobiografie Christopher Kyles ist dabei nur die überspitze Kuppe des Eisbergs. Das thematische Übergewicht der Untergangsszenarien aus denen die Vereinigten Staaten gerettet werden müssen, zeugt von den Schauklappen der Unterhaltungsindustrie.

In seinen eigenen Memoiren spricht Kyle, zusätzlich zu den 160 verbürgten Tötungen, von annähernd 100 nicht offiziell bestätigten Abschüssen. Insgesamt soll sein „Bodycount“, die Summe der getöteten Ziele, bei 255 liegen. Auf mehreren Hundert Seiten breitet er Schuss um Schuss vor dem Leser aus, spricht vom „Indianerland Irak“ und seiner Freude über das Töten. „Ich lüge nicht und übertreibe nicht, wenn ich sage, dass es Spass machte“, schreibt er in seinem Buch. Leid, Hass, Ansporn, Kultur oder Leben des vermeintlichen Feindes interessieren nicht.

Den Irak charakterisiert er in drei markigen Worten: "Kanalisation, Schweiß und Tod“. Im Denken des Soldaten und Patrioten Christopher Kyle ist kein Platz für differenzierte Blickwechsel. Er sieht schwarz, er sieht weiß. Dementsprechend endet das Machwerk nach 400 Seiten mit dem vernichtenden Fazit: "Sie hatten es alle verdient, zu sterben."

Kyle ist US-Amerikaner, geboren in der großartigsten Nation der Erde. Die restliche Welt schert ihn nicht. Außer natürlich sein Land ruft ihn, in Personifikation des Präsidenten, zur Waffe, dann ist Kyle bereit – jedweder Zweifel an den Motiven für den Krieg werden niedergebrüllt von den patriotischen Phrasen eines Menschen, für den nichts über den Vereinigten Staaten stehen darf. Hollywood und Clint Eastwoods Verfilmung tragen diese Weltsicht nur allzu bereitwillig weiter.

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