Stahlgewitter über Amerika

US-Patriotismus Der amerikanische Patriotismus mutiert zur Volkskrankheit einer verängstigten Gesellschaft

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© Hubertus J. Schwarz / Adlerschwingen über Amerika / 2015

Die Vereinigten Staaten leiden an einer fatalen Gesellschaftskrankheit, dem Hurra-Patriotismus. Ein gefährliches Potenzial in einem Land, in dem Waffen frei erhältlich sind und parallel Angst und Unsicherheit grassieren.

David ist Deutscher. Ein Deutscher in Amerika. Den Studienabschluss hat der Wahlhamburger zwar schon in der Tasche, für den Start ins Berufsleben möchte er nun aber noch seine Englischkenntnisse auffrischen. So wohnt David für ein halbes Jahr bei Freunden seiner Eltern in Illinois.

Charlotte und Karl Gruber* emigrierten bereits Mitte der Neunziger Jahre in die Vereinigten Staaten. Abgeworben von einer großen Software-Schmiede, sollten die beiden Werbefachleute neue Markenkonzepte entwickeln. Inzwischen sind sie als selbstständige Grafik-Designer tätig.

Das Ehepaar lebt in Chicago, mit 2,7 Millionen Einwohnern die drittgrößte Stadt in den Vereinigten Staaten. Hier wurde auch ihre Tochter Annabelle geboren. Für David kommt dies zwar nicht dem totalen Kulturschock gleich, immerhin sprechen seine Gasteltern fließend deutsch, dennoch möchte er hier die amerikanische Lebensart kennenlernen.

Der 24-Jährige besucht mehrere Abendkurse der Universität von Chicago die einen erweiterten Sprachunterricht bieten. In seiner Freizeit wandert David durch die Stadt. Er saugt das Leben in den Hochhausschluchten regelrecht auf, tourt durch die unterschiedlichsten Bars, Pubs und Klubs. Dabei begegnet ihm vor allem die raue Herzlichkeit der "Windy City" am Lake Michigan. "Man merkt, wie sehr sich die Menschen hier mit ihrer Stadt identifizieren. Klar, irgendwo bleibt es eine anonyme Großstadt, aber wenn man mit den Leuten redet, dann fällt schon auf, dass sie extremen Wert auf ihre Herkunft legen", berichtet David. Die Einwohner sind stolz auf ihre Geschichte, besonders die goldenen Jahre zwischen den Weltkriegen, als Mafia-Bosse und Alkoholschmuggler ihr Unwesen in Chicago trieben.

Darüber redet Jeff, der Barmann von Dick's Last Resort nur allzu gern. Setzt man sich an seinen Tresen, plaudert der Altrocker ungezwungen über seine Sicht der Dinge – diese Erfahrung macht auch David. Jeff ist ein amerikanisches Original: Vollbart, Lederjacke, Oberarme, die wirken, als ob man mit ihnen einen Grizzlybär im Schwitzkasten halten könnte. Er fragt, woher David kommt. Mit der Antwort kann er etwas anfangen, belustigt zählt Jeff auf, was er aus Deutschland kennt: "­Volkswagen, Oktoberfest, good beer, good cars." Dann hält er dagegen, erzählt, warum US-Bier so viel besser sei und die amerikanischen ­Muscle-Cars jeden deutschen Mercedes abhängen. "The USA – thats the best place to live, we invented Coca Cola, Internet, we were first on the moon. Who protect you from al-Quida – we do it!"

Eine Haltung, für die ein Ausdruck synonym steht: Hurra-Patriotismus. Damit gemeint ist die unreflektierte Wahrnehmung der eigenen Heimat als beste Nation vor allen anderen. Die US-amerikanische Ausprägung davon nennt sich "Spread-Eagleismus". Ihr zugrunde liegt die allegorische Darstellung des amerikanischen Wappentiers, dem Adler, der seine Schwingen über die Welt im Allgemeinen und die Vereinigten Staaten im Besonderen stülpt. Zum ersten Mal tauchte dieses Bild 1898 in einer Karikatur der Philadelphia Press auf. Auch Jeff trägt einen Aufnäher mit dem Adler auf seiner Lederkutte, eine Erinnerung an die Zeiten in der US-Armee.

Der Unterschied zu den europäischen Nationalgefühlen liegt vor allem in der multikulturellen Vermengungen der amerikanischen Bevölkerung. Die Einwanderer in die neue Welt kamen aus verschiedensten Regionen. Man baute nicht auf einer gemeinsamen Kultur, vielmehr war das Land, in dem man fortan lebte, die umfassende Gemeinsamkeit.

So wucherte im ausgehenden 19. Jahrhundert der Nationalismus nicht nur in der alten Welt. Auch das vom Bürgerkrieg genesene Amerika befeuerte seine kolonialen Bestrebungen. Damals standen die pazifischen Inseln und Puerto Rico im Fokus der US-amerikanischen Okkupation.

Heute sind es weniger direkte territoriale Ansprüche, denn der Wille jeder anderen Nation die eigenen geopolitischen Tendenzen diktieren zu können. Daran nimmt der durchschnittliche US-Bürger großen Anteil. Das Selbstverständnis als Führungsnation und Weltpolizei ist für die amerikanische Gesellschaft ein ungemein wichtiger Anker. Schon 1967 definierte der Soziologe Robert Bellah den Patriotismus als eine "amerikanische Zivilreligion". Die vermeintliche Erhabenheit der Nation sei etwas, woran selbst der sprichwörtliche Tellerwäscher teilhaben kann.

Den Wettlauf zum Mond gewann nicht allein Neil Armstrong gegen die ehemalige Sowjetunion. Jeder amerikanische Bürger tat seinen Schritt auf dem Erdtrabanten, wenn auch nur im Geiste. Die moralische Überlegenheit, die sich die Vereinigten Staaten während dem Zusammenbruch des Ostblocks herausnahmen, beflügelte die Allmachtsfantasien des kleinen Mannes. Auch der ungebremsten Wertsteigerung amerikanischer Marken und Produkte schien Nichts gleichrangig. Über diesen besonders ausgeprägten Wir-Gedanken definiert nicht nur Barmann Jeff sein Weltbild.

Inzwischen hat die NASA alle ihre Weltraumprogramme aus den Neunziger Jahren eingestellt, die Kosten seien nicht tragbar. Politische Verwicklungen enttarnten die Weltpolizei als korrupten Bullen und auch die Spekulationsblasen der Börse sind mehrfach aufgeplatzt.

In der Folge hat sich das Bild der Vereinigten Staaten gewandelt. In der Öffentlichkeit ist es längst kein Tabubruch mehr, die Verfehlungen der einstigen Schutznation anzukreiden. Auch der Durchschnittsbürger bekommt diesen Gegenwind zu spüren. Während das Ausland gegen die Bestrebungen der Weltmacht rebelliert, besinnt sich der Amerikaner auf seine Defensivmechanismen – Patriot zu sein, gilt mehr denn je als Grundvoraussetzung für jemanden, der sich als echten US-Bürger bezeichnet. Die Gesellschaft als fehlerhaft zu identifizieren, kommt der Beleidigung von Amerikas Hoheitszeichen gleich.

Als wichtigstes patriotisches Symbol gilt das Sternenbanner, die Flagge der USA, als unantastbar. Seit 1923 gibt es dazu einen gesetzlich geregelten Verhaltenskodex. Darin wird beispielsweise genau beschrieben, in welchem Verhältnis sie zu den Staatssymbolen anderer Länder gehisst werden muss oder was ein Einzelhändler zu beachten hat, wenn er die Flagge in seinem Schaufenster deponiert.

Vor ihr wird die Nationalhymne gesungen, und das nicht nur bei allen offiziellen Anlässen und sportlichen Ereignissen. Schon die Kinder werden mit diesem nationalistischen Gedankengut indoktriniert. An den Schulen wird vor dem Unterricht strammgestanden und der Fahneneid gesprochen:

"I pledge allegiance to the Flag
of the United States of America
and to the Republic for which it stands,
one nation under God, indivisible,
with liberty and justice for all."

(Ich gelobe Treue der Flagge
der Vereinigten Staaten von Amerika
und der Republik, für die sie steht,
eine Nation unter Gott, unteilbar,
mit Freiheit und Gerechtigkeit für alle.)

Auch die Tochter von Charlotte und Karl kennt die fünf Zeilen seit ihrer Schulzeit auswendig. Als Kind deutscher Einwanderer wächst sie zwischen zwei Identitäten auf. Ihre Eltern leben die deutsche Abgeklärtheit zur eigenen Nationalität. Heimatstolz ist bei vielen Deutschen nach wie vor nur sehr rudimentär ausgeprägt. Annabelles Klassenkameraden sind durchweg amerikanische Gewächse, die Mädchen werden zu Schönheitswettbewerben geschickt, viele Väter nehmen ihre Sprösslinge mit zum Zelten, oder auf den Schießstand. In den Vereinigten Staaten gilt das Recht eine Waffe tragen zu dürfen als essenzieller Bestandteil des patriotischen Geistes. Diese Einstellung ist eng verknüpft mit der amerikanischen Kolonialisierung, die frühen Siedler konnten das besetzte Land meist nur mit Waffengewalt gegen die Ureinwohner verteidigen.

Es kommt sehr darauf an, in welchem gesellschaftlichen Umfeld man sich bewegt, meint Charlotte. "Wenn Annabelle bei einer ihrer Freundinnen übernachtet, erzählt sie danach immer mal wieder, dass deren Eltern auf dem Schießstand waren oder eine neue Waffe gekauft hätten. Etwas beunruhigend ist die Vorstellung schon, wie leicht Kinder theoretisch an Waffen kommen können."

Auf dem Campus von Davids Gastuniversität prägt dieser nationale Klang das Studentenleben längst nicht so stark, wie es in den Schulen der Fall ist. Natürlich flattert aber auch vor dem Hauptkomplex der Universität von Chicago die amerikanische Flagge. "Es ist schwer festzusetzen, ob meine Mitstudenten nun eher patriotisch oder liberal oder beides sind. Die einen verteidigen Amerika schon sehr, aber es gibt auch viele kritische Stimmen", erzählt er.

An den Wochenenden spielt David bei einem Sportklub der Universität Fußball. Wenn die Mannschaft danach zu einem der Mitspieler nach Hause fährt, um dort auf Sieg oder Niederlage anzustoßen, sind politische Themen fehl am Platz. Vor jedem Spiel stellen sich die Amateure dann aber doch zum Singen der Nationalhymne auf. David tut das auch, aus Respekt vor den Sitten des Gastlandes, das Singen überlässt er aber seinen Mitspielern.

Die Nationalhymne kommt im Verständnis der US-Bürger einem Glaubensbekenntnis gleich. Für überdurchschnittlich viele Amerikaner ist dieser Glaube an die absolute Überlegenheit der Vereinigten Staaten ein Lebensinhalt mit dem sich eigene Mängel kaschieren lassen.

Als Prototyp dieser Weltsicht gilt der Auftritt von Christopher Kyle, einem ehemaligen Soldaten und Kämpfer im Irak, der als bester Scharfschütze des US-Militärs Aufsehen erregte. In seiner kürzlich verfilmten Autobiografie "American Sniper" berichtet der Texaner ausführlich über seine Einstellung als Patriot und bedingungsloser Verfechter der amerikanischen Allgewalt. Die Tatsache, dass er seit seiner Ermordung durch einen psychisch-labilen Veteranen als Held verehrt wird, zeugt davon, dass seine Ansichten von vielen US-Bürgern weitergetragen werden.

Die Bereitschaft diese Inhalte auch mit Waffengewalt im In- und Ausland durchzusetzen, ist ein wesentliches Merkmal des amerikanischen Patriotismus und gleichzeitig der Definition einer nationalistischen Gesinnung. In Deutschland sorgte zuletzt vor allem der Tod des Hamburger Austauschschülers Diren D. für Schrecken und Ernüchterung. Der 17-Jährige wurde bei einer Mutprobe in der Garage eines Amerikaners erwischt. Dieser erschoss Diren. Im darauffolgenden Prozess berief sich der Täter darauf, sein Heim mit Waffengewalt verteidigen zu dürfen – in den Vereinigten Staaten ist dieses Recht als sogenannte "Castle Doktrin" bekannt, jedoch auch nicht unumstritten.

Laut einer Studie der Gallup Organization, dem US-amerikanischen Institut für Meinungsforschung, hat sich das Verhältnis derjenigen, die eine Ent- bzw. Verschärfung der Waffengesetze fordern seit 1960 nur wenig differenziert. Die Anzahl der US-Bürger, die es für besser halten, eine Waffe im Haus zu haben, hat sich seit 2000 jedoch nahezu verdoppelt. Gewalt gilt vermehrt als legitimes Mittel um die eigenen Wertvorstellungen durchzusetzen. Ein gefährliches Potenzial in einem Land, in dem Waffen frei erhältlich sind und parallel Angst und Unsicherheit grassieren.

Ein Großteil der Menschen in den Vereinigten Staaten leidet unter den schweren Rezensionen und einer degenerierenden Wirtschaft, nicht erst seit der Bankenkrise im Jahr 2008. Die einst prosperierende Mittelschicht wurde durch die Konkurse der Kreditinstitute praktisch aufgerieben. In der Folge verloren Abertausende ihre Anstellung. Die rudimentär vorhandenen Sozialsysteme können der wachsenden Verelendung nur bedingt entgegenwirken. Diese neue Armut auf dem Tiefstand von 1956 betrifft jeden sechsten US-Bürger. Das desillusionierte Klima in Politik, Medien, Wirtschaft und Kultur geht dagegen an kaum einem Amerikaner spurlos vorbei. Seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich das Demokratie-System der Vereinigten Staaten als brüchig erwiesen – der amerikanische Traum droht zu platzen.

In Zeiten solcher sozialer Umwälzungen und wirtschaftlicher Unruhen klammert sich eine Gesellschaft meist an vergeistigte Idealvorstellungen. Nicht nur in Deutschland ein seit den beiden Weltkriegen bekanntes Phänomen. In den Vereinigten Staaten, in denen Nationalgefühl durch die koloniale Emanzipation von den einstigen Mütterländen hochgeschrieben wird, drängt diese patriotische Duftmarke nun an die Oberfläche. Frei nach der Maxime, harte Zeiten würden eine harte Gangart fordern, radikalisiert sich die amerikanische Grundeinstellung.

Wo früher mit Eifer die Nationalhymne gesungen wurde und an jeder Veranda das Sternenbanner wehte, stürmen die Menschen nun die Waffengeschäfte. Ein urgewaltiger Schutzinstinkt erwacht in den verängstigten Gemeinden. Befeuert wird diese prä-panische Einstellung von Interessengruppen, wie etwa der National Rifle Association (NRA),der amerikanischen Waffenlobby. Sie ruft die Menschen unverhohlen zur Bewaffnung auf, man müsse Heim und Familie schützen. Erst Ende 2014 trat die NRA mit einer neuen Angstkampagne in Erscheinungen. Wayne LaPierre, der NRA Vize-Präsident, schürt die Furcht vor dem Islamischen Staat und anderen radikalen Islamisten: "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis den Vereinigten Staaten eine terroristische Attacke bevorsteht". Die Erinnerung an nationale Traumata, wie die Terroranschläge vom 11. September 2001 oder die Bombenattentate während des Boston-Marathons 2013 sind noch allgegenwärtig. Der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter Dschochar Zarnajew aus Boston hat in der vergangenen Woche begonnen.

Für Karl und Charlotte hat sich ihr Alltag seit den Bostoner Anschlägen eher geringfügig verändert. Nur in den Medien, besonders bei konservativen Kanälen, prägt das Thema Terror in den USA die Schlagzeilen wieder vermehrt. Allen voran der berüchtigte Vox News Channel, dessen Nähe zu patriotischen Kräften ein immer wieder diskutiertes Politikum der US-amerikanischen Fernsehlandschaft darstellt. Für Karl sind es die kleinen Unterschiede, die den Wandel im Denken der Menschen ausmachen: "In Deutschland käme niemand auf die Idee ein Waffenverbotsschild aufzustellen, hier ist das inzwischen auch in den Städten alltäglich, wie die 'Rauchen verboten'-Hinweise."

Die Organisation Brady Campaign to Prevent Gun Violence errechnete, dass pro Tag sieben Kinder in den USA durch Schusswaffen ums Leben kommen. Die Anzahl der Amokläufe ist nach einer Studie des Federal Bureau of Investigation 2014 auf etwa 16 pro Jahr gestiegen. Generell sterben jeden Tag im Schnitt 88 Personen durch Waffengewalt, 202 werden verletzt. Im Jahr 2011 wurden so 100.000 Schussverletzungen und mehr als 30.000 Tote gezählt.

Trotz der beinahe vierteljährlich vorkommenden Amokläufe scheiterten bislang sämtliche Versuche die Waffengesetze zu verschärfen an der ungemein mächtigen Lobby der NRA. Zuletzt 2012 wurde der Versuch von Präsident Barack Obama, die Richtlinien für den Besitz schwerer Gewehre zu reglementieren, abgeschmettert. Diesem ging die Ermordung von 20 Kindern an der Sandy-Hook-Grundschule in Newtown voraus. Nach aktuellen Schätzungen sind in den Vereinigten Staaten circa 270 Millionen Waffen im Umlauf. Selbst die Medien resignierenvor diesem anhaltenden Gewaltwachstum.

Was neben dem Schmerz der Hinterbliebenen in der Bevölkerung der Vereinigten Staaten bleibt, ist ein Gefühl der Hilflosigkeit. Viele glaubten nach den Schrecken der al-Qaida Anschläge in New York, dass sich der Krieg gegen den Terror in den Mittleren Osten verlagert hätte. Inzwischen ist klar, Terror muss nicht zwangsläufig von einer dschihadistischen Organisation ausgehen.

Diese latente Furcht steht über den USA. In den vergangenen Jahren hat sie sich zu einer drohenden Gewitterwand aufgebauscht, genährt durch die waffenstarrenden Auswüchse der amerikanischen Gesellschaft. Die Folge sind Entladungen in Form von politisch motivierten Terroranschlägen, Amokläufen verstörter oder psychisch-kranker Menschen und eine allgemeine Stimmung der Hilflosigkeit, der die Menschen mit dem Kauf immer neuer Waffen entgegenzuwirken versuchen. Diese Tendenz, einer Bedrohung mir der eigenen Bewaffnung ein Stück Sicherheit abzutrotzen, führt zu einem Teufelskreis nationaler Aufrüstung. In den Vereinigten Staaten selbst wird diese Entwicklung von der schweigenden Mehrheit ignoriert. Im Gegenteil verschärft die Besinnung auf patriotische Werte den Drang zum Selbstschutz, wer sein Land verteidigen wolle, der muss auch sich selbst effektiv wehren können.

Das Patriotismus durchaus positiv und im besten Sinne einigend wirken kann, gerät angesichts der aktuellen Entwicklungen in den Hintergrund. Dabei stand der amerikanische Patriotismus lange Zeit für das Leuchtfeuer der westlichen Demokratie und dem Willen einer Bevölkerung, alles möglich zu machen. Die Westfeste als Land der unbegrenzten Möglichkeiten – ein noch immer geflügelter Ausspruch.

Spürbar ist dieses Gefühl besonders bei den großen Sportereignissen vor Ort. Abseits der durchkommerzialisierten Medienveranstaltungen herrscht in den Rängen der Stadien ein gelöstes Miteinander. Hooligans und sich anfeindende Blöcke sind im amerikanischen Sport ungemein geringer ausgeprägt als in Europa.

Auch in Deutschland manifestierte sich in den vergangenen Jahren diese Art eines neuen Nationalgefühls heraus. Die Basis dafür sind die Erfolge der deutschen Sportteams und ihre positive Wahrnehmung in den Gastgeberländern. Etwa durch die Anteilnahme nach der Niederlage Brasiliens in der Finalrunde der Fußball-Weltmeisterschaft. Deutsche, die die brasilianischen Spieler nach dem Kantersieg trösteten, wurden über die Medien als ausgesprochen empathisch wiedergegeben.

In den Vereinigten Staaten täuschen Pomp, Konfetti und der Glamour öffentlicher Ereignisse oftmals darüber hinweg, dass der amerikanische Patriotismus in den letzten Jahren viel von seiner Unbeschwertheit verloren hat. Dennoch funktioniert die nationale Gesellschaft an vielen Stellen ohne Radikale.

Für David und seine Gastfamilie ist der diffuse Umschwung im Verhalten vieler US-Amerikaner kein Grund, vorzeitig die Zelte abzubrechen. Charlotte und Karl denken nicht über eine Rückkehr nach Deutschland nach. Das Ehepaar bleibt zuversichtlich: "Ja, es gibt hier ein absolutes Waffenproblem und die Kombination mit dem patriotischen Getue kann schon abschrecken. Aber ich denke doch, dass das kein Trend bleiben muss."

*Die Namen der zitierten Personen wurden auf ihren Wunsch hin geändert.

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