Ich schau dir in die Augen, Kleines!

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Ihre Freitag-Redaktion

Werbe-Überwachung auf Schritt und Tritt,

auch im Freitag – 60 Jahre nach „1984“…


http://www.picolodia.com/store/medium_erjdxy.jpgFrage: Was haben der „Verband der deutschen Rauchtabakindustrie e.V.“, die SPD, der Spiegel und Brand eins gemeinsam?

Antwort: Sie benutzen den Freitag als Sprungbrett in unsere – der Leser – Pupillen und Hirne. Es ist z. K.!

Warum muss ich die Verlogenheiten der Tabaklobby über mich ergehen lassen? Warum reicht es nicht, wenn die – Verzeihung – bescheuerte Wahlwerbung der SPD mir von (fast) jedem Laternenpfahl entgegen grinst. Warum gestattet ein David von politischer Wochenzeitung wie der Freitag, der wahrlich keinen Anlass hat, Leser zu verschenken, einem (immer noch) Goliath wie dem Spiegel in ihrem Revier zu wildern? Ich vermute: es ist das Geld, Geld, Geld.


Bevor ich meinen Gefühlen allzu unbedacht allzu freien Lauf lasse, halte ich mich an die handgreiflichen Fakten. Ich greife aus dem Stapel gesammelter Freitag-Ausgaben wahllos eine heraus: Es ist die Nummer 25 aus dem Jahr 2004, zufällig fast auf den Tag genau fünf Jahre alt. Sie hat einen Umfang von 20 Seiten. Beim Durchblättern stelle ich fest, dass es auf acht Seiten Anzeigen gibt. Diese nehmen insgesamt eine Fläche von 2100 cm2 ein. Das entspricht 7 % der bedruckten Fläche der gesamten Ausgabe. Das gleiche Verfahren auf die Ausgabe Nr.22/2009 angewendet ergibt einen Wert von 14 %. Damit hat sich der Werbeanteil des Freitags innerhalb von fünf Jahren ziemlich genau verdoppelt!

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muss eine Gegenrechnung aufgemacht werden. 2004 kostete der Freitag 2,70 € – heute sind es 2,90 €. Das entspricht einer Verteuerung von 7,4 %. Aber wenn man beim Statistischen Bundesamt nachfragt, so erfährt man, dass die Inflation im selben Zeitraum 10,1 % betrug. Die 2,70 € von damals sind heute 2,97 €, also fast drei Euro, wert. Das bedeutet: Der Freitag ist in den letzten fünf Jahren billiger geworden, und das, obwohl sein Umfang von 20 auf 32 Seiten aufgestockt wurde! Das heißt, ganz stimmt das nicht. 2004 betrug der redaktionelle Anteil anderthalb Seiten weniger, der Anzeigen wegen. Heute muss man für die Reklame 4½ Seiten in Rechnung stellen. Es bleiben 27½ Seiten Text. Unterm Strich kostete vor fünf Jahren die Freitag-Seite netto 16 Cent, heute sind es nur noch knapp 11 Cent.

„Na, was wollen Sie? Das kann sich doch sehen lassen!“, wird Herr Augstein sagen, „Oder?!“ – Recht hat er, rein mathematisch betrachtet. Aber ausschließlich mit Mathematik ist dem Problem nicht beizukommen.

Der Freitag heute ist nicht mehr der Freitag von 2004. Damals handelte es sich bei den redaktionsfremden Anteilen im Wesentlichen um private Kleinanzeigen und Eigenwerbung des Freitag. Die Aussagen der Artikel wurden dadurch kaum tangiert. Der Leser konnte sicher sein: Wo Freitag drauf steht, ist auch Freitag drin. Heute sieht das schon anders aus, wenigstens tendenziell. Neben den Kleinanzeigen werden wir jetzt mit ganzseitigen Werbebotschaften konfrontiert, die mit dem Charme von publizistischen Dampfwalzen daherkommen.

„Na, was wollen Sie?“, wird Herr Augstein noch einmal nachstoßen, „woher sollen die 11 Cent-Seiten kommen? Von nicht ist nichts! Da muss man eben in den sauren Apfel beißen. Schauen Sie sich die großen Tageszeitungen und die bunten Magazine an. In denen werden Sie mit Werbung regelrecht zugekleistert. Verglichen damit sieht es beim Freitag doch noch ganz erträglich aus. Oder?!“ – Recht hat er. Noch, und leider auch nur oberflächlich betrachtet.

Bleiben wir beim Anzeigekunden Spiegel. Der wird Herrn Augstein doch vertraut sein. Vielleicht erinnert er sich an eine Ausgabe mit dem Titel „Der PS-Wahn – Umweltschädling Auto“. (Es handelt sich um die Nummer 37 des Jahrgangs 1989. Zugegeben, das ist schon einen Weile her. Aber ich schaue nur selten in einen Spiegel hinein.) Die Titelgeschichte – zwei Artikel und ein Gespräch – hat einen Umfang von knapp 13 Seiten. Dem stehen 19 Seiten Autoreklame gegenüber, z.T. doppelseitig oder sogar über vier Seiten, sowie zusätzlich noch 5 Seiten mit Reklame für autorelevante Produkte wie Benzin, Öl, usw. Den verführerischen Seiten des Automobils wird mit insgesamt 24 Seiten ein fast doppelt so großer Platz wie den problematischen eingeräumt. Welche Botschaft transportiert die Zeitschrift unter diesen Umständen? Die Auftraggeber der Reklame werden ziemlich sicher gewesen sein…


Zwei Anliegen treiben mich um:

1. Es will mir nicht in den Schädel, warum sich eine Zeitung nicht zu dem Preis verkaufen lässt, den die Herstellung kostet. Wenn ich ein Paar Schuhe kaufe, dann kaufe ich ein Paar Schuhe und nichts weiter. Für die Schuhe muss ich das bezahlen, was Material und Arbeit gekostet haben und sogar noch etwas mehr. Damit finden sich wahrscheinlich die allermeisten Menschen in Deutschland ab. Die Schuhindustrie kann davon existieren.*) Wieso klappt das bei den Medien nicht? Wieso werden gleichsam Parasiten eingeschleust, die den Lesern/Hörern/Zuschauern ungefragt untergejubelt werden, die auch die Redaktionen akzeptieren müssen, obwohl die Eindringlinge nicht selten kontraproduktiv wirken? – „Sie haben keine Zeit zum Lesen? – Das machen wir für Sie“ (S. 21) Wie kann ein Freitag-Redakteur das durchgehen lassen?!

2. Sollte aber – aus welchem Grund auch immer – dieses Verfahren nicht zu umgehen sein, dann wäre es eine Sache der Ehrlichkeit und Transparenz, wenn in einem entsprechenden Beitrag dargelegt würde, was die Freitag-Seite ohne Werbung kostet. Und es müsste plausibel gemacht werden, warum es nicht möglich sein sollte, diese (immer noch) lesenswerte, um nicht zu sagen unentbehrliche Wochenzeitung für drei, vier oder gar fünf Euro als Brutto=Netto-Ausgabe an die interessierte Frau oder den wissenshungrigen Mann zu bringen. Das wäre das Mindeste.


*)Ja, viele Schuhe werden nicht in Deutschland produziert. Aber das ist ein anderes Problem.



Henning v. Gynz-Rekowski

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

HVGR

Rentner (ehm. Lehrer), Berlin

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